Camavinga ist Reals Zukunft Der Sensations-Linksverteidiger, der keiner sein will
10.05.2023, 18:11 Uhr
Eduardo Camavinga hat sich als Leistungsträger bei Real Madrid etabliert.
(Foto: IMAGO/Gruppo LiveMedia)
Eduardo Camavinga ist die wohl größte Entdeckung bei Real Madrid in dieser Saison. Auf der linken Abwehrseite wuselt der 20-jährige Athletik-Freak durch gegnerische Defensivreihen und lehrt auch Manchester City das Fürchten. Dabei spielt er gar nicht auf seiner bevorzugten Position.
Eduardo Camavinga ist 20 Jahre alt und damit schon so etwas wie ein erwachsenes "Wunderkind" -dieser Hype-Stempel, mit dem vielversprechende Talente schnell mal versehen werden. Genau so erging es auch Camavinga. Vier Jahre bevor er im Champions-League-Halbfinale gegen Pep Guardiolas Wundertruppe glänzte, stürmte er mit gerade einmal 16 Jahren in Frankreich die große Fußball-Bühne. Als jüngster Spieler der französischen Liga gelang ihm in diesem Alter, in dem er ja noch nicht einmal alleine Autofahren durfte, für Außenseiter Stade Rennes ein entscheidender Assist - ausgerechnet gegen den unbeliebten Giganten Paris St. Germain. Jene Debütsaison 2019/20 brachte dem Jungprofi den Durchbruch und dicke Offerten. Im Spätsommer 2021 unterschrieb der Linksfuß dann bei Real Madrid - für gerade einmal 31 Millionen Euro. Angesichts der ansonst oft schwindelerregenden Summen, geradezu ein irdisches Schnäppchen.
Während er in seiner ersten Real-Saison sehr oft von der Bank als Joker kam, ist Camavinga in dieser Spielzeit, vor allem seit Jahresbeginn, kaum mehr aus der Madrider Startelf wegzudenken. Bis auf zwei Spiele wurde Camavinga immer eingesetzt, und zwar auf ganz unterschiedlichen Positionen. Es ist so eine Sache mit Fußballer-Weisheiten. Camavinga beherzigt definitiv eine: Er spielt da, wo der Trainer ihn aufstellt. Der Trainer heißt in diesem Fall Carlo Ancelotti und "wo" die linke Abwehrseite der "Königlichen".
"Für mich kann er auf dem Platz überall spielen. Wenn ich ihn als Mittelstürmer aufstelle, erfüllt Camavinga seinen Job. Wenn ich ihn als Innenverteidiger aufstelle, erfüllt er seinen Job, denn er hat etwas Besonderes. Mit seinen Eigenschaften ist er ein besonderer Spieler", erklärte Ancelotti.
Camavinga hilft Real Madrid überall
Einstweilen hat der Franzose kongolesischer Abstammung seinen Platz auf der linken Seite gefunden. Davon profitiert auch Vordermann Vinicius Junior. Zusammen bildet das Duo eine linke Power-Seite, die Gegnern Tempo-Albträume beschert. Das zeigte sich einmal mehr auch im Giganten-Treffen bei Manchester City im Halbfinal-Hinspiel der Champions League (1:1). Dieses Spiel war quasi ein Kurz-Abriss der Fähigkeiten des Real-Profis.
Über die Außenbahn preschte Camavinga immer wieder mit dem Ball am Füßchen in die City-Hälfte rein, zeigte Dribblings, grätschte in der Defensive ab und sorgte für einen der Glanzpunkte des Abends. Mit einem langen Solo ab Sechzehner-Höhe machte er im Stile eines Footballers Meter für Meter gut, leitete das 1:0-Traumtor von Vinicius Junior ein. Mit 20 Jahren und 180 Tagen avancierte er damit zum jüngsten Assistgeber in einem Königsklassen-Halbfinale, meldeten Statistikdienstleister.
Keine Zweifel: Der Youngster ist voll angekommen bei Real, wenn auch auf der "falschen" Position. Ob er es denn möge, als Linksaußen zu spielen? "Nein, immer noch nicht", antwortete er auf die Fragen der Journalisten.
Denn es ist so: Der Profi fühlt sich eigentlich im Mittelfeld, zentral und/oder offensiv, zu Hause, das ist seine Wohlfühloase. Hier lernte er bei Stade Rennes das Kicken. Doch bei Real Madrid spielt er seit Wochen, seit der Verletzung von Linksaußen Ferland Mendy, gezwungenermaßen auf der linken Abwehrseite. Und das erstaunlich gut und souverän für sein Alter. Ancelotti konterte seinen Spieler aus: "Er mag es nicht - wir schon."
Ihm gehört die Zukunft
Camavingas Stärken helfen ihm dabei, auf der ungewohnten Position zurechtzufinden. Er ist technisch beschlagen, dribbelstark, schnell, wendig, athletisch, fast schon mehr Tänzer als Fußballer. Und damit ja perfekt für Real.
Wobei auch beim einstigen "Wunderkind" noch Lüftchen nach oben ist. Sein Stellungsspiel, die Abschlussstärke und Passgenauigkeit sind schwankend. Auch hierfür ist das Spiel gegen City ein gutes Exempel. Mit einem recht schlampigen Pass in die Zentrale, der dann von City abgefangen wurde, leitete Camavinga ungewollt den Gegentreffer von Kevin De Bruyne ein.
Trotzdem war er mit seinen Zweikämpfen, Ballgewinnen und Aktionen einer der wichtigsten Spieler an diesem Abend in Madrid und unterstrich, was Real an ihm hat und welches Potential da noch schlummert. Mit seinen Tempoläufen und Dribbel-Einlagen erinnert der 1,82 Meter große Spieler an den jungen Gareth Bale in Topform (Golfen gehört nach allem, was man weiß, nicht zu einem Hobby von Camavinga, dafür ausgiebiges Playstation-Spielen). Das Erstaunliche: Nach einem Jahr bei Real Madrid hat er schon fast alles gewonnen, was es im Klubfußball zu gewinnen gibt. Champions League, Klub-Weltmeisterschaft, spanischer Meistertitel, den spanischen Pokal und den europäischen wie nationalen Supercup. Auch hier steht er nun ganz vorne vor Vereinsikone Iker Casillas - als jüngster Real-Profi, der alle sechs wichtigen Klub-Titel gewonnen hat.
Erfolge sollen auch bei der französischen Nationalelf folgen. Auf sieben Länderspiele kommt Camavinga derzeit. Bei der WM 2022 in Katar spielte er ein Gruppenspiel über 90 Minuten, wurde im Finale für Stammkraft Theo Hernandez auf der linken Seite eingewechselt uns sah von dort aus die große Mbappé-Finalshow, die bekanntlich aber ohne Happy End blieb. Durch das verlorene Finale steht auf Länderspiele-Ebene "nur" der Nations-League-Titel 2021 als größter Erfolg. Während links Hernandez den Weg versperrt, ist auch das französische Mittelfeld gespickt mit Topspielern wie Real-Kollege Aurelien Tchouameni, Adrien Rabiot, Wesley Fofana und Dauerbrenner N'Golo Kanté. Trotzdem dürfte Camavinga bei der EM 2024 als Startelf-Kandidat der Franzosen ins Rennen gehen.
Der Fußball-Tausendsassa hätte auch für den Kongo oder Angola starten können, entschied sich aber für die französische Nationalelf. Die französische Staatsbürgerschaft erhielt er Ende 2019. Ein weiter Weg. Seine Eltern stammen aus dem Kongo, geboren wurde er in einer angolanischen Enklave. Im Alter von zwei kam er mit seinen Eltern nach Nord-Frankreich. Über Judo fand er den Weg zum Fußball, in Rennes wurde fortan das rohe Talent geschliffen.
Lebenslang Real?
Die Stade-Rennens-Schule hatte einst schon Ausnahmetalent Ousmane Dembélé durchlaufen, anders als der Ex-Dortmunder ist Camavinga noch nicht mit Streiks oder derlei Zickereien aufgefallen. In der spanischen Hauptstadt streckt man nicht nur deswegen schon die Hände aus, um Camavinga noch länger zu binden. Bei Real ist man sich sicher, dass Camavinga die Gegenwart und Zukunft gehört. Er ist nicht nur eine eierlegende Wollmilchsau auf dem Platz, sondern auch ein Versprechen für die nächste Real-Ära, die schon bald anbrechen soll - zusammen mit Vinicius Junior und Rodrygo gilt er als die Achse der Zukunft.
Der aktuelle Vertrag läuft bis 2027. Am liebsten würde sein Schützling für immer bei Real spielen, trompetete jüngst sein Berater. Eine angeblich festgeschriebene Ausstiegsklausel von einer Milliarde Euro machte die Runde. Auf welcher Position Camavinga zukünftig bei Real aufläuft, ist noch nicht geklärt, für den Klub auch zweitrangig. Wenn die in die Jahre gekommenen Klub-Granden Toni Kroos und Luka Modrić in naher Zukunft den Platz im Mittelfeld freimachen, wird der 20-Jährige wohl auch dort gebraucht.
Camavinga spielt sowieso dort, wo ihn der Trainer aufstellt. Eine gute Nachricht für Real. Eine schlechte Nachricht für die Konkurrenz.
Quelle: ntv.de