Fußball

Bloß kein Weißbier-Déjà-Vu Der wichtigste Goretzka, den es je gab

Leon Goretzka, auf und neben dem Feld ein wichtiger Fußballer.

Leon Goretzka, auf und neben dem Feld ein wichtiger Fußballer.

(Foto: picture alliance/dpa)

Deutschland ist wieder guter Laune, wenn es um die Nationalmannschaft geht. Hansi Flick und seine Mannschaft sorgen für zarte Euphorie. Ein Mann wird für dieses Team immer wichtiger: Leon Goretzka. Und das nicht nur auf dem Feld, sondern als Typ und Wortführer abseits des Platzes.

Leon Goretzka möchte eine Sache nicht erleben. Er möchte nicht, dass Bundestrainer Hansi Flick am Mittwochabend zu einer Wut- und Weißbierattacke ausholt. Nun beschwichtigt der Coach zwar, dass er bislang keinen Mini-Me von Rudi Völler in sich gespürt hat, wohl sei es aber so, dass er in seiner Funktion die deutliche Ansprache nicht scheut. Als Bundes-Hansi hat er davon noch nicht Gebrauch gemacht. Das ziemlich zähe Debüt gegen Liechtenstein in der WM-Qualifikation (2:0) hatte er nicht so schlecht gesehen wie viele andere. Unter anderem Lothar Matthäus. Und über das knackige 6:0 gegen Armenien im gleichen Wettbewerb herrschte ohnehin kollektive Glückseligkeit.

Auch Leon Goretzka war zufrieden. Wäre er es nicht gewesen, dann hätte er das gesagt. Denn mit seiner Meinung hält sich der Mittelfeldspieler des FC Bayern nur äußerst selten zurück. Gegen die Armenier, bis zum Sonntagabend ja Tabellenführer der Gruppe J, habe man nach längerer Zeit mal wieder ein gutes Spiel gemacht. Man kann das als kleinen Hieb gegen Ex-Coach Joachim Löw verstehen. Muss man aber nicht. Man kann auch einfach sagen: stimmt. Nun soll der erste Lehrgang, so nennen sie beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) die Zusammenkünfte der Nationalspieler, gegen Island das perfekte Ende nehmen. Nicht nur in Form von drei Punkten auf dem Weg nach Katar. Sondern auch in der Art des Spiels. Gegen Armenien war man mutig, dynamisch, aggressiv und bemerkenswert gierig.

Kaum ein Spieler ist so aufgeklärt

Auch weil Goretzka spielte. "Bestätigen" wollen sie das Armenien-Spiel nun, sagte Goretzka kurz und bündig. Peter Neururer, der ihn einst beim VfL Bochum zum Profi machte, hatte immer schon geahnt, dass der mittlerweile 26-Jährige ein ganz besonderer Spieler ist. Er hatte sogar einst behauptet, dass es in Deutschland nie zuvor solch einen Fußballer gegeben habe. Tatsächlich ist Goretzka ein ganz besonderer Typ. Am Ball sowieso, aber auch im Gespräch. Wohl kaum ein Spieler ist so aufgeklärt, wie der Junge aus dem Ruhrgebiet. Bei der Europameisterschaft in diesem Sommer hatte er der rechtsextremen "Carpathian Brigade" mit einem leidenschaftlichen Herzchen-Jubel gezeigt, dass für Hass kein Platz in unserer Gesellschaft ist. Was für eine bemerkenswerte Botschaft.

Und wenn es um Katar geht, um die WM im Unrechtsstaat in der Vorweihnachtszeit des kommenden Jahres, spricht Goretzka aus, was er denkt. Bevor er nun in Reykjavík mit Deutschland den nächsten Schritt zum umstrittenen Weltturnier machen will, sagt er: "Wir werden an der WM teilnehmen, um die Plattform zu nutzen und um weiterhin darauf aufmerksam zu machen, dass man bei der Vergabe solche Dinge wie Menschenrechte in Zukunft berücksichtigen muss."

Skandal im isländischen Fußball

Die Gegenwart ist nun aber mal eine andere. Und beim Gastgeber alles andere als eine schöne. Der Verband wird von einem massiven Missbrauchsskandal erschüttert. Die Zeiten von "Huh" und "Huh" sind längst vorbei. Das Image als Sympathieträger rund um die Welt hat hart gelitten. Goretzka wusste davon übrigens nicht, wirkte aber ehrlich schockiert, als er von der Verwicklung mehrerer Nationalspieler in den Skandal hörte.

Nun, aufgeklärt ist die Sache nicht. Dass sie Spuren bei der Mannschaft hinterlassen wird, möglich. Zuletzt hatte sich Island aber sportlich durchaus robust gezeigt. Gegen Nordmazedonien hatte die Mannschaft ein 0:2 noch aufgeholt und sich ein 2:2 erkämpft. Nordmazedonien, man erinnert sich kurz und ungern, hatte Deutschland Ende März mit 2:1 besiegt. Damals mit dabei: Leon Goretzka. Es waren andere Zeiten, düstere Zeiten, Löws Zeiten. Es waren Zeiten, in denen Goretzka zwar irgendwie Stammkraft war, aber irgendwie auch nicht. Denn im zentralen Mittelfeld war Toni Kroos gesetzt, Joshua Kimmich auch. Und İlkay Gündoğan hatte beim Ex-Trainer ebenfalls einen sehr guten Ruf.

"Haben einen guten Schritt nach vorne gemacht"

Unter Flick verändert sich das nun und der Weg ist frei für Goretzka als prägendem Spieler im DFB-Team. An der Seite von Kimmich. Beim FC Bayern hatte der neue Bundestrainer dieses Duo bereits als stabile und aggressive Achse etabliert. "Mit Jo verstehe ich mich auf dem Platz blind. Wir sind bereit, die Schwächen des anderen auszugleichen", sagt Goretzka vor der Abreise nach Island. Aber es gibt auch ein Problem: "Die Stadien werden ja zum Glück wieder voller, das macht das Coaching auf dem Platz schwieriger. Wir nehmen das gerne in Kauf und bestellen uns dann abends noch einen Kräutertee, um unsere Stimmbänder zu schonen." Wo Goretzka ist, da ist immer auch ein Spruch.

Dass die Münchner unter Flick so erfolgreich waren, das lag auch daran, dass das Zentrum mit Power, Kraft und Leidenschaft besetzt war. In Kombination mit Thomas Müller als offensivem Mann in diesem Dreieck schuf der Trainer ein Monster, dass national und international über anderthalb Jahre fast alle Gegner auffraß. Dass Flick seine Erfolgsidee auch in der Nationalmannschaft nachhängt, das hat er nie zum Geheimnis gemacht.

Das Problem gegen Island ist nur: Thomas Müller fehlt erneut verletzt. Und auch Marco Reus, der gegen Armenien wirklich prächtig aufgespielt hatte, ist schon wieder angeschlagen und kann nicht mitmachen. Ein kleines Drama aus dem hoffentlich kein Großes wird. Kompensiert werden soll der doppelte Ausfall nun vermutlich von Kai Havertz, der nach seinem kleinen Infekt wieder fit ist, oder von Jamal Musiala. Details, über die sich der Bundestrainer Gedanken machen wird und muss. "Wir werden uns auf uns selbst konzentrieren. Im Spiel mit Ball haben wir einen guten Schritt nach vorne gemacht im letzten Spiel. Im Detail werden wir heute Abend besprechen, was der Gegner mit dem Ball macht", sagt Goretzka. Vielleicht sagt Flick der Mannschaft dann auch, auf welche Spieler es zu achten gilt. In der Medienrunde wich er einer entsprechenden Frage dazu. Es wirkte allerdings auch ein wenig so, als hätte er die Namen nicht parat gehabt. Kann ja mal passieren.

"Sollten zusehen, dass Hansi nicht in so eine Situation gerät"

Passt aber auch ein wenig zu den Schwerpunkten, die Flick derzeit bei seiner Arbeit legt. "Wir haben den Gegner wenig in den Fokus gestellt und achten eher auf unsere eigenen Inhalte." Klar gehe es auch darum, "zu schauen, wo es Räume gibt, die man dann bespielen kann." Es ist eine Aufgabe, die vor allem Goretzka zukommt. Gegen Armenien erledigte er diesen Auftrag auf brillante Weise. Wo immer sich Lücken auftaten, spielte der Mann des FC Bayern den Pass dort hinein. Und ging selbst hinterher. Beim 4:0 tauchte er im Strafraum auf, legte einen Chipball von Kimmich perfekt für Timo Werner ab. Das 1:0 durch Serge Gnabry hatte er mit eben so einem Chipball selbst vorbereitet.

Goretzka ist tatsächlich einer der Schlüsselspieler im System Flick. Für Gündoğan ist das keine gute Nachricht. Es drängt sich immer mehr auf, dass das Nationalteam und der so begnadete Spielmacher von Manchester City keine erfolgreiche Symbiose (mehr) werden. Auch weil er im DFB-Team nie die Rolle spielen durfte, in der er am besten ist. Als offensiver Achter. Die moderne, die kräftige Version davon ist Goretzka. Dessen Dynamik, Körperlichkeit, dessen Tiefenpässe und Torgefahr sind für den Bundestrainer absolut unverzichtbar. Und auch die Leidenschaft und Mentalität des Spielers. Der nämlich will immer gewinnen.

Allerdings ist es ja auch so: Die legendären Ausraster im deutschen Fußball, die haben Goretzka schon immer amüsiert. "Mit meinem früheren Zimmerkollegen Max Meyer habe ich alle solche Best-Offs von den alten, rosigen Zeiten gesehen." Rosig soll es auch nun wieder werden. Und legendär. Aber anders. Und deswegen sollten "wir zusehen, dass Hansi nach dem Spiel nicht in eine ähnliche Situation gerät."

Quelle: ntv.de

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