Glück, Geschick, van Gaal Die Tulpe lässt Bayern blühen
09.04.2010, 10:03 UhrAuch wenn sie in dieser Saison noch keinen Titel gewonnen haben - die Fußballer des FC Bayern können mit sich und der Welt zufrieden sein. Schließlich führen sie die Bundesliga an, stehen im DFB-Pokalfinale und im Halbfinale der Champions League. Dank Trainer Louis van Gaal.

Er hat aus seinen frühen Fehlern gelernt, auch wenn er Fehler nicht so nennen würde: Louis van Gaal.
(Foto: picture alliance / dpa)
Bislang, das kann man nicht anders sagen, spielt der FC Bayern unter Louis van Gaal eine herausragende Saison. Tabellenführer in der Bundesliga, zum 17. Mal im Finale des DFB-Pokals und erstmals seit neun Jahren wieder Halbfinalist in der Champions League: Diese Bilanz kann sich sehen lassen. Auch vor dem Hintergrund, dass die stolzen Bayern in der missratenen Vorsaison unter Jürgen Klinsmann gänzlich ohne Titel geblieben waren.
Bei den Bayern-Verantwortlichen sorgt die Chance auf das erste Triple der Vereinsgeschichte für gehörige Zufriedenheit. Sie wissen natürlich, dass noch nichts gewonnen ist. Aber so schlimm wie im Vorjahr kann es schon jetzt nicht mehr werden. Den Status als beste deutsche Mannschaft sehen sie bereits wieder zementiert, hat Präsident Uli Hoeneß am Wochenende wissen lassen. In Europa dürfen sie sich nun auf Augenhöhe mit jenen Spitzenteams sehen, die nicht FC Barcelona heißen.
Devote Töne aus München
Was nach dem Sieg auf Schalke aus München zu vernehmen war, erinnerte stark an die übliche bajuwarische Arroganz, mit der sie in München der Bundesligakonkurrenz gern von oben herab zu begegnen pflegen. Sofern sie denn oben stehen. Nach dem glücklich, aber verdienten Viertelfinal-Erfolg über Manchester United klangen die Töne weitaus versöhnlicher, für rekordmeisterliche Verhältnisse sogar devot. Aus gutem Grund.
Es ist noch kein halbes Jahr her, da stellte der FC Bayern nach dem Fiasko mit Jürgen Klinsmann alles in Frage. Trotz neuem Trainer mit Starattitüde und Transferausgaben von über 80 Millionen Euro befanden sich die Bayern selbstverschuldet im Dilemma. In der Liga lagen sie weit zurück, in der Champions League standen sie gar vor dem Vorrunden-Aus. Trainer-General Louis van Gaal drohte die vorzeitige Absetzung, auch wenn Hoeneß das später vehement bestritt. An die Chance aufs Triple glaubte im Oktober niemand mehr.
Sie haben die Kurve bekommen
Im Frühjahr 2010 erinnern an den stürmischen Münchner Herbst 2009 keine mosernden Kommentatoren, die den Bayern deren Erfolge missgönnen. Es ist Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, der das tut, zuletzt beim Festbankett in Manchester. In der Retrospektive fällt diese kritische Selbstbeschau freilich leicht, schließlich haben die Bayern die Kurve bekommen, mit Louis van Gaal. Als es im November so schien, als hätten sie bereits alles verspielt, verloren die Bayern plötzlich kein Pflichtspiel mehr, 18 Partien lang. Mehr noch: Sie bestanden in allen entscheidenden Spielen: erst bei Juventus Turin, später in Florenz, zweimal auf Schalke, nun in Manchester.
Van Gaal hat aus seinen frühen Fehlern gelernt, auch wenn er Fehler nicht so nennen würde. Journalisten hält er zwar weiterhin per se für Fußballlaien, die Nase trägt er bei seinen launigen Pressekonferenzen aber inzwischen weniger hoch. Eine Folge: Seine bisweilen oberlehrerhafte Besserwisserei wird ihm inzwischen als herber Charme ausgelegt, sein zunächst arg ruppiger Umgangston ist merklich sanfter geworden, extern und intern. Die Mehrheit der Mannschaft, die er anfangs mit seiner auf Ballbesitz und konsequentem Passspiel basierenden Spielphilosophie überfordert hat, schätzt und versteht den Niederländer inzwischen. Erfolg schweißt zusammen und entspannt, auch in München.
Klinsmann hatte keine echte Chance
Nach dem Projekttrainer Jürgen Klinsmann, der in München keine echte Chance hatte und die nicht nutzen konnte, haben die Bayern mit van Gaal nun einen Prozesstrainer. So nennt sich der Niederländer gern selbst. Schon bei seiner ersten Pressekonferenz forderte er für seinen Prozess, dem FC Bayern die van Gaal'sche Spielphilosophie zu vermitteln, jene Zeit ein, die die Vereinsoberen Klinsmann nicht geben wollten – weil sie ein Konzept dort nicht erkennen mochten.
Nun, im Frühjahr 2010, ist die Prozessmannschaft FC Bayern in ihrer Entwicklung weiter, als es die meisten erwartet haben, auch der Bayern-Vorstand. Im Viertelfinal-Rückspiel gegen Manchester United spielten die Bayern 591 Pässe, 457 davon erfolgreich, sie hatten 60 Prozent Ballbesitz – und mit dieser Spielweise Erfolg. Nur Titelverteidiger FC Barcelona kam beim 4:1 gegen den FC Arsenal auf bessere Werte - 62 Prozent Ballbesitz/609 Pässe, davon 509 erfolgreich.
Louis van Gaal hat das nötige Glück …

Ein Wagnis: Holger Badstuber versucht, mit Manchesters Antonio Valencia mitzuhalten.
(Foto: dpa)
Trotz allen Erfolgs agiert van Gaal wie seine Mannschaft mitnichten fehlerlos. In Manchester schickte er sein Team mit der Vorgabe aufs Feld, United erst tief in der eigenen Hälfte zu attackieren. Resultat waren drückend überlegene Gastgeber, wiederholte Konfusionen in der Abwehr und drei Gegentreffer nach 41 Minuten. Dass der Trainer den als Linksverteidiger heillos überforderten Badstuber im Spiel ließ, war ein ebenso großes Wagnis wie die Entscheidung von Manchesters Coach Alex Ferguson, den starken aber mit Gelb vorbelasteten Rafael nicht auszuwechseln. Der Unterschied: Van Gaal hatte das nötige Glück, nicht zum ersten Mal in dieser Saison.
Die aus der Not geborene Entscheidung, Bastian Schweinsteiger im ersten "Tod oder Gladiolen"-Spiel der Saison, dem zweiten Champions-League-Gruppenspiel gegen Maccabi Haifa als Sechser in die Mittelfeldzentrale neben Kapitän Mark van Bommel zu beordern, erwies sich als glückliches Geschick. Schweinsteiger spielt seitdem als Stratege in der Mittelfeldzentrale besser denn je und ist eine zentrale Stütze des Aufschwungs. Im Achtelfinal-Hinspiel gegen den AC Florenz verhalfen den Münchnern eine unberechtigte rote Karte und ein Abseitstor zum 2:1-Sieg.
… und vor allem Arjen Robben
Auch Arjen Robben, den die Bayern nach ihrem schwachen Ligastart mit zwei Punkten aus drei Spielen noch mal eben so für 25 Millionen Euro von Real Madrid verpflichtet haben, war ein absoluter Glücksgriff, Bayerns Schlüsseltransfer der Saison. Mit seinen zehn Ligatoren und den Treffern auf Schalke (Können), in Florenz (Glück) und Manchester (Glück + Können) hat Robben die Saison der Bayern nicht nur im Alleingang gerettet. Er hat mit seinen teils kunstvollen Einzelaktionen auch kaschiert, dass den Münchnern bei allem Ballbesitz und Ballgeschiebe zuletzt oft die Mittel fehlten, um sich Tore herauszuspielen, auch in Manchester. Die verdient verlorenen Ligaspiele gegen Frankfurt und Stuttgart sind Beleg dafür. Und nicht zuletzt hat der Robben-Transfer vergessen gemacht, dass abgesehen vom unermüdlichen Ivica Olic alle anderen Neuzugänge bislang mehr (Baumjohann, Braafheid, Timoschtschuk) oder weniger (Pranjic, Gomez) gefloppt sind.
Bei allem Glück bleibt unbestritten, welchen Anteil van Gaal an der bislang herausragenden Saison der Bayern hat. Als erster Trainer seit 2001 hat er die Bayern unter die besten Vier in Europa geführt. Unter dem Niederländer und dessen exakter Spielidee hat der deutsche Rekordmeister auch international eine beeindruckende Siegermentalität entwickelt. Ob van Gaals Verpflichtung als ähnlicher Coup in die Klubgeschichte der Bayern eingehen wird wie die Ernennung von Pep Guardiola zum Barca-Trainer, wird sich erst im Mai zeigen: in der Liga, im Pokalfinale und im Champions-League-Endspiel, sofern die Bayern die Hürde Olympique Lyon nehmen.
Denn bei aller Sympathie für van Gaal und Prozesse: Was bei den Bayern zählt, sind Titel. Das weiß der Niederländer: "Ich denke nicht, dass man in zwei Jahren noch über den Halbfinalplatz der Bayern sprechen wird."
Quelle: ntv.de