Fußball

Fatale Sehnsucht nach Weltklasse Chinesen beklagen "Todestag des Fußballs"

Fußball-Fans des chinesischen Erstligaklubs Dalian Yifang beim kollektiven Leiden.

Fußball-Fans des chinesischen Erstligaklubs Dalian Yifang beim kollektiven Leiden.

(Foto: imago/Imaginechina)

In der entscheidenden Phase der Saison zieht das chinesische Sportministerium Dutzende Spieler aus den Fußball-Profiligen ab, um sie in einem Trainingslager zu internationaler Klasse zu drillen. Fans und Experten reagieren entsetzt.

Der chinesische Fußball hinterlässt international alles andere als einen hochklassigen Eindruck. Ein 2:0 gegen Syrien beendete am Dienstag immerhin eine Serie von drei sieg- und torlosen Länderspielen, die zuvor in ein enttäuschendes 0:0 gegen Indien gegipfelt war. Fußballschlagzeilen, die um die Welt gehen, produziert China dennoch in regelmäßigen Abständen, nur nicht aus sportlichen Gründen. Mal sind es die Profiklubs, die irrsinnige Ablösesummen oder astronomische Gehälter zahlen. Mal der Staatschef der Volksrepublik, der den Gewinn des WM-Titels zum Ziel erklärt. Eine Sehnsucht, die jetzt für ein fatales Novum sorgte, mit dem das Sportministerium Fans und Experten im Land gleichermaßen entsetzt.

Monatelang kursierten Gerüchte, ehe die Parteikader Anfang Oktober ernst machten. Sie kommandierten 55 chinesische Spieler unter 25 Jahren aus dem laufenden Spielbetrieb der ersten und zweiten Profiliga ab, um sie in ein knapp dreimonatiges Trainingslager zu kasernieren. Das geschieht, um sie als Unterbau der A-Nationalmannschaft weiterzuentwickeln. Neben Fußball steht Disziplin auf dem Lehrplan. In sozialen Medien kursierten jüngst Bilder, wie die Spieler in militärischer Tarnkleidung und Einheitshaarschnitt gemeinsam das Länderspiel gegen Indien verfolgten.

Fans und Medien reagierten entsetzt und riefen den "Todestag des chinesischen Fußballs" aus. Fünf Spieltage vor Schluss der Chinese Super League (CSL) wird der Ausgang der nationalen Meisterschaft beispiellos verzerrt. "Es liegt ein langer Schatten über der Liga. Die Glaubwürdigkeit und Legitimität des Profifußballs im Land stehen auf dem Spiel" sagt der Journalist Cameron Wilson, der seit neun Jahren über die CSL und Chinas Nationalmannschaft berichtet.

Ob der Weltverband Fifa in der Zwangsrekrutierung einen Verstoß gegen seine Stauten erkennt, bleibt trotz Nachfrage bislang unkommentiert. Beobachter glauben, die Fifa scheue es, China zu sanktionieren, weil sie sich den Zugang zum riesigen Konsumentenmarkt mit Hunderten Millionen Fans nicht verschließen will. Doch die Fans verlieren offenbar den Glauben. Im Internet machten viele Anhänger ihrem Frust über den staatlichen Eingriff Luft und kündigten an, auf Stadionbesuche fortan zu verzichten.

Kaum Widerstand gegen Kaderausdünnung

Beugt sich staatlichen Eingriffen in sein Geschäft: Der deutsche Roger Schmidt vom Klub Beijing Guo'an.

Beugt sich staatlichen Eingriffen in sein Geschäft: Der deutsche Roger Schmidt vom Klub Beijing Guo'an.

(Foto: imago/Imaginechina)

Die erste Liga muss insgesamt 48 Spieler abtreten. Betroffen sind alle 16 Vereine. Auch Beijing Guo'an des Ex-Bundesligatrainers Roger Schmidt, dessen Mannschaft das Pokalfinale bestreitet und sogar noch vage vom Meistertitel träumen darf. Für den Rest der Saison muss Schmidt unter anderem auf seinen Stammspieler Wei Shihao und einen weiteren Akteur verzichten. Der Konkurrenz geht es nicht besser. Der zweite Pokalfinalist, Shandong Luneng, Ex-Klub von Felix Magath, muss fünf Kaderstellen neu besetzen.

Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete vor wenigen Tagen, dass die Vereine die Einberufung der Profis unterstützten. Das allerdings ist schwer vorstellbar, weil die Handlungsfähigkeit der Teams willkürlich beschnitten wurde. Und die Gehälter der Spieler zahlen weiter die Vereine. Dennoch gibt es öffentlich kaum Widerstand, weil es sich kein Klub mit der Politik verscherzen will. Pekings Vereinschef Zhou Jinhui machte als einziger seinem Ärger Luft, als er sagte: "Die riesengroße Mehrheit der Leute versteht, dass die Probleme auf der administrativen Ebene kreiert werden."

Brachiale Mittel ohne großen Erfolg

Das Ministerium ist offenbar von dem Wunsch getrieben, die Qualität des chinesischen Fußballs kurzfristig zu erhöhen, um der Sehnsucht von Staatspräsident Xi Jinping nach einem Gewinn der Weltmeisterschaft Nahrung zu geben. Die 55 Spieler sollen in zwei Kader aufgeteilt und dann unter bislang unbekannten Bedingungen gegen die Profiklubs der ersten und zweiten Liga spielen. Auch über eine Integration in eine osteuropäische Profiliga wird nachgedacht, heißt es. Doch ein vergleichbares Konstrukt im Ausland ging schon einmal schief. Chinas U20 sollte im vergangenen Jahr außer Konkurrenz gegen alle Vereine der deutschen Regionalliga Südwest spielen. Schon beim ersten Test schwenkten Besucher Tibet-Flaggen, das Experiment wurde schließlich eingestampft.

Ob Testspiele gegen CSL-Klubs überhaupt zielführend sind, ist zudem zweifelhaft. "Die Klubs würden in solchen Spielen sicher nicht ihre besten Leute aufbieten, sondern selbst vielen Bankspielern Einsatzzeit verschaffen", sagt der Frankfurter Lars Isecke, ehemaliger U19-Nationaltrainer der Chinesen und inzwischen Trainerausbilder in der Volksrepublik. "Spieler lernen am meisten in der Kombination von gutem Training und regelmäßigen Spielbetrieb unter Wettkampfbedingungen. Wenn man eher außerhalb des normalen Wettbewerbs spielt, sind Intensität, Zweikämpfe und der Erfolgsdruck nicht vergleichbar", sagt Isecke.

Doch beim Sportministerium ist man offenbar anderer Ansicht. Statt auf Geduld zu setzen, wenden die Funktionäre gerne brachiale Mittel an. Wenige Wochen vor Beginn der vergangenen Saison reduzierte der Verband in enger Abstimmung mit der Politik die Zahl der Ausländer pro Klub, ohne dabei zu berücksichtigen, ob Vereine ihre Kaderplanung bereits abgeschlossen hatten. Der Sinn dahinter war es, den Chinesen in den Teams mehr Spielpraxis zu verschaffen. Auf die Resultate der Nationalmannschaft hat diese Maßnahme allerdings noch keinen positiven Effekt. Journalist Wilson konstatierte: "Es sind radikale Maßnahmen, die Chinas Fußball heilen sollen. Dabei merken die Beamten nicht, dass sie es sind, die sich ändern müssen."

Quelle: ntv.de

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