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Der FC Bayern und Louis van Gaal Selbstverschuldet im Dilemma

Es sollte alles so schön werden, mit Louis van Gaal und dem FC Bayern. Alles neu, alles besser – endlich so gut, wie die Bayern sich das vorstellen. Nach dem Missverständnis mit dem Klubtrainernovizen Jürgen Klinsmann hatten sie im Sommer den niederländischen Fußballlehrer als Heilsbringer verpflichtet, um endlich in den Kampf um die europäische Spitze einzugreifen. Doch jetzt ist alles so wie vorher, nur schlimmer.

Fußballlehrer: Louis van Gaal.

Fußballlehrer: Louis van Gaal.

(Foto: dpa)

Der nach der Spitzenplatz-losen Saison ersehnte Gipfelsturm in der Bundesliga ist ausgeblieben, die Wiedergutmachung in der Champions League für das blamable 0:4 in Barcelona im April droht zur Farce zu werden. Und das war seinerzeit immerhin ein Viertelfinale. Nun hat der FC Bayern gegen Bordeaux zum ersten Mal seit fünf Jahren ein Heimspiel in der Gruppenphase der Champions League verloren. Erstmal seit sieben Jahren droht das Aus in der Vorrunde. Kritik am Trainer verkneift sich die Chefetage aber – was nicht sein darf, darf auch nicht benannt werden. Weil Kritik an Louis van Gaal nach dem Fiasko mit Jürgen Klinsmann auch die infrage stellen würde, die ihn verpflichtet haben. Weil die Entlassung van Gaals eine Bankrotterklärung für den Vorstand wäre. Allen voran an Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge.

Elf Spieltage sind in der Fußball-Bundesliga absolviert, vier in der Champions League. In beiden Wettbewerben läuft der FC Bayern seinen eigenen Ansprüchen weit hinterher. 18 Pflichtspiele hat der FC Bayern unter Louis van Gaal absolviert. Seine Bilanz: Neun Siege, fünf Unentschieden und vier Niederlagen. Das bedeutet Platz sechs in der Bundesliga, Rang drei in der Champions-League-Gruppe und das Erreichen des Viertelfinales im DFB-Pokal. Mit Jürgen Klinsmann in der vergangenen Saison waren es nach 18 Partien elf Siege, ebenfalls fünf Unentschieden und nur zwei Niederlagen. Das sind die nackten Zahlen.

Ein kreatives Nichts

Bittere Wahrheit auf dem Platz: Luca Toni im Spiel gegen Bordeaux.

Bittere Wahrheit auf dem Platz: Luca Toni im Spiel gegen Bordeaux.

(Foto: AP)

Doch das, was auf dem Platz geschieht – oder besser: das, was nicht geschieht – ist noch viel bitterer für den FC Bayern. Wenn Ottmar Hitzfeld nach der Niederlage gegen Bordeaux sagt: "Das war Rasenschach und kein Tempofußball", dann trifft er den Nagel auf den Kopf. Der FC Bayern unter Louis van Gaal – das ist eine Mannschaft, die, wenn es nicht der FC Bayern wäre, wegen ihrer spielerischen Armut aufrichtiges Mitleid verdient hätte. Ein kreatives Nichts, die Spieler verunsichert und nervös.

Louis van Gaal ficht das nicht an. Wer nachliest, was er nach den Spielen in dieser Saison gesagt hat, der stellt fest: Der FC Bayern hat 18 der 18 Begegnungen klar dominiert. Eine Stammformation hat der Meistertrainer allerdings noch nicht gefunden. Vor jeder Partie ändert er Aufstellung und Taktik – weil er das Beste für den Verein will. "Ich muss die Spieler im Zusammenhang mit ihren Mitspielern wählen", sagt er, wenn er auf die häufigen Rochaden angesprochen wird.

"Ein Fachmann, das genaue Gegenteil von Klinsi"

Der Vergleich mit Jürgen Klinsmann, ungeliebter Vorgänger des Niederländers, verbietet sich dennoch. Zumindest offiziell. Schließlich wurde der Rekordmeister vor der aktuellen Spielzeit auf der Trainerbank mit einem "Fachmann, das genaue Gegenteil von Klinsi" (Bayern-Präsident Franz Beckenbauer) und auf dem Rasen für rund 80 Millionen Euro verstärkt und damit für 80 Millionen Euro mehr als unter Klinsmann – nur vier europäische Klubs gaben im Sommer 2009 mehr aus. Und nicht zuletzt waren Klinsmanns häufige Rochaden in den Augen seiner Kritiker Ausdruck seiner Ahnungslosigkeit und Unerfahrenheit als Trainer, die er durch bedingungslosen Einsatz und Arbeitszeiten von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang auszugleichen suchte.

Van Gaal bekannte kurz nach seinem Dienstantritt: "Wenn ich in der Säbener Straße aus der Garage fahre, dann denke ich nicht mehr an Fußball. Dann denke ich an meine liebe Frau und daran, was wir machen können." Deshalb sehe er mit 58 Jahren auch noch sehr jung aus

Ungeliebter Klubtrainernovize: Jürgen Klinsmann.

Ungeliebter Klubtrainernovize: Jürgen Klinsmann.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Dass Jürgen Klinsmann die Bayern nach elf Bundesliga-Spieltagen zu 21 Punkten (van Gaal: 19 Zähler) geführt hatte und in der Champions League als Gruppensieger in die K.o.-Runde, darf keinesfalls das Theater um die Buddhas auf dem Dach und den absolut wahnwitzigen Anspruch vergessen lassen, jeden Spieler – also auch Christian Lell! - jeden Tag besser machen zu wollen. Unter van Gaal machen die Spieler besser, was seine Trainermajestät anordnet, schließlich war der Niederländer Mitte der 1990er Jahre mal richtig erfolgreich mit dieser Arbeitsweise.

Selbstverschuldet im Dilemma

Damit nicht genug der Unterschiede: Bei Klinsmann fragte sich die Fußballwelt in der Vorsaison nach schlechten Spielen, warum er die Bayern nicht besser spielen lässt, und nach guten Spielen, warum der Gegner so schlecht gewesen war. Nun lautet die Frage: Warum setzen die Spieler die Vorgaben des Meistertrainers einfach nicht um, vor allem dessen auf Links dilettierenden Wunschspieler Danijel Pranjic und Edson Braafheid?

Nach ihrer mutlosen 180-Grad-Wende vom unerfahrenen Motivator und Rotator Jürgen Klinsmann zum erfahrenen und prinzipientreuen Fußballlehrer und Rotator Louis van Gaal stecken die Bayern-Bosse selbstverschuldet in dem Dilemma, auch konstruktive Kritik am neuen Trainer im Keim erstickt zu haben. Weil Selbstkritik im Gegensatz zu Eigenlob an der Säbener Straße verpönt ist und nach grandios schlecht geredeten Projekt Klinsmann unbedingt wieder Erfolge hermussten, wurde dem Holländer der rote Teppich bis nach Alkmaar ausgerollt. Die bedingungslose Unterordnung unter van Gaal hat wiederum dazu geführt, dass sich der Niederländer nicht nur gegenüber vermeintlichen Experten wie Oli Kahn und Lothar Matthäus beratungsresistent zeigt, sondern auch vereinsintern eine bemerkenswerte Sturheit an den Tag legt.

Dezente Hinweise der Chefetage, dass die Fehleinkäufe Pranjic und Braafheid nicht zwingend in jedem Spiel auflaufen müssen, um irgendwann ihre Tauglichkeit doch noch unter Beweis zu stellen, ignoriert der Niederländer. Gleiches gilt für die Tatsache, dass das von ihm verordnete Ballgeschiebe zwar Ballbesitz-Quoten sicherstellt, die an Wahlergebnisse in der DDR erinnern, aber auf den Rängen und in der VIP-Lounge nur mäßige Verzückung erzeugt, da bestenfalls "so lala"-Siege (Hoeneß) dabei herausspringen.

Van Gaal setzt seinen Kopf durch

Ungeliebter Rekordeinkauf: Mario Gomez, rechts.

Ungeliebter Rekordeinkauf: Mario Gomez, rechts.

(Foto: REUTERS)

Lieber setzte van Gaal seinen Kopf durch und Rekordeinkauf Mario Gomez trotz ordentlicher Torausbeute zu Saisonbeginn auf die Bank. Um ganz sicher zu gehen, dass dem Edeljoker jegliches Selbstvertrauen abhanden kommt, wiederholte van Gaal mehrmals, mit der Gomez-Verpflichtung nichts zu tun gehabt zu haben.

Hinzu kommt, dass forsche Wortmeldungen aus der Chefetage wie nach der Nullnummer in Stuttgart von Manager Hoeneß ("Wir werden noch vor Weihnachten auf Platz eins stehen") in schöner Regelmäßigkeit bereits mit der Leistung im folgenden Spiel konterkariert werden. An der Tatsache, dass die Bayern die bestbesetzte Bank der Liga haben und richtig viele Jokertore schießen, mag sich aufgrund des offensichtlichen Zusammenhangs auch niemand erwärmen.

Immerhin hält sich van Gaal in seinem Leid mit den Bayern-Profis, Fehlentscheidungen der Schiedsrichter und dem unwilligen Fußballgott mit öffentlicher Kritik zurück. Nach der Niederlage gegen Bordeaux fiel ihm nur ein: "Das Leben geht weiter." Seinen Spielern gab er einen Tag frei, um auf andere Gedanken zu kommen.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass der FC Bayern gerade dabei ist, bereits die ganze Saison zu verspielen. Ein beängstigendes Szenario – zumindest für die Münchener. Dabei sollte doch alles so schön werden, mit dem Fußballlehrer Louis van Gaal.

Quelle: ntv.de

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