De Bruyne rettet City-Stehgeiger Real Madrid zähmt das gierige Monster Haaland
10.05.2023, 07:16 Uhr
Hatte nur wenig Chancen: Erling Haaland.
(Foto: IMAGO/Shutterstock)
Real Madrid gegen Manchester City - mehr geht aktuell nicht im Weltfußball. Im ersten Teil des Gipfeltreffens fallen schöne Tore, einen Sieger gibt es aber nicht. Für die Königlichen ist das die schlechtere Nachricht, denn eigentlich hatten sie alles richtig gemacht.
In manchen Momenten, es waren nicht einmal wenige, hatte dieses Spiel etwas von einem äußerst gemütlichen Sonntagsspaziergang. Mit der Engelsgeduld der abgekochtesten Mannschaft in Europa ertrug Real Madrid im Halbfinal-Hinspiel der Champions League fast schon gelangweilt das Ballbesitz-Spektakel von Manchester City vor allem in den ersten 45 Minuten. Von links nach rechts wanderte der Ball von Fuß zu Fuß der Stehgeiger der Skyblues. Wohin er aber nicht wanderte: in die Tiefe. Dort, wo das gierige Monster lauert, das den Weltfußball seit Monaten aufschreckt. Doch an diesem Dienstag fand Erling Haaland vorübergehend seine Meister: David Alaba und Antonio Rüdiger. Diese Verteidigungs-Gladiatoren nahm den Norweger aus dem Spiel, so wie ihre Vorderleute alle Zuarbeiter Haalands an die Kette gelegt hatten.
Es hätte der nächste große Abend der Königlichen werden können, die nächste magische Nacht, in der dieses Ensemble seine surreale Erfolgsgeschichte fortschreibt -chancenlos in der Liga, abgehängt vom ewigen Rivalen FC Barcelona, aber gnadenlos in den Do-or-Die-Spielen. Doch es wurde eben ein Abend, der mit einer Enttäuschung endete. Weil Real nach einem fantastischen Tor von Vini Junior verpasst hatte, ein weiteres nachzulegen und weil Manchester ein Tor erzielt hatte, das nicht hätte zählen dürfen, reisen die Madrilenen in der nächsten Woche mit einem 1:1 nach England. So wie RB Leipzig im Achtelfinale, ehe sie beim Wiedersehen mit 7:0 vermöbelt worden waren. Nun ist Madrid nicht Leipzig. Die Mannschaft von Carlo Ancelotti ist mit höchsten Weihen dekoriert, ganz frisch mit der Copa del Rey, und mit den abgezocktesten Hunden im Weltfußball. Da geht immer was.
"Ein 1:1, das sicher irgendwo ein bisschen bitter ist"
Und dennoch wissen sie darum, dass sie im ersten Duell (womöglich zu) viel haben liegengelassen. "Vielleicht ist es irgendwo okay, wir waren vielleicht näher dran", haderte der glänzende Abwehrchef Alaba bei Amazon Prime Video. "Wir haben die Möglichkeit, das 2:0 zu machen, und dann sieht das Ganze etwas anders aus. Jetzt stehen wir mit einem 1:1 da, das sicher irgendwo ein bisschen bitter ist." Weil nun halt das "wahrscheinlich schwierigste Auswärtsspiel" bevorsteht, "das es aktuell gibt im europäischen Fußball", wie Teamkollege Toni Kroos befand, der sowohl Bewacher von Kevin de Bruyne war, dem wohl einzigen Weltfußballer, der (noch) nie Weltfußballer war, als auch Regisseur aus der Tiefe. Aber Kroos sah es eben auch so: "Ich glaube, man hat gesehen, dass wir absolut auf Augenhöhe sind. Wir haben gezeigt, was wir entgegenzusetzen haben. Wir wissen natürlich, dass es nicht das ideale Ergebnis ist, aber ohne Auswärtstorregel ist es auch kein so schlechtes."
Und sie hatten tatsächlich alles reingeworfen, was sie haben. Sie hatten Thibaut Courtois, der das parierte, was seine Vorderleute nicht wegverteidigt bekamen und nur einmal gegen den tollen Schuss seines Landsmannes de Bruyne machtlos war. Sie hatten die Abwehrhelden Alaba und Rüdiger, sie hatten Dani Carvajal, der Gegner Jack Grealish mit aller Härte (auch unerlaubter) die Freude am Dribbling nahm. Sie hatten Eduardo Camavinga, den überragenden Youngster, dessen schlampiger Fehlpass ins Zentrum allerdings das 1:1 ermöglichte. Bitter für ihn und Real: Der Ball war zuvor im Aus, das Tor entstand also aus einer irregulären Situation. Und natürlich hatten sie Luka Modrić, der mit seiner Außenrist-Genialität immer eine gute Lösung fand, und Kroos, der nahezu fehlerfrei agiert hatte. Das Zentrum war dicht, alle Räume auch. Haaland hatte keinen Platz und keinen Spaß. Aber es war eben auch so: Gegen Leipzig revanchierte er sich nach schwacher Hinspielleistung mit einem Fünferpacker. Und vorne spielten Tempodribbler Vini Junior, Karim Benzema und Rodrygo, immer gefährlich.
Vini Junior weckt das Stadion auf
Das Spiel begann wie erwartet. Manchester City übernahm sofort die Kontrolle, passte in aller Seelenruhe und suchte in der Zermürbung die Chance. Real konterte nach drei Minuten einmal wundervoll, verpasste aber den guten Abschluss. Danach wurde es ein hitziger Tanz am königlichen Strafraum. Die Hochbegabten auf beiden Seiten holten ihr rustikales Handwerkszeug raus. So rasselten die DFB-Freunde Rüdiger und İlkay Gündoğan hart aneinander. Der Abwehr-Hüne hatte Glück, dass er ohne Karte davonkam. Ein Schlüsselmoment in diesem Spiel, denn City verlor hernach mehr und mehr die Kontrolle. Und Real ging in Führung. Camavinga zog einen furiosen Sprint an, ließ sich den Ball von Modrić zwischendrin wunderschön in den Lauf legen, passte rechtzeitig zu Vini Junior, der den Ball wuchtig ins Tor hämmerte (36.). Der Brasilianer feierte ausgiebig, haute sich auf die Brust, küsste das Logo auf seinem Trikot und zündete das Stadion emotional an, das sich zuvor sehr darauf konzentriert hatte, die Ballbesitzstafetten von City flächendeckend mit Pfiffen zu begleiten.
City schüttelte sich kurz, rannte weiter an und wurde mehrfach zu Boden gerissen. Carvajal schubste Grealish in die Bande, Kroos räumte Gündoğan ab. Künstler im Kampfmodus. Kroos sah Gelb und gestand später mit einem Lächeln: "Das passiert auch, ich kann nicht so gut foulen." In der Pause stellte Madrid dann um. Ancelotti ließ seine Mannschaft laufen, diese plötzliche Offensive überraschte City spürbar. Doch je mutiger Real wurde, je näher sie sich an das 2:0 heranspielten, desto eiskalter schlug Manchester zu. De Bruyne haute den Ball aus 20 Metern ins Netz. Ancelotti verlor die Fassung. Er hatte den Ball zuvor im Aus gesehen. Der Maestro mit dem Kaugummi sah Gelb, eine Seltenheit im Weltfußball. City hatte nun Aufwind, Real aber die Chancen. Benzema scheiterte aus kurzer Distanz an Ederson (78.), noch besser reagierte der Brasilianer auf einen Schuss von Aurélien Tchouaméni (90.).
"Die Allgemeinheit wird wahrscheinlich sagen, verdientes oder gerechtes Ergebnis. Gerade fühlt es sich etwas anders an, weil ich glaube, dass wir in der zweiten Halbzeit hervorragend gespielt haben", sagte Kroos. Rüdiger sagte ebenso selbstbewusst: "Wir können erhobenen Hauptes nach Manchester reisen." Real habe die Spieler, die Erfahrung, "wir haben die Cojones (spanisch in etwa: Eier), dahinzugehen und zu gewinnen."
Quelle: ntv.de