Fußball

Ein Pokalkampf zum Verlieben Mentalitäts-Riese BVB frisst die Wildgewordenen

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Augenscheinlich recht zufrieden: Salih Özcan und Marco Reus.

(Foto: REUTERS)

Ein Geschenk des kleinen Nachbarn, ein Handelfmeter nach minutenlangem Videobeweis und ein sehenswertes Kontertor: Borussia Dortmund hat in einem heißen Ruhrpottderby bei frostigen Temperaturen das Viertelfinale im DFB-Pokal erreicht.

Fußball sollte immer so sein wie in Bochum an diesem Mittwochabend. Kein Schnickschnack, kein Gigantismus, kein Hochglanz, einfach nur ein leidenschaftliches Spiel. Offenes Visier, manchmal offene Sohle, und lange ein offener Ausgang, ehe Marco Reus einen perfekten Konter für Borussia Dortmund zum 2:1 (1:0) vollendete. Der Kapitän musste ein Zuspiel von Jude Bellingham nur noch über die Linie drücken. 20 Minuten plus Nachspielzeit waren fortan noch zu spielen, doch auf den brechend vollen Tribünen des Ruhrstadions ahnten sie, dass dieses Tor dieses DFB-Achtelfinale entschieden hatte. Und sie hatten recht. Der BVB jubelte, der gastgebende VfL und seine Anhänger trauerten erhobenen Hauptes. Mehr war nicht drin gewesen. Und das war dann auch gut so.

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Emre Can erzielte ein tolles Tor.

(Foto: IMAGO/Moritz Müller)

Denn im Ruhrgebiet sind die Dinge immer dann gut, wenn man alles versucht hatte. Wenn das nicht reicht, dann reicht es eben nicht. Und mit dieser großmütterlichen Weisheit arbeiteten die Bochumer die bittere Niederlage auf. "Wir müssen das Ausscheiden akzeptieren, dürfen aber auch stolz auf unsere Leistung sein", befand Trainer Thomas Letsch. "Wir haben ein Spiel auf Augenhöhe gesehen." Allerdings mussten die Gastgeber sich erst ein wenig sammeln und strecken, ehe sie dem schwarzgelben Giganten gierig und gallig in die Augen sehen konnten. Nach 15 Minuten hatte sich bei den Bochumern jenes Feuer entzündet, mit dem die Gästefans das Stadion mit seinen 26.000 euphorischen Zuschauern unmittelbar vor dem Anpfiff in dichten Nebel gehüllt hatten.

Mentalität? Ab in die Emscher!

Die VfLer rannten den BVB wie die Wildgewordenen an, sie malochten wie einst die Vorfahren der Stadt in den Schächten der Region. Auf einem Platz, der mehr Acker als roter Teppich für Feingeister war, hielt der BVB aber dagegen. Immer mal wieder muss sich das Team ja anhören, dass es mit der Mentalität nicht so weit hergeholt ist. Wenn dieses Spiel ein Heatcheck für die Spannung innerhalb der Dortmunder Mannschaft war, dann kann das verteufelte M-Wort mit einem schweren Anker auf Nimmerwiedersehen in der Emscher versenkt werden. "Wir haben uns heute gegen alle Widerstände gewehrt und den Kampf angenommen", lobte Trainer Edin Terzić. Fünf Siege in den fünf Spielen des neuen Jahres stärken den Glauben an eine erfolgreiche Saison. "Es war nicht immer so, dass wir den Kampf vorher nicht angenommen haben. Aber jetzt machen sie es mit einer Konstanz, die wir auch brauchen. Man sieht, wir stehen da als Team auf dem Feld", urteilte Torwart Gregor Kobel.

Dieses Derby, das B1-Derby (das Kind muss schließlich einen Namen haben), war so herrlich Old School, so herrlich wild, wie dieses Spiel einmal war, als der Spitzenfußball noch nicht durchkomponierte Ensemble von Hoch- und Höchstbegabten waren, die nur darum ringen, wer der erste Milliarden-Profi der Welt werden wird.

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Stimmungsvolle Derby-Kulisse.

(Foto: IMAGO/Beautiful Sports)

Da war zum Beispiel Christopher Antwi-Adjei, der Bochumer Flügelstürmer, der mit 29 Jahren so besessen und fleißig ist wie nie. Dessen Intensität im Anlaufen und Seite-Entlangsprinten jedes Duracell-Häschen blamiert. Der ein Kämpfer ist, authentisch, nicht schillernd. Auch wenn sein Ertrag nicht immer in einem guten Verhältnis zum Aufwand steht. Da war Millionen-Mann Emre Can, den sie in Dortmund gerne losgeworden wären, der nun aber seinen ersten, zweiten oder dritten BVB-Frühling erlebt (je nach Fansicht). Ein Typ, der das Mittelfeld mit aller Leidenschaft beackert. Ebenso wie sein Nebenmann an diesem Abend, Salih Öczan. Für die beiden Fußballer mit türkischen Wurzeln war es ein besonderes Spiel, sie waren mit ihren Gedanken bei den vielen Erdbeben-Opfern in der Türkei und in Syrien. Can konnte das zumindest für 90 Minuten ausblenden.

Was macht der Riemann denn da?

Unmittelbar vor der Pause verlor er den Fokus nicht, erkannte, dass Bochums Keeper Manuel Riemann nach einer katastrophalen Klärungsaktion vom Flügel ins Zentrum viel zu weit vor dem Tor stand und schoss, der Ball trudelte auf skurrile Weise ins Tor. Von all den spektakulären Distanztoren der jüngeren Vergangenheit war es das seltsamste. Wegen der Entstehung und eben der Art, wie Can den wilden Ausflug von Riemann verwertete - und danach den Trauerflor an seinem Arm küsste. Die Führung für den BVB, sie war verdient, der Zeitpunkt eigentlich perfekt. In den Minuten zuvor hatten Jude Bellingham, ein immer noch erst 19 Jahre alter Mann des modernen Milliardenspiels mit der niemals alternden Mentalität eines großen Anführers, und Youngster Jamie Bynoe-Gittens beste Gelegenheiten liegengelassen.

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Minutenlang am Monitor: Schiedsrichter Tobias Stieler.

(Foto: dpa)

45 Minuten wilder Kampf hingen im Stadion, ein rassiges Duell hatte sich unter dem Flutlicht aus den vier großen Strahlern zugetragen. Und es war das passiert, was sie sich in Bochum erhofft hatten: bloß keine schnelle Entscheidung für den Favoriten. Bierträger um Bierträger wurden auf die Tribünen geschafft, der Glaube an das Wunder war längst nicht gefressen. So stark wie manche den BVB geredet hatten, nach einem perfekten Re-Start in der Bundesliga nach der WM, so stark spielte er an diesem Abend nicht auf. Aber er hielt eben wuchtig dagegen und blieb über die Qualität der Einzelspieler gefährlich. Mentalität krachte auf Mentalität. Mitten im Pott. Fußball-Romantiker waren längst verliebt in dieses Spiel. Das allerdings zur Pause lediglich eine Knospe dessen war, was dann auf dem Rasen, Pardon, auf dem Acker "anne Castroper" erblühte.

In Bochum wittern sie das ganz große Ding

Waren die Bochumer in den ersten 45 Minuten wie die Wildgewordenen angerannt, so steigerten sie dieses Pensum mit Wiederanpfiff noch einmal. Ein passender Komparativ oder Superlativ müsste erfunden werden. Die Hütte brannte, dieses Mal allerdings nicht im schwarzgelben Pyroleuchten, sondern angezündet von den VfL-Fans, die das ganz große Dingen gegen den Bayern-Jäger witterten, der sich vom klappernden Hinrunden-Riesen wieder zu einem stolzen Fußball-Hünen aufgerichtet hatte. Kevin Stöger und Philipp Förster grätschten, was das Zeug hielt und orchestrierten einen Wuchtfußball, der den BVB erdrückte. Antwi-Adjei brach zweimal durch und scheiterte zweimal an Dortmunds überragendem Keeper Kobel, einmal jagte der völlig entfesselte Förster einen Ball am Tor vorbei, alles zwischen der 54. und 58. Minute. Längst hatte sich das Stadion erhoben. Ein fortwährendes, peitschendes Donnern trieb die Bochumer nach vorne - und zum Elfmeterpunkt.

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Völlig verzweifelt: Manuel Riemann.

(Foto: REUTERS)

Minutenlang hatte Stieler zuvor eine Szene auf Anraten des Video Assistant Referee (VAR) am Monitor studiert. Bynoe-Gittens war an der Strafraumgrenze angeschossen worden. Stieler, mit dessen genereller Spielleitung die Fans alles andere als einverstanden waren, sah zunächst einen Elfmeter. Streitbar, ganz sicher. War es Hand? War es im Sechzehner? Aber war es auch eine klare Fehlentscheidung? Und gab es nicht unmittelbar vor dem angeblichen Handspiel ein Bochumer Foul an Bynoe-Gittens? Fragen, auf die es mehr Blicke auf die Dinge gab, als hilfreich waren. Der Schiedsrichter blieb schließlich bei seiner Meinung, Stöger traf sicher. Für fast fünf Minuten war der alte Fußball aus dem Stadion gewichen und hatte Futter geliefert, wie dringend der VAR eine Anpassung in den Punkten Klarheit und Entscheidungsgeschwindigkeit braucht.

Quarterback Riemann flankt und flankt

Bochum im Rausch. Längst hat das Publikum seinen Frieden mit dieser Mannschaft gemacht, die fürchterlich in die Saison reingestümpert war, die über die Schalke-Posse um Ex-Trainer Thomas Reis jede Stabilität verloren hatte und mittlerweile mit einer eigenen Galligkeits-DNA über fast jeden Heimspielgegner herfällt. Davor hatte BVB-Coach Terzić vor dem Spiel gewarnt. Und er sah nun, dass seine Mannschaft zwischen den Zähnen des Gegners hing. Er reagierte, brachte unter anderem Marco Reus. Und dessen erste nennenswerte Aktion war eine gute. Er drückte den Ball nach einem perfekten (aus Dortmunder Sicht) und plumpen (aus Bochumer Sicht) Konter nicht nur über die Linie, sondern den folgenden Tor-Schock mitten rein ins Herz der Blauweißen.

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Die Dortmunder zogen sich in den Abnutzungskampf zurück. Die Außenbahnen überließen sie den schnellen VfL-Angreifern, von denen mit Gerrit Holtmann noch einer eingewechselt worden war. Immer wieder brachen die müder und unkonzentrierter werdenden Bochumer durch, fanden im kompakten Kollektiv aber keine eigenen Abnehmer mehr. Von allen Seiten segelten die Flanken herein, aber vor allem auf die Köpfe von Mats Hummels, der mal wieder von Beginn an spielen durfte, von Niklas Süle und Nico Schlotterbeck.

Riemann, der sich von seinem ebenso wilden wie fatalen Ausflug erholt hatte, agierte als Quarterback. War im Dortmunder Strafraum oder drumherum. Er wollte es unbedingt erzwingen, wie in der vergangenen Saison, als er mehrfach Bochumer Pokalheld geworden war. Vergebens. Seine letzte Flanke segelte ins Aus. Doch statt Ecke gab es Abpfiff. Der BVB tanzte im Gästeblock, der VfL wurde vor der eigenen Ostkurve gestreichelt. Fußball sollte einfach immer so sein wie in Bochum an diesem Mittwochabend.

Quelle: ntv.de

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