Müller "beschissen", Boateng ungeil DFB-Elf verschwendet in Polen ihr Talent
12.10.2014, 05:13 Uhr
Polens Fußballer schlagen die DFB-Elf und feiern diesen Sieg in der EM-Qualifikation wie einen WM-Titel. Das deutsche Team hingegen hadert mit sich und erlebt in Warschau einen gebrauchten Abend. Mats Hummels weiß, warum.
Er hoffe, hatte Adam Nawalka vorher gesagt, "dass wir dieses Treffen in einer optimistischen Stimmung beenden können". Nun ist die Poesie, die diesem Zitat innewohnt, mutmaßlich der Übersetzung geschuldet. Es ist aber zu schön, um unerwähnt zu bleiben. Hinterher sagte der Trainer der polnischen Nationalelf: "Wenn man gegen die Weltmeister spielt, muss man ein wenig Glück haben. Aber diesem Glück muss man auch helfen." Wohl wahr.
Tore: 1:0 Milik (51.), 2:0 Mila (88.)
Polen: Szczesny - Piszczek, Szukala, Glik, Wawrzyniak (85. Jedrzejczyk) - Krychowiak, Jodlowiec - Grosicki (71. Sobota), Rybus - Milik (77. Mila), Lewandowski
Deutschland: Neuer - Rüdiger (83. Kruse), Boateng, Hummels, Durm - Kramer (71. Draxler), Kroos - Bellarabi, Götze, Schürrle (77. Podolski) - Müller
Schiedsrichter: Proenca (Portugal)
Zuschauer in Warschau: 56.934 (ausverkauft)
Mit 2:0 (0:0) haben Polens Fußballer am Samstagabend dieses Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft gegen die deutsche Mannschaft gewonnen, ganz einfach, weil sie anders als die DFB-Elf mit außergewöhnlicher Konsequenz ihre Chancen nutzten. Sie entfachten mit diesem Sieg im mit 56.934 Zuschauern ausverkauften Warschauer Nationalstadion eine Begeisterung, die mit "optimistischer Stimmung" nur unzureichend beschrieben ist. "Wir haben bei der WM weniger gefeiert als die heute", sagte Lukas Podolski. "Gratulation an Polen." Viva Polonia!
Die deutschen Spieler und ihr Trainer Joachim Löw hingegen haderten damit, dass sie zwar ordentlich gespielt und sich vor allem zahlreiche Tormöglichkeiten erarbeitet hatten - aber eben den Ball nicht in des Gegners Tor unterbrachten. Das war auch Löw nicht entgangen. "Klar, bin ich enttäuscht. Aber eigentlich kann ich der Mannschaft keinen Vorwurf machen. Höchstens den, dass wir mit unseren Chancen zu fahrlässig umgegangen sind." Tja, eigentlich. Mats Hummels brachte es auf den Punkt: "Wir waren die bessere Mannschaft, aber Effektivität entscheidet." Eben drum war es für die deutsche Mannschaft ein gebrauchter Abend. Die 29:5 Torschüsse, 6:0 Ecken und 67 Prozent Ballbesitz reichten jedenfalls nicht zu einer optimistischen Stimmung. Die Spieler in der Einzelkritik:
Manuel Neuer: Nun ist der 28 Jahre alte Torhüter des FC Bayern für gewöhnlich kein Mann, der im Konjunktiv lebt. Aber nach dieser Niederlage in seinem 55. Länderspiel wollte auch er nicht ganz einsehen, warum es nicht geklappt hat. "Wenn wir in Führung gehen, gewinnen wir das Spiel." Hätte, hätte, Fahrradkette. Er räumte immerhin ein, dass er beim ersten Tor durch Arkadiusz Milik besser die Flanke des Dortmunders Lukasz Piszczek abgefangen hätte, als ins Leere zu segeln. "Beim Gegentor komme ich zu spät, mein Fehler." Und er fährt mit einem Erkenntnisgewinn zum nächsten EM-Qualifikationsspiel am Dienstag in Gelsenkirchen gegen Irland. "Wir haben gelernt, dass man sich nie sicher sein kann."
Antonio Rüdiger: In seiner dritten Partie für die DFB-Elf und dem, Obacht, Pflichtspieldebüt, machte der 21 Jahre alte Stuttgarter wenig falsch, begabt und schnell wie er ist, ohne dabei zu glänzen und sich als Rechtsverteidiger der Zukunft aufzudrängen. Diese Stelle ist ja vakant, seit Philipp Lahm nach der WM beschlossen hat, ausschließlich für den FC Bayern Fußball zu spielen. Oder wie es der Bundestrainer formulierte: "Auf einigen Positionen haben wir schon auch Probleme." Immerhin durfte Rüdiger das Trikot mit der Nummer 16 tragen - die hat er von Lahm geerbt. Sieben Minuten vor Toresschluss kam der 26 Jahre alte Mönchengladbacher Max Kruse als sechster deutscher Offensivspieler auf den Rasen und somit zu seinem siebten Länderspiel. Ein Tor aber gelang auch ihm nicht. Am Ende stand die, Obacht, erste Pflichtspielniederlage seit dem 28. Juni 2012. Sie erinnern sich: EM-Halbfinale gegen Italien, 1:2 - in Warschau.
Mats Hummels: Der 25 Jahre alte Dortmunder Innenverteidiger war sich nach seinem 37. Länderspiel sicher: "Wir waren zweifellos die bessere Mannschaft. Dass bei der Qualität der Chancen kein Tor gelungen ist, ist eigentlich ein Witz." Tja, eigentlich. Hummels war in Warschau besser und aufmerksamer als zuletzt beim BVB, mit viel Übersicht und Ruhe, wenn auch nicht gänzlich ohne Fehler. Aber wer ist das schon? Vergab in der Offensive drei Möglichkeiten nach Standardsituationen. Eigentlich ein Witz. Kleiner Scherz.
Jérôme Boateng: Beim Kopfball des Polen Milik war der 26 Jahre alte Innenverteidiger des FC Bayern ein wenig spät dran. Ansonsten aber war sein 48. Länderspiel ein solides, auch wenn ihm im Spielaufbau so mancher Fehlpass unterlief. Erledigte aber mit Hummels souverän den Auftrag des Bundestrainers, sich um seinen Vereinskollegen Robert Lewandowski zu kümmern. Dementsprechend zufrieden war Löw: "Von Lewandowski - bei allem Respekt, er ist ein überragender Spieler - habe ich heute nicht viele gefährliche Situationen gesehen. Das zweite Tor hat er gut vorbereitet, keine Frage. Ansonsten haben Boateng und Hummels ihre Sache sehr, sehr gut gemacht." Boateng war aber nicht gewillt, die Niederlage in die Rubrik "Kann halt mal passieren" einzuordnen. "Mit unserer Chancenverwertung müssen wir absolut kritisch umgehen." Und wie soll das besser werden? "Man muss einfach geil auf das Tor sein."
Erik Durm: Der 22 Jahre alte Dortmunder hatte in seinem vierten Einsatz für die DFB-Elf bisweilen Mühe, am linken Ende der Viererabwehrkette den flinken Kamil Grosicki in den Griff zu kriegen. Und beim zweiten Tor der Gastgeber verlor er den Zweikampf gegen Lewandowski. Offensiv bemühte er sich redlich, das Zusammenspiel mit André Schürrle ist aber ausbaufähig. Hat sich nicht unbedingt als Linksverteidiger der Zukunft aufgedrängt. Allerdings ist sein großes Plus, dass Löw dem Vernehmen nach sehr viel von ihm hält.
Christoph Kramer: Es ist erstaunlich, wie souverän der 23 Jahre alte Mönchengladbacher seinen Dienst im defensiven Mittelfeld erledigt - dabei war das am Samstag erst sein achtes Länderspiel. Unermüdlich spulte er an der Seite des Kollegen Kroos auf der Doppelsechs sein Pensum ab, auch wenn er den Ball mitunter fehl spielte und einige Zweikämpfe verlor. War aber nach einem Tritt von Lewandowski so erschöpft, dass er nach 71 Minuten den Platz verließ. Für ihn wechselte der Bundestrainer den 21 Jahre alten Schalker Julian Draxler ein. Konnte in seinem 13. Länderspiel der Partie auch keine Wende mehr geben. Immerhin hat er seine Grippe überstanden.
Toni Kroos: Durfte offensichtlich mit offizieller Genehmigung des Bundestrainers einige lange Pässe spielen, was ihm prima gelang. Der 24 Jahre alte Mittelfeldspieler von Real Madrid war in seinem 54. Länderspiel derjenige, der als Chef nahezu fehlerlos den Takt vorgab und die meisten Angriffe einleitete, auch wenn er ein wenig defensiver spielen musste, als es ihm eigentlich lieb ist. Aber so lange Kapitän Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira verletzt fehlen, wird sich daran nichts ändern. Die entscheidende Idee, wie man gegen diese Polen ein Tor erzielen kann, hatte er allerdings auch nicht. "Wir waren nicht zwingend genug." Aber so etwas könne "halt passieren". Hier spricht der Mecklenburger. "Wichtig ist, wie wir spielen. Und wir haben ganz gut gespielt."
Karim Bellarabi: Ein ebenso überraschendes wie starkes Debüt auf der rechten Angriffsseite des 24 Jahre alten Leverkusener, der in der vergangenen Saison noch mit Eintracht Braunschweig in die zweite Liga abgestiegen war. Nur, Sie ahnen es, hat das mit dem Toreschießen auch bei ihm nicht funktioniert. So ging mit seinem ersten Länderspiel "zwar ein Traum in Erfüllung", aber zufrieden war er nicht. "Leider hat es nicht gereicht." Dabei war er einer der Besten in der DFB-Elf, von Nervosität kaum eine Spur, dafür um so mehr von Spielwitz, Schnelligkeit und Zweikampfstärke. Prädikat: vielversprechend.
Mario Götze: Der 22 Jahre alte Münchner wirkte nach seinem 38. Länderspiel ein wenig ernüchtert. Das hing wenig überraschend mit der schlechten Chancenverwertung der deutschen Mannschaft zusammen. "Selbst wenn wir heute noch eine halbe Stunde weitergespielt hätten, hätten wir kein Tor gemacht. Das war einfach nicht unser Tag." Götze war als zentraler, offensiver Mittelfeldspieler in Abwesenheit des verletzten Mesut Özil viel unterwegs, tauschte stetig mit Thomas Müller in der Angriffsspitze den Platz und war auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass es einige Male so aussah, als könnte der DFB-Elf doch ein Tor gelingen. Nur geklappt hat es am Ende dann nicht.
André Schürrle: Da der Dortmunder Marco Reus verletzt ist, musste Löw die Stelle auf der linken Angriffsseite neu besetzen. Er entschied sich für den 23 Jahre alten WM-Endspiel-Siegtor-Vorlagengeber vom FC Chelsea - und gegen Lukas Podolski. Schürrle flitzte und rochierte in seinem 42. Länderspiel wie eh und je - allerdings ohne zählbares Ergebnis. Nach der Pause baute er stetig ab, der Bundestrainer hatte nach 77 Minuten ein Einsehen, nahm ihn raus und ließ den 29 Jahre alten Lukas Podolski vom FC Arsenal spielen. Der schoss in seinem 119. Länderspiel gleich den Ball mit voller Wucht an die Latte des polnischen Tores. Wäre eine schöne, wenn auch arg kitschige Geschichte gewesen, von wegen in Polen geboren und so. Wollte sich nicht darüber beklagen, dass er nicht wie erhofft in der Startelf stand. "Ich weiß die Situation gut einzuschätzen. Den Rest entscheidet der Bundestrainer."
Thomas Müller: Der 25 Jahre alte Münchner bestritt sein 59. Länderspiel als Angreifer in der Sturmmitte. Tja, er gab wie immer alles, ackerte, rannte und schoss den Ball, wenn es irgendwie ging, in Richtung gegnerisches Tor. Das Resultat ist bekannt. Prädikat: glücklos. Beteuerte: "Wir schießen ja nicht absichtlich daneben." Ansonsten sei er "Gott sei Dank kein erfahrener Spieler im Umgang mit Niederlagen". Das sei einfach "ein beschissenes Gefühl".
Quelle: ntv.de