Arsenals unmenschlicher DruckGestresster FC Bayern verliert im Londoner "Chaos" die Kontrolle

Das Spiel beim englischen Tabellenführer FC Arsenal ist der nächste Härtetest für den FC Bayern. Er endet mit der Erkenntnis, dass die Münchner doch nicht unbesiegbar sind. Trainer Vincent Kompany bleibt gelassen.
Wie reagiert eine Mannschaft auf etwas, das sie noch nicht erlebt hat? Vorerst sehr anständig, so lässt es sich über den FC Bayern an diesem Mittwochabend berichten. Zum ersten Mal in dieser Saison ging ein Pflichtspiel der Münchner verloren. Beim FC Arsenal wurden die Fußballer von Trainer Vincent Kompany erdrückt und verloren das Topduell der Champions League mit 1:3 (1:1).
Noch während der Partie haderten sie damit, dass Torwart Manuel Neuer vor dem 0:1 bedrängt worden war. Durch einen Block vor einer Londoner Ecke kam er nicht dorthin, wo er hätte sein müssen. Kompany regte sich an der Seitenlinie fürchterlich auf. Aber ein Foul, das vom VAR zurückgenommen hätte werden müssen, war es nicht. Eher internationale Härte und danach auch noch Zeit für Neuer, die Position zu korrigieren. Kompany wollte später, als die Niederlage besiegelt war und er zur Analyse bereitstand, auch nicht mehr auf diese Szene in der 22. Minute eingehen. "Ich mag keine Ausreden, wir haben verloren. Lasst uns ehrlicherweise sagen, dass Arsenal besser war."
Kompany begeisterte sich vor allem für die Spielorganisation der "Gunners", die auch noch auf einige Leistungsträger wie Martin Ödegaard verzichten mussten, wie die Bayern freilich auch. "Sie kontrollieren das Spielmomentum unheimlich gut und haben ein gutes Spielmanagement", lobte der Bayern-Coach und ärgerte sich dann doch kurz über den Schiedsrichter. "Wenn dann noch der Schiri kleine Fehler macht, manchmal ist es gar nicht so groß, es ist ein Einwurf für die oder für uns oder kleine Fouls. Aber wenn das falsch ist, hast du eine Phase von anderthalb, zwei Minuten, wo du verteidigen musst. Diese Details sind sehr wichtig."
Lennart Karl pfeift auf Zurückhaltung
Vor allem in der zweiten Halbzeit war Arsenal besser. Von Minute zu Minute erhöhte die Mannschaft den Druck. Der FC Bayern bekam kaum noch Luft zum Atmen. Das Pressing der Londoner nahm noch aberwitzigere Formen an als noch vor der Pause. Bis zum Wechsel waren die Münchner ein gleichstarker Duellant im Ring gewesen. Sie hatten den frühen Schreck rasch weggespielt. Joshua Kimmich spielte Serge Gnabry mit einem sensationellen Ball auf der rechten Seite frei, der legte sofort in die Mitte ab, wo Lennart Karl herangerauscht kam und den Ball direkt verwertete. Das war nicht nur schwierig, sondern auch großartig.
Der 17-Jährige hatte in London den Startelf-Platz von Luis Diaz eingenommen, der nach seiner Grätsche gegen PSG gesperrt fehlte. Ein Problem für die Münchner war das nicht. Das Gegenteil war der Fall. Karl spielte, als wäre er für solche Gigantenduelle geboren. Zuletzt hatte Bayern-Patron Uli Hoeneß eindringlich angemahnt, den Hype um Karl zu bremsen. Aber wie soll das gehen, wenn er solche Tore erzielt? Wenn er sich um den großartigen Arsenal-Spielgestalter Declan Rice windet wie eine listige Schlange? Wenn er auch im Gegenpressing voll auf der Höhe ist und eben ein Tor erzielt, das ganz viel über die Wichtigkeit des Spiels erzählt?
Als der Ball eingeschlagen war, explodierte Trainer Kompany an der Seitenlinie. Wer den Spielstand nicht im Blick hatte, konnte angesichts der Heftigkeit der Emotionen denken, etwas Großes sei erreicht worden. Es war indes (nur) der Ausgleich. Die Münchner sind in dieser Saison brutal auf Spannung. Sie wollen Fußball-Europa in jedem Spiel beweisen, dass sie die Besten sind. Nach Jahren der Enttäuschung in der Königsklasse, nach vielen zu frühen K. o. saß bislang jeder Hieb im Kampf darum, die Krone zu behalten.
"Vom Gefühl waren wir in der ersten Halbzeit besser"
Die hatten sich Kompanys Männer mit ihrer Ungeschlagen-Serie in dieser Saison aufgesetzt. Und so auch den inoffiziellen Titel des Klub-Weltmeisters erspielt, der ging nun an die Londoner. Egal, ist ohnehin eher eine Sache für den Nerd. Kompany wollte mit dem Zurückliegenden auch nicht lange hadern, er wollte die Dinge richtig einordnen. "Vom Gefühl waren wir in der ersten Halbzeit besser", befand er. Die Münchner hatten mehr Ballbesitz, spielten mehr Pässe und hatten ein gutes Timing im Pressing. Aber viele Chancen hatten sie nicht. Kurz nach dem 1:1 wäre mehr drin gewesen, wenn Josip Stanisic nicht egoistisch aufs Tor geschossen hätte, sondern Karl, Michael Olise oder Harry Kane angespielt hätte.
Die Münchner hatten das Momentum gedreht. Sie hatten wieder einmal ihre erstaunliche Resilienz in dieser Saison auf den Rasen gebracht. "Ich hatte das Gefühl, wenn wir so in der zweiten Halbzeit weitermachen, dann können wir das Ding noch gewinnen", so Kompany. "Doch wir sind nicht gut aus der Kabine gekommen und haben die einfachen Sachen nicht mehr so gebracht, wie wir es normalerweise machen." Die Leichtigkeit des Spiels erstickte im Druck der Londoner, die wie die Münchner auch unbedingt darauf aus sind, es der Welt zu zeigen. In den vergangenen Jahren gab es gigantische Investitionen, aber keine Titel. Diese Last möchte das Team von Mikel Arteta unbedingt abschütteln. Vielleicht müssen sie es endlich auch.
Das Spiel wurde immer mitreißender. Die Bayern suchten Lösungen, fanden aber nur Arsenal-Spieler. Was für ein Pressing. Und immer wieder diese Ecken und Freistöße, die so wahnsinnig gefährlich sind. Standard-Guru Nicolas Jover hat den ruhenden Ball beim FC Arsenal zur gnadenlosen Waffe gemacht. Das 1:0 war bereits das zehnte Standard-Tor in dieser Saison. Das fasziniert auch den Münchner Sportvorstand: "Sie verbreiten Chaos. Chaos kannst du nicht verteidigen. Sie verwirren, kommen im Block, bleiben lang, bleiben in der Mitte, kommen kurz - du weißt, dass sie mit drei, vier Mann an einer dieser Stellen stehen. Aber du weißt eben nicht wann und wo", sagt Max Eberl. "Jede Szene ist aufgebaut, um den Gegner zu schikanieren und den Schiedsrichter ein Stück weit auf seine Seite zu ziehen, um diese Standardsituationen zu bekommen."
Die Bälle flogen von links herein, von rechts. Vor Manuel Neuer brannte es mehrfach lichterloh. Bis zur 69. Minute fanden sie immer noch ausreichend Löschwasser, um die Brände rechtzeitig einzudämmen. Dann spielte Dayot Upamecano einen Pass in die Füße von Rice. Arsenal schaltete um, am Ende stand Noni Madueke frei und traf zum 2:1. Was eine gigantische Erlösung. Wieder knallten die Emotionen.
Neuer erklärt seine Sicht auf den Ausflug
Das Spiel flog hin und her, die Bayern übernahmen und kassierten den finalen Schlag. Michael Olise versuchte sich im Dribbling, verlor den Ball und Sekunden später stand es 3:1 für die Gastgeber. Eberechi Eze drehte nach Ballgewinn auf, spielte einen Pass in die Tiefe auf Gabriel Martinelli. Der Brasilianer war erst schneller als Kimmich und dann auch noch vor Neuer am Ball, der ganz weit rausgelaufen war. Martinelli legte den Ball vorbei und hatte freie Bahn. Da sah der Keeper unglücklich aus.
"Wenn du zurückliegst, ist es einfach so, dass man ein bisschen mehr Risiko gehen muss", befand Neuer. "Der Pass ist gut, er kommt nicht so richtig in die Tiefe. Ich habe gesehen, dass Martinelli ein bisschen schneller ist als Jo (Kimmich) und dass es zu einem Eins-gegen-Eins und einer Großchance kommen würde, das war mir schon klar." Er habe daher versucht, die Situation vorher "zu beseitigen, aber er nimmt den Ball gut zur Seite mit, der Touch war gut - und ich komme da nicht mehr hin. Wobei ich wusste, dass ich großes Risiko gegangen bin." Fazit also aus Neuers Sicht: kann passieren.
Ebenso wie die Niederlage. "Jeder kann verlieren, das ist das Leben - und der Fußball auch", sagte Trainer Kompany: "Ich würde es sehr gerne nochmal versuchen." Da wird sich Kompany, da wird sich der FC Bayern gedulden müssen - am liebsten bis weit hinein in die K.-o.-Phase, die trotz der ersten Pleite nach vier Siegen in der Königsklasse und dem Sturz von Platz eins auf Rang drei weiter greifbar ist. "Die Champions League", betonte Kompany bei DAZN, "wird nicht jetzt entschieden, wir haben heute nichts verloren". Nichts außer dem ersten Spiel der Saison. Dass das etwas mit seinen Spielern macht, glaubt Kompany nicht: "Ich habe das Gefühl, dass die Jungs wieder Hunger haben."