Erfolgreicher Charaktertest in Istanbul DFB-Elf trotzt der Lärmhölle
08.10.2011, 09:24 Uhr
Due Deutschen jubeln, die Türken lassen die Köpfe hängen.
(Foto: dpa)
Deutschlands Fußballer lassen sich nicht beirren, siegen vor beeindruckender Kulisse in der Türkei und feiern den neunten Sieg im neunten EM-Qualifikationsspiel. Mit welcher Selbstverständlichkeit sie das tun, ist durchaus überraschend. Doch Bundestrainer Joachim Löw weiß: Die DFB-Elf steht mit Weltmeister Spanien und den Niederlanden auf einer Stufe. Also ist auch die Favoritenrolle kein Problem.
Guus Hiddink blieb die zweifelhafte Genugtuung, am Ende doch Recht behalten zu haben. "Ich war nicht pessimistisch, ich war realistisch." Und die Realität sah nun einmal so aus, dass die deutsche Mannschaft am Freitag in Istanbul gegen die Türkei und ihren niederländischen Trainer mit 3:1 (1:0) gewann. Hiddink hatte es gewagt, bereits vor der Partie darauf hinzuweisen, dass er einen Sieg gegen Deutschland für sehr unwahrscheinlich halte. Die türkischen Medien hatten ihn dafür böse kritisiert.
Am Ende stand aber ein verdienter Erfolg der DFB-Elf gegen meist harmlose Türken, die wohl nur dann eine Chance gehabt hätten, wenn der gebürtige Gelsenkirchener Hamit Altintop nach fünf Minuten das 1:0 erzielt hätte und nicht am gebürtigen Gelsenkirchener Manuel Neuer im Tor der deutschen Mannschaft gescheitert wäre. So aber sorgten Mario Gomez (35.), Thomas Müller (66.) sowie Bastian Schweinsteiger (86.) per Elfmeter mit ihren Toren dafür, dass die Deutschen sich in ihrem neunten Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2012 über den neunten Sieg freuen durften.
Hexenkessel? Istanbul!
Auf türkischer Seite sorgten nicht die Spieler, sondern die mehr als 50.000 Zuschauer für den eindrucksvollsten Beitrag, indem sie das neue Galatasaray-Stadion in eine rot-weiße Lärmhölle verwandelten. Wer sich jemals gefragt hat, was genau mit dem Begriff Hexenkessel gemeint ist, bekam an diesem lauen Herbstabend eine Antwort - zumindest zu Beginn und unmittelbar nachdem Hakan Balta zehn Minuten vor dem Ende der Begegnung der Anschlusstreffer gelungen war.
Die erstaunlichste Erkenntnis auf deutscher Seite aber war, wie leicht und nahezu selbstverständlich die Mannschaft mittlerweile in der Lage ist, einen mittelklassigen Gegner wie die Türken zu besiegen. Und willens, das auch in einem sportlich unbedeutenden Spiel zu tun. Charaktertest bestanden, wieder einmal. Guus Hiddink hatte es geahnt. Doch es spricht nicht für seine Mannschaft, dass sich die Deutschen dafür nicht aus dem Fenster lehnen mussten.
Die Türkei findet sich nach dieser Niederlage nur noch auf Platz drei wieder und muss nun am Dienstag gegen die von Berti Vogts trainierten Aserbaidschaner gewinnen. Und hoffen, dass die DFB-Elf zur gleichen Zeit in Düsseldorf nicht gegen Belgien verliert. Joachim Löw, ganz der höfliche Gast, vermied es, auf die Frage nach dem Leistungsstand der türkischen Mannschaft allzu deutlich zu antworten und sagte stattdessen: "Wir haben die Pflicht, dieses Spiel seriös anzugehen."
Ergebnis guter, solider Arbeit
Das 3:1 der deutschen Mannschaft jedenfalls war weniger das Resultat spielerischer Brillanz oder eines atemberaubenden Sturmlaufs als vielmehr das Ergebnis guter, solider Arbeit. Und so ließ sich Joachim Löw, obgleich sichtlich zufrieden, nicht mehr als ein angesichts der Siegesserie vergleichsweise unprätentiöses Fazit entlocken: "Eine ordentliche Mannschaftsleistung hat gereicht."
Der Bundestrainer ist in der glücklichen Lage, eine Gruppe junger Männer um sich zu haben, die sich erkennbar ernsthaft ihrer Arbeit und den gemeinsamen sportlichen Zielen verpflichtet fühlt. Mehr und vor allem professioneller vielleicht, als es je eine Generation vor ihnen getan hat. Dass die DFB-Elf mit jedem Sieg mehr in die Rolle des Favoriten bei der Europameisterschaft im kommenden Jahr in Polen und der Ukraine schlüpft, scheint keinen der Beteiligten groß zu stören.
"Die Jungen spielen gerne schnell"
Im Gegenteil, spätestens seit dem 3:2 gegen Brasilien im August ist der Titel das erklärte Ziel. Seitdem wird der Bundestrainer stets gefragt, wie weit seine Mannschaft auf dem Weg ist, dass Niveau des amtierenden Kontinental- und Weltmeisters Spaniens zu erreichen. Und stets antwortet Joachim Löw, dass sein Team neben Spanien und den Niederlanden das mit den konstantesten Leistungen in den vergangenen Jahren sei. Also auf einer Stufe.
Am Ende sendete der Bundestrainer ein Signal an alle, die es immer noch nicht mitbekommen haben, woher der Wind weht: "Technische Qualität kommt bei mir vor Routine und Erfahrung." Im modernen Fußball sei es wichtig, dass Spiel so schnell wie möglich zu machen. Und das geht nur mit Spielern, denen der Ball nicht ständig vom Fuß springt. Und: "Die Jungen spielen gerne schnell." Bei einem Team, in dem der 19 Jahre alte Mario Götze sich ernsthaft um die Rolle des 22 Jahre alten Spielmachers Mesut Özil bewirbt, der in Istanbul verletzt auf der Tribüne saß und dort ausgesprochen freundlich empfangen wurde, klingt das wie eine Drohung an die Konkurrenz. Für Guus Hiddink ist das nichts Neues. Der hatte schon vor dem Spiel die deutsche Elf zum EM-Favoriten erkoren.
Türkei - Deutschland 1:3 (0:1)
Türkei: Volkan Demirel - Gökhan Gönül, Servet Cetin, Egemen Korkmaz, Hakan Balta - Aurelio (86. Umut Bulut), Selcuk Inan (46. Gökhan Töre) - Hamit Altintop, Arda Turan (70. Kazim Kazim), Sabri Sarioglu - Burak Yilmaz
Deutschland: Neuer - Boateng (73. Höwedes), Mertesacker, Badstuber, Lahm - Schweinsteiger, Khedira - Müller, Götze (90. Reus), Podolski (62. Schürrle) - Gomez
Tore: 0:1 Gomez (35.), 0:2 Müller (66.), 1:2 Hakan Balta (79.) , 1:3 Schweinsteiger (85./Foulelfmeter)
Schiedsrichter: Atkinson (England) - Zuschauer: 52.200
Quelle: ntv.de