Fußball

Klassenkampf gegen Schalke 04? Diva Rot-Weiss Essen stürmt mit Drama durch die 3. Liga

Liebe eher auf den dritten Blick: Christoph Dabrowski hatte bei den Fans von RWE lange ein sehr schweren Stand.

Liebe eher auf den dritten Blick: Christoph Dabrowski hatte bei den Fans von RWE lange ein sehr schweren Stand.

(Foto: IMAGO/Maximilian Koch)

Rot-Weiss Essen schafft in der vergangenen Saison mit Ach und Krach den Klassenerhalt. Die Fans wüten gegen den Trainer - ein halbes Jahr später ist er der gefeierte Mann. RWE schnuppert in der 3. Liga vorsichtig am Aufstieg, aber natürlich nicht ohne Drama.

Auszug aus einem Whatsapp-Chat mit einem Fan von Rot-Weiss Essen: "Sag noch einmal was Positives über den Dabrowski". Dahinter ein feuerroter Wut-Smiley, geschickt am 7. Oktober 2023. An jenem Sonntag hatte sich der Kult-Klub an der heimischen Hafenstraße mit 0:5 vom SC Verl vorführen lassen. Es war die zweite Klatsche binnen drei Tagen, zuvor waren die Rot-Weissen bei Aufsteiger SpVgg Unterhaching mit 0:4 abgesoffen. Kaum jemand im Umfeld der Essener konnte verstehen, was da nun wieder los war. Denn die Debakel reihten sich an den furiosen Heimsieg gegen das alles dominierende Team der 3. Liga, an das 3:1 gegen Dynamo Dresden.

Nun gibt es wohl kaum eine Fangemeinde, die häufiger vor Rätsel gestellt wird, als die der Essener. Vielleicht noch jene der wankelmütigen Borussia aus Dortmund. Aber wenn bei RWE in den vergangenen Jahren etwas vorzüglich funktioniert hat, dann die Unvorhersehbarkeit der eigenen Leistung. Jahrelang kämpfte der Traditionsverein, der auf ewig mit den alten Helden Willi "Ente" Lippens, Helmut Rahn oder Horst Hrubesch verbunden ist und unter dem Schutz der verstorbenen Legende Pelé steht, sich durch die Niederungen des nordrhein-westfälischen Fußballs, verzweifelte am Nadelöhr der Schweineliga (Regionalliga West), ehe zur vergangenen Saison endlich die Rückkehr ins Profitum gelang.

Launenhaftigkeit als Teil der Klub-DNA

Und wieder schlug die rot-weisse Diva knallhart zu. Das Launenhafte ist so tief in der DNA dieses Klubs verankert, dass die Fans mit ihren rasenden Gefühlen zwischen totaler Euphorie und Weltuntergangsstimmung selbst nicht Schritt halten können. Und so muss sich niemand wundern, dass am vergangenen Sonntag im Stadion Rufe für den Trainer, für Christoph Dabrowski angestimmt wurden. Für jenen Dabrowski, den die allermeisten Fans zum Ende der vergangenen Spielzeit am liebsten vom Hof gejagt hätten. Zwar wurde das Saisonziel Klassenerhalt erreicht, aber souverän war's nicht. Schals und Shirts mit Rauswurf-Slogan waren in der Mache. Und auch zu Beginn dieser Saison tat er sich schwer, die Herzen des Anhangs zu erobern. Schnell war der Trainer wieder als das Grundübel ausgemacht. Die im Sommer groß umgebaute Mannschaft - weniger große Namen, mehr große Typen (Körperlichkeit war das Stichwort) - lieferte nicht so, wie man das qua ungeschriebenem Klubgesetz hätte tun müssen. Bedeutet: Malochen bis zum Umfallen.

Diese passionierte Verzwergung des Fußballglücks unterscheidet Rot-Weiss Essen von vielen anderen Vereinen - auch in der Region. Klar, die Ergebnisse müssen passen. Aber das ganz große Glück waberte durch den Stadtteil Borbeck, wenn die Trikotfarbe der Spieler nicht mehr zu erkennen ist. Wer braucht schon Doppelpässe oder Tiki-Taka? Und so ist auch zu erklären, wie Anhang und Spieler in dieser Saison zusammengewachsen sind. Auf dem Feld wird gerannt und geackert, auf dem Feld wird Fußball gearbeitet. Der Geist der glorreichen industriellen Vergangenheit trägt sich in die Hafenstraße zurück. So muss dat halt. Fünf Siege in Serie hat es nach dem Verl-Debakel gegeben. Zum Vergleich: In der wackeligen vergangenen Spielzeit waren es insgesamt nur acht sportliche und einer am Grünen Tisch.

Und dann fliegt der Kapitän raus ...

Aber lediglich mit gelebter Tugendhaftigkeit ist der unerwartete Aufschwung der Essener, der den Klub mittlerweile, nach 15 Spieltagen, auf Rang drei hochgespült hat (drei Punkte ausgerechnet vor Verl), nicht zu erklären.

Eine Personalentscheidung hat den Wind drehen lassen. Drei Tage nach der vernichtenden Klatsche gegen Verl überraschten die Rot-Weissen mit dem Rauswurf von Kapitän Felix Bastians. Und sie warfen ihrem Anführer, der schon für den SC Freiburg, Hertha BSC und den VfL Bochum gespielt hatte, giftige Worte hinterher: Er sei der Erwartungshaltung, "als Kapitän nicht nur auf dem Platz seine Leistung zu bringen, sondern darüber hinaus als Leader auf dem Platz und in der Kabine voranzugehen, zunehmend nicht mehr nachgekommen. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, bewerten wir allesamt diese Maßnahme nicht nur als notwendig, sondern als alternativlos, um einen klaren Impuls zu setzen", hieß es in der Mitteilung. Man werde nur erfolgreich sein, "wenn Befindlichkeiten und Egoismen hinten angestellt werden und sich alle zu 100 Prozent dem großen Ganzen unterordnen."

Last-Minute-Siege sorgen für Euphorie

Hat funktioniert. Bereits im folgenden Spiel. 10.000 Fans aus Essen reisten nach Dortmund, um die Mannschaft gegen den BVB zu unterstützen. Gegen deren Zweitvertretung. Ein irrsinniger Ansturm, den so wohl kaum ein anderer Drittligist stemmen könnte. Die Liebe zu diesem Verein ist grenzenlos, egal wie groß die Schmerzen sind. Das Spiel fand im ehemaligen Westfalenstadion statt, RWE siegte 2:1 und hört seither nicht mehr auf mit dem Gewinnen. Und wie gut diese Erfolge manchmal schmecken. Beim massiv ums Überleben kämpfenden MSV Duisburg schoss sich RWE den Ball in der 89. Minute erst selbst ins Netz, um dann vier Minuten später zu eskalieren, 2:1. Derby-Siege setzen die ganz großen Emotionen frei. Nicht weniger dramatisch und mitreißend: Das 2:1 gegen Arminia Bielefeld, auch dort kollabierte der Anhang kurz vor Spielende, als der Ausgleich gefallen war. Doch wieder taten die Spieler alles, um das Ruder in der 91. Minute herumzureißen. Sie waren erfolgreich.

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Die bisher letzte Station der Auferstehungsreise, der vergangene Sonntag. Heimspiel gegen Waldhof Mannheim, unter den Augen von Klublegende Otto Rehhagel, 2:0 und plötzlich hymnische Verehrung für den Trainer: "Olala, wir haben einen Trainer, olala, Dabro wunderbar". Der gab sich dem Moment der Zuneigung nur kurz hin und betonte hernach: "Für den Moment sind wir sehr happy, aber wir sind schon Realisten – das Umfeld und die Fans vielleicht außen vor." Nachricht per Whatsapp vom RWE-Fan: "Jetzt Relegation gegen Herne West!"* Drei Tränen lachende Smileys dazu - und die Warnung: "Aber erstmal noch 13 Punkte für den Klassenerhalt."

*Anmerk. d. Red.: der derzeit abstiegsbedrohte Zweitligist FC Schalke 04

Quelle: ntv.de

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