Fußball

Nationalspieler statt Postbote Clauss schreibt das Fußball-Märchen des Jahres

Clauss ist tatsächlich Nationalspieler. Ein Traum wird wahr.

Clauss ist tatsächlich Nationalspieler. Ein Traum wird wahr.

(Foto: REUTERS)

Jonathan Clauss ist französischer Nationalspieler, dabei kickt er 2015 noch in der Verbandsliga Südbaden. Der 29-Jährige ist ein später Debütant im Team von Didier Deschamps, sein Aufstieg märchenhaft. Eine wesentliche Rolle in seiner Karriere spielt Arminia Bielefeld.

Wenige Minuten Spielzeit sind es nur, doch Jonathan Clauss hat es geschafft. Er ist nun Fußball-Nationalspieler Frankreichs. In der 88. Minute wurde er am Freitag im Freundschaftsspiel gegen die Elfenbeinküste für den Bayern-Profi Kingsley Coman eingewechselt. In der 90. Minute war er hautnah auf dem Feld dabei, als Aurélien Tchouameni den Siegtreffer zum 2:1 per Kopf erzielte. Clauss selbst hatte mit dem Ausgang nichts zu tun - und doch ist sein Einsatz mehr als nur eine Randnotiz.

Mit 29 Jahren ist der Mittelfeldmann ein alter Debütant in der Équipe Tricolore. Präziser, er ist der zweitälteste Spieler, der jemals für die französische Nationalmannschaft debütierte. Älter war nur Steve Savidan, der bei seinem ersten Einsatz im November 2008 30 Jahre und 143 Tage alt war, berichtet der Sportdatendienst Opta. Sein Aufstieg ins Team von Nationaltrainer Didier Deschamps ist ein märchenhafter. Denn niemand hatte damit gerechnet, dass ein Spieler, der die Hälfte seiner Karriere in Amateurligen verbrachte, in eine der besten Nationalmannschaften der Welt berufen wird. Vor sieben Jahren deutete überhaupt nichts daraufhin, dass Claus jemals Fußball-Profi werden würde.

Der aus der deutschen Grenzregion stammende Franzose tingelte damals von Amateur-Verein zu Amateur-Verein, neben mehreren Gastspielen bei unterklassigen Klubs in seiner Heimat schnürte er auch zwei Jahre die Schuhe für den deutschen Sechstligisten SV Linx, dessen Stadion nur wenige Kilometer von Clauss' Geburtsstadt Straßburg entfernt liegt. Er spielte Fußball und verdiente sein Geld als Postbote, wie die "FAZ" berichtet.

Statt Postbote lieber Bielefeld-Spieler

Erst 2017 sammelte der rechte Flügelspieler erste Erfahrungen im Profi-Bereich, als der französische Zweitligist Quevilly Rouen ihm eine Bewährungschance einräumte. Der Klub stieg in die Drittklassigkeit ab und an Angeboten im Fußball mangelte es Clauss. Er überlegte schon, ob er nicht daheim in Straßburg Vollzeit als Briefträger arbeiten sollte.

Doch ein Angebot gab es noch, das von Arminia Bielefeld. Er nahm an, wechselte im Spätsommer 2018 nach Deutschland. Bei den Ostwestfalen avancierte der wieselflinke Vorlagen-Spezialist schnell zum Fan-Liebling, auch seinen Offensiv-Vorstößen verdankte der damalige Zweitligist die Entwicklung von einer grauen Maus zum Aufstiegskandidaten. Das Happy End folgte 2020 mit der Rückkehr ins Oberhaus.

Zu diesem Zeitpunkt war aber schon klar: Bundesliga spielt Clauss auf absehbare Zeit nicht. Er hatte seinen persönlichen Traum von einem Engagement in der Ligue 1 schon wahr gemacht und wechselte im Juli 2020 zu Aufsteiger RC Lens. Bei den Nordfranzosen mauserte sich Clauss, dessen Vertrag bis 2023 läuft, in Windeseile zum Leistungsträger, der als Schienenspieler auf der rechten Seite kaum zu halten ist. Im ersten Jahr standen drei Tore und sechs Vorlagen zu Buche, aktuell sind es schon vier Treffer sowie neun Assists. Längst feiern ihn die Fans mit eigenen Sprechchören.

"Verdammt, du bist wirklich hier"

So wurde auch Didier Deschamps auf den 29-Jährigen aufmerksam, schließlich sucht der Weltmeister von 1998 schon länger nach einer Idealbesetzung für den rechten Flügel. Clauss, der sowohl defensiv als auch offensiv eingesetzt werden kann, passte mit seiner Vielseitigkeit offenbar gut in sein Konzept. Und so nominierte Deschamps ihn in der vergangenen Woche erstmals. Clauss wurde bei der Bekanntgabe von seinen Emotionen überwältigt und versackte im Sofa, während seine Mitspieler tanzten, sangen und jubelten als hätten sie gerade die Meisterschaft gewonnen. Jeder freute sich für Clauss, der Außergewöhnliches geschafft hatte.

Mehr zum Thema

"Ich musste das alles erst einmal fassen. Alles schien so weit weg, und plötzlich war ich hier", sagte er immer noch sichtlich angefasst als er zum ersten Mal auf Coman, Kylian Mbappé und Co. getroffen war. "In den ersten Stunden dachte ich mir: 'Verdammt, du bist wirklich hier', aber ich kann es mir nicht leisten, zu lange zu träumen, denn dann werde ich meine Chance hier verpassen. Und das will ich nicht." Das Spiel gegen die Elfenbeinküste zeigt: Er hat sie nicht verpasst.

Ob sich der frühere Bielefelder nun tatsächlich Hoffnungen auf einen festen Platz im Star-Aufgebot der Franzosen machen darf, ist unklar. Zu Beginn des WM-Jahrs aber nominiert worden zu sein, ist sicher kein schlechter Anfang, einen Einsatz für immer im Lebenslauf stehen zu haben, schon der nächste Schritt. Und wenn die letzten Jahre eines gezeigt haben, dann ist es die Tatsache, dass man Jonathan Clauss niemals abschreiben sollte.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen