"Das kommt selten vor" Deutsche Fehler-Elf überrascht sich selbst
11.10.2020, 08:43 Uhr
Ey, was'n los?
(Foto: AP)
Die beste Nachricht aus Sicht der deutschen Nationalmannschaft ist das Ergebnis. Dank eines knappen Erfolgs in der Nations League in der Ukraine beendet die Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw seinen Sieglos-Fluch. Überzeugt hat das Team indes wieder nicht.
Die ARD hatte einiges dafür getan, ihren Zuschauern am Samstagabend schnell ein sehr gutes Gefühl zu geben. Kaum hatte die Fußballübertragung für das Nations-League-Duell zwischen der Ukraine und der deutschen Nationalmannschaft begonnen, wurden Bilder von konzentrierten, aber entspannten Spielern eingeblendet. Ein lächelnder Toni Kroos, ein fokussierter Joshua Kimmich im Gespräch mit Joachim Löw. Die beste Besetzung in bester Verfassung. Es sollte offensichtlich niemand nach der Tagesschau sofort den Fernseher abschalten oder gar den Kanal wechseln. Lothar Matthäus hatte in seiner nationalen Anklage gegen den Bundestrainer und sein Team zuletzt solcherlei Nebeneffekte herausanalysiert.
Ukraine: Buschtschan - Karawajew, Zabarnji, Mykolenko, Eduard Sobol, Malinowski, Sydortschuk (84. Makarenko) - Kowalenko (76. Schaparenko), Jarmolenko (70. Marlos), Jaremtschuk - Zyhankow (70. Subkow). - Trainer: Schewtschenko
Deutschland: Neuer - Ginter, Süle, Rüdiger - Klostermann (90. Can), Kimmich, Kroos, Halstenberg - Goretzka, Draxler (80. Werner), Gnabry (90+3. Havertz). - Trainer: Löw
Schiedsrichter: Orel Grinfeld (Israel)
Tore: 0:1 Ginter (20.), 0:2 Goretzka (49.), 1:2 Malinowski (76., Foulelfmeter)
Zuschauer: 17.573 (in Kiew)
Gelbe Karten: Malinowski - Kroos
Und nun, an diesem Samstagabend, da ging es ja schließlich auch wieder um etwas - nicht wie beim wild ertesteten 3:3 am Mittwoch in Köln gegen die Türkei. Sowohl sportlich als auch atmosphärisch. Es ging darum, die bizarre Sieglosigkeit in diesem Wettbewerb endlich zu beenden. Es ging darum, im Jahr 2020 endlich mal wieder ein Spiel zu gewinnen. Und es ging darum, den Debatten um den Bundestrainer und den Bedeutungsverlust der Mannschaft ein bisschen die Dynamik zu nehmen.
Gelungen ist das in seiner Gesamtheit allerdings bestenfalls nur so lala. Mit 2:1 (1:0) haben Deutschlands Fußballer vor 17.573 Zuschauern im Corona-Risikogebiet Kiew gewonnen. Sie haben dabei ihre Führung ins Ziel gebracht, das war zuletzt häufiger nicht gelungen und zu einem großen Thema geworden. Unter anderem in der nationalen Anklage von Matthäus.
"Nicht die Sterne vom Himmel gespielt"
Ansonsten aber überholten sich in den 90 Minuten sehr schnell die Bilder von den konzentrierten und entspannten Nationalspielern. Überraschend schlampig war das Spiel der Mannschaft, die bis auf den angeschlagenen Timo Werner (er wurde spät eingewechselt), den verletzten Leroy Sané (Knie) und ohne Ilkay Gündogan (sammelt wieder Kraft nach seiner unangenehmen Corona-Infektion) in jener Formation auflief, die im kommenden Jahr so auch um den Titel bei der Europameisterschaft mitspielen möchte.
Belastbare Indizien, dass sie das dann kann, lieferte sie gegen die hart ersatzgeschwächte Ukraine indes nicht. "Wir wissen auch, dass wir nicht die Sterne vom Himmel gespielt haben. Das war nicht unser bestes Spiel", befand Matthias Ginter, der das 1:0 (20.) erzielt hatte. Für das zweite Tor war Leon Goretzka verantwortlich, der nach einem fatalen Fehlgriff von Heorhij Buschtschan schnell per Kopf reagierte (49.). Für den Ukrainer traf Ruslan Malinowski aus elf Metern (76.).
Ginter war derweil nicht nur selbstkritisch, er war auch überrascht von den vielen Nachlässigkeiten. Der Gladbacher kritisierte "sehr, sehr viele einfache Ballverluste". Sein Fazit: "So einfache Fehler in der Häufigkeit - das kommt bei einer deutschen Nationalmannschaft selten vor." Was Ginter, der sich zunehmend als verlässliche und stabilisierende Konstante in der hinteren Kette festspielt, sagte, fand sich in der Analyse des Bundestrainers indes kaum wieder. Zwar haderte auch Löw damit, dass "wir in manchen Phasen die Bälle zu einfach hergeschenkt haben", aber grundsätzlich war er zufrieden, "dass wir das Spiel gewonnen haben. Es ist uns nicht alles gelungen, aber einiges auf jeden Fall."
Ziemlich weit weg vom Mainstream
Zufrieden war er mit der Defensive, die "keine herausgespielten Chancen zugelassen" habe. Zufrieden war er auch mit den eigenen, herausgespielten Szenen. "Nach dem 2:0 hatten wir noch zwei, drei weitere große Chancen." Dass er indes auch eine sehr "aufmerksame und konzentrierte" Mannschaft sah, war nicht die Meinung des Mainstreams. Aber gut, mit der fremdelt Löw ja ohnehin. So reagierte er auch sehr deutlich auf die Vorwürfe der vergangenen Tage. Löws Kernbotschaft war dabei: "Ich sehe das große Ganze. Wir wissen schon, was wir machen." Kritik an ihm, seinem Kurs und der Personalauswahl sei erlaubt, sagte er, aber er stehe darüber - das wirkte seltsam entrückt. "Das erlebe ich seit 16 Jahren. Man reflektiert sich ja auch ständig selber. Ich kann die Kritik einordnen. Für uns ist wichtig, dass wir uns ständig hinterfragen und dann die Hebel ansetzen."
Schon am Dienstag (ab 20.45 Uhr in der ARD und im Liveticker bei ntv.de) geht es wieder in Köln gegen die Schweiz weiter. Löw kündigte noch in Kiew an, personell nicht viel verändern zu wollen. "Es ist wichtig, dass sich die Mannschaft einspielt. Die Mannschaft, die heute gespielt hat, war über zehn Monate nicht zusammen. Ich werde bei der Startaufstellung nicht viel ändern, wenn alle fit sind."
Quelle: ntv.de