Younes als EM-Coup für Löw? Der Typ "Thomas Müller" vom Bolzplatz
25.03.2021, 10:07 Uhr
So macht's Spaß. Nicht nur Amin Younes.
(Foto: imago images/Sven Simon)
Dreieinhalb Jahre fehlte Amin Younes im Aufgebot der Fußball-Nationalmannschaft. Dafür gibt es gute Gründe. Gründe, die ein unschönes Kapitel in der Karriere des 27-Jährigen erzählen. Nun aber ist er zurück und gibt Joachim Löw etwas Besonderes.
Wenn es einen frühkindlichen Fußball-Darwinismus gibt, dann auf dem Bolzplatz. Dort, wo die Regeln selbst gemacht werden. Dort, wo das Recht des Besten gilt. Wenn man auf dem Bolzplatz bestehen will, dann muss man den Ball beherrschen, manchmal unkonventionelle Lösungen finden. So wie Amin Younes es tat. Und wie er bis heute tut. In Unterrath, einem Stadtteil von Düsseldorf, hat er sich in diesem kindlichen Fußball-Darwinismus behauptet.
Und ist heute Nationalspieler. Wieder Nationalspieler. Dreieinhalb Jahre nach seiner bislang letzten Nominierung, beim 5:1 des DFB-Teams gegen Aserbaidschan im Oktober 2017 war's, ist er zurück im Kader von Joachim Löw. Irgendwie überraschend, aber irgendwie auch nicht. Denn seine zuletzt so beeindruckenden Auftritte für Eintracht Frankfurt rechtfertigen die Rückkehr in den Elitekreis des deutschen Fußballs absolut. Dabei kommt Younes aus einem karrierebedrohenden Tief, das geprägt war von falschen Entscheidungen und schlechten Beratungen.
Die Geschichte im Zeitraffer erzählt sich so: Bei Borussia Mönchengladbach schaffte er aus der Jugend den Aufstieg zum Bundesliga-Profi. Um mehr Spielzeit zu bekommen, wechselte er zum Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern. Das gelang auch wegen Verletzungen nicht, er musste gar dreimal in der Regionalliga-Reserve aushelfen.
Weil aber U21-Nationaltrainer Horst Hrubesch das Vertrauen in ihn nicht verlor, ihn für die EM nominierte, Younes dies mit starken Leistungen rechtfertigte, bekam er ein Angebot von Ajax Amsterdam - wo er sich auf Top-Niveau etablierte. Im Rückblick sagt er: "Dort habe ich mir wahrscheinlich auch meine Bissigkeit und Aggressivität angeeignet." Nach zwei starken Jahren kam es aber zum Eklat.
Unschöner Abschied aus Amsterdam
Im März 2018 verweigerte er gegen den SC Heerenveen kurz vor Ende seine Einwechslung, weil er sie für "unnötig" hielt. Er wurde aus dem Kader gestrichen und sofort in die zweite Mannschaft versetzt. Schließlich wechselte er nach seinem Vertragsende im Sommer nach einer kuriosen Posse um Doppelverträge mit dem SSC Neapel und dem VfL Wolfsburg in die Serie A - ein erfolgloses Engagement, das mit der Leihe nach Frankfurt nun vorübergehend ein gutes Ende fand. "Ich bin für alles, was ich tue, selbst verantwortlich und trage die Konsequenzen", erklärte er im Herbst 2018. "Ich habe Fehler gemacht. Ich habe den falschen Menschen vertraut, war naiv. Das kreide ich mir an."
Aber statt Frust und Fehlentscheidungen geht's nun wieder nur um Fußball. Und um Ambitionen, die ein Spieler mit seinen Anlagen haben darf, haben muss. "Mein EM-Traum ist sehr, sehr groß", betonte er am Dienstag bei einer Medienrunde: "Mein Ziel ist, dabeizubleiben und an meine guten Leistungen anzuknüpfen." Und mit seinem so besonderen Spiel kann er für Joachim Löw zu einem EM-Coup für seine letzte Mission als Bundestrainer werden.
"Er ist ein Spieler, der besondere Akzente setzen kann. Er ist stark im Eins-gegen-Eins, kann auch den letzten Pass spielen. Er ist ein Spieler, der nach vorne hin einige Ideen hat." Es sind wichtige Ideen, die gegen tief stehende Mannschaften helfen können, dann, wenn das angestrebte schnelle, vertikale Spiel sich in engen Abwehrgeflechten verfängt. Er ist ein Thomas Müller, ein Freigeist, ein anderer. Mehr Duellspieler als Raumdeuter.
Younes allerdings mag es nicht, wenn man ihn bloß auf sein Dribbelvermögen reduziert. "Mich nervt das immer ein kleines bisschen, wenn ich ehrlich bin." Er sei natürlich ein Fan "von der Bolzplatzmentalität, von den spektakulären Dingen. Da kann man sich viel aneignen und lernen. Dort habe ich gelernt, mich in direkten Duellen durchzusetzen". Wichtig sei es jedoch, komplett zu sein. "Zum Fußball gehört für mich mehr. Deshalb versuche ich, wie jeder bei uns, auch gut gegen den Ball zu arbeiten. Ich versuche, vielfältig zu sein, um der Mannschaft zu helfen."
Das können nicht mal Sané und Gnabry
Bei der Eintracht hat er sich auch als ein Schlüsselspieler im Gegenpressing bewährt. Löw hat diese Fortschritte ebenfalls erkannt. "Defensiv hat er sich verbessert. Ich sehe ihn gerne. Ich mag diesen Spielertyp. Amin ist immer unter Feuer. Man sieht ihm den Spaß und die Freude an."
Younes bringt mit seinem Spiel etwas zusammen, das es im Kader so nicht gibt. Auch nicht bei den durchsetzungsstarken Flügelstürmern Serge Gnabry und Leroy Sané. Und so wirbt der offensive Mittelfeldspieler vehement dafür, künftig wieder mehr auf den Straßenfußballer zu vertrauen. Jugendtrainer und auch Journalisten dürften nicht vorschnell kritisieren, "dass der Spieler bei zehn Versuchen drei-, viermal hängen bleibt. Und dass es drei, vier, fünf Jahre dauert, bis der Spieler diese Qualität perfektioniert", sagte er dem "Kicker".
Die Bereitschaft und Geduld fehle da ein bisschen. In Deutschland würde auch der immer gleiche Typ Spieler gefördert: "Taktisch gut, sauber beim Passspiel von A nach B. Aber: Wer geht am Gegner vorbei, wer macht ungewöhnliche Dinge? Das entwickelt sich nur, wenn du es auch zulässt."
Doch über allem schwebt der nahende Abschied von Löw im Sommer nach 15 Jahren. DFB-Teammanager Oliver Bierhoff hat bei der Mannschaft eine "Verbundenheit mit dem Trainer" bemerkt. Das gilt auch für Amin Younes. "Ich habe nicht so eine Verbindung wie die Jungs, die länger dabei sind", sagte Younes, aber: "Es wäre etwas ganz Großes, ihm zum Abschluss einen Titel bescheren zu können."
Wie das geht, das hat er 2017 bewiesen, unter anderem an der Seite von Leon Goretzka und Timo Werner. Zusammen gewannen sie den Confed-Cup. Viel Spielzeit hatte Younes damals nicht, das soll sich nun ändern. Zunächst mal am Abend, wenn es in der WM-Qualifikation gegen Island geht (20.15 Uhr bei RTL und im Liveticker bei ntv.de).
Quelle: ntv.de