Historiker Erik Eggers über die gedopten Helden von 1966 "Die Haltung des DFB geht so nicht"
08.08.2013, 13:30 Uhr
Waren drei von ihnen gedopt? Die westdeutsche Nationalmannschaft vor dem WM-Finale 1966 gegen England.
Auf einem Mythos des deutschen Fußballs liegt der Schatten des Dopings. Drei Spieler der WM-Mannschaft 1966 sollen gedopt gewesen sein. Das sagt der Historiker Erik Eggers, Mitautor der vieldiskutierten Dopingstudie. Im Interview mit n-tv.de spricht er über die Dopinglügen im Fußball - und schießt scharf gegen den DFB, der die Helden von Wembley verteidigt.
n-tv.de: Herr Eggers, in der Studie "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" behaupten Sie, die deutschen WM-Fußballer von 1966 seien gedopt gewesen. Welche Beweise haben Sie?
Erik Eggers: Es gibt ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass drei deutsche Spieler am Schluss des Turniers in Proben sehr feine Spuren von Ephedrin aufwiesen.
Was ist Ephedrin?
Das ist ein Amphetamin, das damals ausdrücklich auf der Dopingliste der Fifa geführt wurde als verbotene Substanz.
Woher stammt dieses Dokument?
Es handelt sich um einen Brief eines Fifa-Funktionärs, dem Jugoslawen Mihailo Andrejevic, der Chef der medizinischen Kommission der Fifa während der WM 1966. Er informierte Ende 1966 seinen Kollegen aus Deutschland Dr. Max Danz - ein Mediziner, damals Leichtathletikpräsident in Deutschland und auch im Weltleichtathletikverband aktiv. Das war quasi der Informationsfluss von den Fußballern zu den Leichtathleten. Der Brief berichtet über die Prozedur der Dopingkontrollen in England.
Er informiert seinen Kollegen und nicht die zuständigen Stellen bei der Fifa?
Im offiziellen Bericht der WM 1966 taucht der Hinweis auf die Dopingfälle ja gar nicht auf. Aber die Sachlage ist klar: Wenn Ephedrin auf der Fifa-Dopingliste steht, dazu keine Grenzwerte angegeben sind, und in Proben Ephedrin auftaucht - dann sind das drei Dopingfälle.
Ja, aber nochmal: Warum landeten die dann nie vor einem Sportgericht?
Das ist eine Frage, die wir nicht zu beantworten haben. Wir haben nur die Aktenlage zu klären. Wir könnten spekulieren: Vielleicht hatte die Fifa kein Interesse daran, dass der Fall öffentlich wird? Das sind naheliegende Fragen, die dann auftauchen. Aber es ist müßig zu spekulieren. Uns als Historiker interessiert nur die Aktenlage.
Erik Eggers (44) ist Historiker und freier Journalist. Er arbeitet unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, den Tagesspiegel und den Deutschlandfunk. Er hat zahlreiche Bücher zur Sportgeschichte publiziert, so eine Vereinsgeschichte des THW Kiel und "Die Stimme von Bern", die Biographie über den Rundfunkreporter Herbert Zimmermann. Eggers war Mitautor der Dopingstudie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute“.
Sind die Namen der deutschen Spieler vermerkt?
Nein.
Ist von weiteren Fällen die Rede?
Nein, es geht nur um drei deutsche Spieler.
Der Deutsche Fußball-Bund hat bereits reagiert - mit einer eigenen Studie, die sagt: Das war kein Dopingvergehen. Was halten sie von der Studie?
Ich habe dazu intern schon eine Stellungnahme abgegeben. In dem Gutachten wird nicht angezweifelt, dass das Dokument echt ist. Das ist wesentlich. Die Quellenkritik hat also auch beim DFB ergeben, dass dieser Brief keine Fälschung ist.
Dann argumentiert die DFB-Studie, im offiziellen Report habe es keinen Dopingfall gegeben. Das finde ich als Historiker reichlich naiv. Es gibt doch zahlreiche Fälle, die erst im Nachhinein bekannt geworden sind, die von den Sportfachverbänden verschwiegen worden sind.
Wenn der DFB sich wirklich auf den Standpunkt stellt: nur diejenigen Fälle sind Doping, die offiziell als Dopingfälle anerkannt werden – dann hätte man die Dopingstudie gar nicht durchführen müssen. Dann hätte man auch einfach studentische Mitarbeiter da hinsetzen können, die diese Fälle auflisten.
Nicht nur der DFB hat sich geäußert, sondern auch die, die dabei waren. Unter anderem Uwe Seeler, der gesagt hat, er und seine Kollegen hätten nicht gedopt - sie seien einfach viel gelaufen damals. Inwiefern kann man dem Glauben schenken?
Wir wissen von Fußballern, die öffentlich über Doping geredet haben. Heinrich Kwiatkowski hat erzählt, dass der Trainer Max Merkel 1961 von seinen Spielern bei Borussia Dortmund verlangt hat, dass sie Pervitin nehmen, das damals gebräuchlichste Amphetamin-Präparat. Es gab diese Mittel im deutschen Fußball. Darüber sind sich alle einig. Die Vorstellung, dass der Fußball eine Insel der Glückseligen war, die ist naiv.
Außerdem sind Zeitzeugen weniger wichtig für den Historiker als harte Dokumente. Zeitzeugen können sich doch gar nicht exakt erinnern, zumal wenn es um Dinge geht, die, wie hier, knapp 50 Jahre alt sind.
Auch der heutige Bayern-Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt hat am Ende der 1970er Jahre öffentlich erklärt, dass Amphetamine im Fußball sehr wohl eine Rolle spielten.
War der Umgang mit Doping früher einfach laxer?
Zumindest in den Medien wurde auch damals schon ausführlich über Doping geschrieben. Das passiert schon Anfang der 1960er Jahre nach dem Tod des dänischen Radfahrers bei den Olympischen Spielen in Rom, als eine öffentliche Debatte losgetreten wurde und auch die Politik meinte, sich für dieses Thema verantwortlich zu zeigen. Die Stellungnahme des Europäischen Rats etwa hat auch dazu beigetragen, dass es 1966 bei einer Fußball-WM erstmals diese Kontrollen gab.
Wie die Sportler damals mit Doping umgegangen sind, dazu gibt es wenig Berichte. Es gibt zum Beispiel das Buch von Toni Schumacher, "Anpfiff", der viel über Doping geschrieben hat.
Toni Schumacher, da sind wir ein wenig näher an der Gegenwart. Wie hat sich die Haltung in den Verbänden geändert?
Wenn wir über die 80er Jahre sprechen - da hat der DFB Dopingkontrollen nicht für nötig erachtet. Der Deutsche Olympische Sportbund hatte Dopingrichtlinien, aber der DFB hat sich nicht an diese Verbote gebunden gefühlt. Das war die Sachlage bis 1987, bis Toni Schumacher in "Anpfiff" erzählt hat, wie er es erlebt hat. Erst unter großem öffentlichen Druck hat der DFB über Dopingkontrollen nachgedacht. Das ist die historische Wahrheit. Der DFB hat sich noch nie als progressive Partei in Sachen Dopingbekämpfung hervorgetan. Blutkontrollen gibt es ja bis heute nicht.
Die sollen aber eingeführt werden zur neuen Saison.
Ja, das hat die Nationale Antidoping-Agentur im Juni berichtet, und das ist wirklich ein Fortschritt.
Zurück zur Fußballgeschichte: Sie haben sich nicht nur mit der WM-Mannschaft von 1966 beschäftigt, sondern auch mit den Weltmeistern von Bern 1954. Auch da gibt es einen Dopingverdacht, was sind die Hinweise?
Es wurden Spritzen verabreicht – nicht an alle Spieler, aber einige. Und das war nach den sportrechtlichen Statuten des Deutschen Sportbundes nun mal verboten. In den Spritzen soll nur Vitamin C drin gewesen sein, behauptete der damalige Sportarzt. Das ist unglaubwürdig, wenn man weiß, wie es nach Darstellung des Sportarztes zu diesen Spritzen kam.
Helmut Rahn kam demnach von einer Südamerika-Reise mit Rot-Weiß Essen zurück und erzählte Sepp Herberger, dass die Fußballer dort mehr rennen, offenbar unter Einfluss von leistungssteigernden Mitteln.
Herberger fordert dann den Sportarzt auf, den Spielern Amphetamine zu verabreichen, was dieser Sportarzt zunächst ablehnte. Fakt ist: Wir wissen nicht, was in den Spritzen tatsächlich war. Aber die Indizienlage, die konspirative Art der Spritzen, lässt eben den Schluss zu, dass es sich um ein verbotenes Präparat gehandelt hat.
Das klingt so, als hätten auch andere Mannschaften Dopingmittel eingesetzt. Hat das Umfeld es ganz einfach erfordert, zu dopen?
Was heißt Umfeld … es gehört zum Leistungssport dazu, Mittel einzusetzen, von denen man glaubt, dass sie einen voranbringen. Das ist kein Phänomen des Fußballs, das betrifft nahezu alle Sportarten. Das hat auch stattgefunden, bevor solche Substanzen verboten worden sind, schon im 19. Jahrhundert.
Wir wissen, dass der Fußballverband von Uruguay 1962 die FIFA aufgefordert hat, schon vor den Spielen auf Amphetamine zu testen, weil sie glaubten, dass zu viele Spieler und Mannschaften damit arbeiten. Die FIFA hat das nicht umgesetzt – und die WM wurde die brutalste in der Geschichte. Schauen sie sich die Spiele mal an: Chile gegen Italien, der erste Platzverweis nach 6 Minuten. Da sind viele Knochen kaputtgegangen, weil Amphetamine auch die Aggressivität fördern.
Die Weltmeistschaft von 1954 gedopt, drei Dopingfälle in der Mannschaft von 1966. Was bedeutet das für die sportgeschichtliche Bewertung dieser Mannschaften?
Ein solches Urteil war nicht unser Job. Wir wollten die Geschichte des Dopings in Deutschland rekonstruieren, und da ist Fußball nur ein Teilaspekt. Für mich ist es nebensächlich, wie diese Mannschaften bewertet werden. Ich kann meine Arbeit ja auch nicht abhängig davon machen, ob diese Bewertung danach anders ausfällt. Ich muss die Faktenlage schildern.
Glauben Sie, dass aufgrund dieser Fakten eine Umbewertung nötig ist?
Was ich glaube, ist unerheblich. Es geht nicht um Glauben, es geht darum, was als Akte da ist.
Aber der Standpunkt des DFB ist deutlich: die Mannschaften haben ihre Erfolge – die zu den größten Erfolgen des deutschen Fußballs gehören - sauber erspielt.
Dieser Standpunkt ist für mich wissenschaftlich nicht haltbar. Ein Argument ist ja auch, die Spieler hätten dieses Schnupfenmittel - in dem Ephedrin enthalten war - nur genommen, um ihre normale Leistungsfähigkeit wiederherzustellen. Dieses Argument muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Was bedeutet das denn? Dass man damals Testosteron oder Anabolika nehmen konnte, um einen vielleicht gesunkenen Testosteron-Spiegel auf den normalen Stand zu bringen, wenn man vorher zu viel trainiert hatte? War das denn kein Doping? Mit dieser Argumentation kommt man nicht weiter. Das geht so nicht.
Mit Erik Eggers sprach Christian Bartlau
Quelle: ntv.de