Fußball

United gedemütigt Ein "Freak-Ergebnis" reanimiert Klopps Liverpool

Hat wieder ein strahlendes Lächeln: Jürgen Klopp.

Hat wieder ein strahlendes Lächeln: Jürgen Klopp.

(Foto: picture alliance / empics)

Der FC Liverpool taumelt bislang durch die Saison. Die einstigen Stars liefern keine großen Leistungen mehr, an Jürgen Klopp wird gezweifelt. Doch dann: der große Knall. Die Reds fertigen Manchester United ab. Für den einen Trainer ist es eine Genugtuung, für sein Gegenüber eine Katastrophe.

Das Timing ist schon auffallend: Pünktlich zum Gigantengipfel war Jürgen Klopp wieder blendend aufgelegt. Auf der Pressekonferenz vor dem Premier-League-Spiel gegen Manchester United witzelte er wieder. "Meine größte Motivation für einen Sieg ist es, dass ich danach nicht in eure Gesichter schauen und all die ziemlich blöden Fragen beantworten muss", sagte er vor Journalisten. Es ist ziemlich ausgeschlossen, dass er da schon geahnt hat, was am gestrigen Sonntag passieren würde.

Denn im Duell der Giganten des englischen Fußballs fertigte Liverpool den ewigen Rivalen Manchester United mit 7:0 ab. Klopp selbst hatte das Spiel in besagter Pressekonferenz noch auf die allerhöchste Ebene gehievt. "Die ganze Welt wird es schauen. Ich würde es schauen, wenn ich nicht hier wäre, und ich freue mich wirklich drauf", sagte er unter der Woche. "Es ist das Spiel. Es ist gewaltig." Aus dem "Welt"-Spiel wurde eine Demütigung für die Geschichtsbücher: Noch nie hat Liverpool dieses Duell so hoch gewonnen, für Manchester United ist es die höchste Niederlage in seiner Premier-League-Geschichte.

Dabei sah es lange nicht danach aus. Liverpool kam zwar besser in die Partie, ManUnited war aber nicht komplett unterlegen. Im Gegenteil: Bis zur 43. Minute war das Spiel völlig offen. Erst dann erzielte Winterneuzugang Cody Gakpo das 1:0 für die Reds. Was sich in den Minuten danach ereignete, lässt sich nur schwer analysieren. Sechs Tore schoss Liverpool nach der Pause, davon drei in den ersten fünf Minuten nach Wiederanpfiff. "Die zweite Hälfte war verrückt", sagte Klopp später bei Sky. "Wenn dann Fußball mal so Spaß macht wie heute, dann machst du auch mal sieben."

Plötzlich brillierten die Formschwachen

Es war die Rückkehr des "alten" Liverpools: Plötzlich spielten sie schnell und direkt nach vorne, gewannen Bälle durch ihr Pressing - und hatten dabei anscheinend ziemlich viel Freude. Es löste sich der Ballast der vergangenen Monate und so glänzten ausgerechnet die Charaktere der bislang verkorksten Liverpool-Saison. Etwa 80-Millionen-Mittelstürmer Darwin Núñez. Der Uruguayer hatte keinen sonderlichen guten Saisonstart, fiel vor allem mit seiner mangelnden Chancenverwertung auf. Gegen United traf er sehenswert doppelt. Oder Gakpo: Der Niederländer hat bei der Weltmeisterschaft in Katar begeistert, kam bei Liverpool aber bisher noch nicht in den Tritt. Gegen United traf er gleich doppelt.

Auch Mohamed Salah blühte wieder auf. Der Ägypter traf doppelt und avancierte mit seinem 129. Premier-League-Treffer zum Rekordtorschützen der Reds. Bezeichnend war sein Lauf vor dem 3:0 (66.), als er Lisandro Martínez an der Strafraumkante so schwindlig dribbelte, bis der argentinische Weltmeister orientierungslos über seine eigenen Beine stolperte. Nun ist der Verteidiger jedoch nicht irgendwer, sondern einer der besten der Premier League. Kürzlich erzählte er noch in einem Interview mit dem britischen "Telegraph", dass er auf dem Spielfeld manchmal sogar töten wolle. Gegen Salah sah er aus wie ein Kreisliga-Spieler.

Dank Aktionen der zuletzt Formschwachen wurde das "Welt"-Spiel für Klopp und seine Reds zum größtmöglichen Befreiungsschlag. Obwohl sich Liverpool in den vergangenen Wochen langsam an die Champions-League-Plätze herangerobbt hatte, erlebt der Deutsche die schwerste Zeit seiner so erfolgreichen Ära in Liverpool. Die gesamte Saison über hatte Klopp sich bislang "ziemlich blöde Fragen" von Journalisten anhören müssen, deshalb auch der Scherz auf der Pressekonferenz. Der Titelkandidat hing lange im Tabellenmittelfeld fest und ist von den eigenen Ansprüchen meilenweit entfernt. Von den Parallelen zu Klopps Ende bei Borussia Dortmund wurde schon gesprochen: Damals endete die Ära nach einem schwierigen siebten Jahr. Gleichwohl war die Situation eine andere, schließlich geriet der BVB damals im Winter als Tabellenletzter in akute Abstiegsgefahr.

Doch solche Vergleiche haben sich fürs Erste wohl komplett erübrigt. "Wir brauchen Ergebnisse und Leistung - und heute Abend hatten wir beides", sagte Klopp nach dem Kantersieg im BBC-Interview. "Es ist wichtig, dass es alle wissen: Wir sind hier und wir leben noch." Die Leistung seines Teams sei "überragend" gewesen. "Vor ein paar Monaten dachte jeder, es wäre ein guter Zeitpunkt, um gegen Liverpool zu spielen", sagte Klopp. "Sie durften es zwar nicht laut sagen, aber alle haben es gedacht, weil sie das Gefühl hatten, dass wir tief in der Krise steckten. Aber jetzt ist es nicht mehr so ein guter Moment für sie, denn wir wirken wieder wie wir selbst."

"Es war unprofessionell"

Dafür dürfte sich sein Gegenüber, ManUnited-Coach Erik ten Hag, wieder "ziemlich blöde Fragen" gefallen lassen müssen. Denn eigentlich war die Zeit der Demütigungen für den englischen Rekordmeister vorbei - dachten sie zumindest. In der vergangenen Katastrophensaison wechselten die Red Devils zweimal den Trainer und erreichten nur mit Mühe die Qualifikation für die Europa League. Mindestens genauso schmerzhaft waren die Klatschen gegen Liverpool: Beide Liga-Spiele zusammengenommen verloren sie insgesamt mit 0:9.

Doch das Team, das am gestrigen Sonntag nach Liverpool gefahren ist, war ein anderes. Trainer ten Hag hatte United wieder in die Spur gebracht. Sie waren seit elf Spielen ungeschlagen. Der niederländische Coach hatte die Posse um Superstar Cristiano Ronaldo erfolgreich beendet und die Red Devils wieder in die Nähe der Tabellenspitze herangeführt. Zudem holten sie in der vergangenen Woche mit dem Ligapokal den ersten Titel seit dem Gewinn der Europa League 2017. Ten Hag ist bei den Fans beliebt, er könnte vielleicht eine neue Trainer-Ära einläuten.

Doch der gestrige Sonntag war ein herber Dämpfer. Die Hoffnungsträger der vergangenen Wochen - Marcus Rashford und Casemiro - blieben erschreckend blass. Folglich bezeichnete der Sportchef des "Telegraph" die 0:7-Klatsche als den schlechtesten Auftritt, den er jemals auf der größten Bühne des englischen Fußballs gesehen habe. ManUnited-Legenden schäumten. Auch der Trainer selbst ließ seinem Unmut freien Lauf. "Das war ein Realitätscheck", sagte der bediente ten Hag im BBC-Interview. "Das war nicht unser Standard. Wir sind nicht als Mannschaft aufgetreten. Es war unprofessionell."

Während sich bei United plötzlich wieder grundsätzliche Fragen stellen, ist es für Jürgen Klopp unterdessen die langersehnte Genugtuung. "Wir wissen, dass das ein Freak-Ergebnis ist. Es gab nicht so viele Dinge diese Saison, die wir zu feiern hatten. Das fühlt sich schonmal sehr gut an", sagte er bei Sky. Es bleibt jedoch die Frage: Was bedeutet so ein Spiel für die restliche Saison? Spätestens in der nächsten Woche muss Liverpool wieder dazu übergehen, weiter die Scherben der Saison aufzukehren. Das Achtelfinalhinspiel in der Champions League hatten die Reds mit 2:5 gegen Real Madrid verloren. Und dabei gezeigt, dass der jüngste Aufwärtstrend noch sehr verletzlich ist. Gegen Real braucht es wieder einen denkwürdigen Abend, ansonsten geht es für Klopp zurück zu den "ziemlich blöden Fragen".

Quelle: ntv.de

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