
Jürgen Klopp will ab Sommer ein normales Leben führen.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Es ist ein Fußball-Erdbeben: Jürgen Klopp kündigt an, den FC Liverpool am Ende der Saison zu verlassen. Auf einer Pressekonferenz gibt er Einblick in seine Gefühlswelt. Dann steht ein ganz großer Vergleich im Raum.
Eine kurze Überraschung erlebte Jürgen Klopp dann doch. Sir Alex Ferguson? Der war mal von seinem Rücktritt zurückgetreten? Die historische Anekdote eines "Guardian"-Reporters brachte den 56-jährigen Reds-Trainer kurz aus der Fassung. Dabei wollte der Journalist eigentlich etwas ganz anderes wissen: Könnte es denn auch bei Klopp irgendwelche Gründe geben, die ihn noch umstimmen könnten? Dass er eben nicht im Sommer nach fast neun Jahren den FC Liverpool verlässt?
Während Klopp noch über Ferguson grübelte, schob er eine umfassende Verneinung voran: "Nein, nein, nein, nichts", sagte er auf der Pressekonferenz am Freitagnachmittag. "Ich respektiere Alex sehr und weiß nicht, was ihn damals dazu getrieben hat", ergänzte er, um sich dann zu erklären: "Ich habe mir das gut überlegt, und selbst wenn wir in dieser Saison alles gewinnen, werde ich meine Meinung nicht ändern." Natürlich möchte er alles gewinnen, erklärte der Trainer. Aber, der Entschluss steht felsenfest: Der Deutsche verlässt im Sommer den FC Liverpool.
Das Besondere an dieser simplen Frage ist ja, dass sie zeigt, welche Vergleichskategorien für den Deutschen herangezogen werden. Denn Sir Alex Ferguson ist auf der Insel ein Fußball-Heiliger. Der Schotte machte aus Manchester United einen Weltklub. Er holte 13 englische Meisterschaften, fünfmal den Pokal und zweimal die Champions League. Was Trainer angeht, ist er so ziemlich mit das Größte, was der englische Fußball zu bieten hat. Ferguson trat 2002 erstmals zurück, kam dann aber doch wieder, um bis 2013 zu bleiben. Über den Grund wurde viel spekuliert, angeblich sei Ferguson nicht über seinen designierten Nachfolger glücklich gewesen.
Mainz, Dortmund, Liverpool
Ob Jürgen Klopp auch in einigen Jahren in die gleiche Kategorie fällt, kann gegenwärtig niemand seriös beantworten. Doch seine Bilanz ist nicht die eines normalen Übungsleiters. Seit nun mittlerweile fast 23 Jahren ist er nahezu ununterbrochen Trainer. Der Tank ist leer, deshalb will er im Sommer erst einmal aufhören. Weil Jürgen Klopp Dinge nicht unter 100 Prozent macht. Und weil er gemerkt hat, dass seine Energie nicht endlos ist.
Die lange Zeit hat Spuren bei ihm hinterlassen. Auch im Gesicht, darauf wies er scherzhaft selbst hin. In England ist das Fußballgeschäft ein anderes als hierzulande. Die Schlagzahl ist wesentlich höher: viel mehr Wettbewerbe, jede Woche mehrere Spiele, die allesamt vorbereitet werden müssen, dazu kommen alle paar Tage eine Pressekonferenz. Das schlaucht irgendwann.
Aber nicht nur die Zeit hat Spuren bei Klopp hinterlassen, er selbst hat es auch an den Orten, an denen er gewirkt hat. Erst in Mainz, dann beim BVB und nun Liverpool. Als er im vergangenen September nach Mainz kam, um sich vom Bruchwegstadion zu verabschieden, wurde er extra vom Verein angekündigt und frenetisch mit Applaus gefeiert. Während seiner Höchstzeit beim BVB mussten sie im Westfalenstadion die Tribünen der Süd verstärken. So sehr elektrisierte der Heavy-Metal-Fußball die Schwarz-Gelben, ihre Fans und die gesamte Stadt.
Versprechen erfüllt
Und nun erlebte Liverpool, was es bedeutet, Jürgen Klopp als Trainer zu haben. Was dieser Mann mit seiner Vorstellung von Fußball verändern kann, für einen Klub, für eine ganze Stadt. Als er zu den Reds kam, taumelten sie im Tabellenmittelfeld. Ohne Ziel, ohne Vision, ohne Konstanz. Mäandernd zwischen dem zweiten und achten Tabellenplatz. Klopp kam 2015 mit einer klaren Aufgabe: Liverpool-CEO Billy Hogan erzählte auf der Pressekonferenz, dass Klopp versprochen habe, den Klub in einer besseren Verfassung abzugeben, als er ihn vorgefunden hat. "Das hat er gemacht", sagte Hogan heute.
Klopp wurde eins mit Liverpool. Klubboss Hogan berichtete, dass sein kleiner Sohn gedacht habe, dass der Deutsche für immer bleiben würde. Lange wurde Liverpool verlacht. Klopp hat der Stadt und diesem stolzen Klub wieder Hoffnung und Träume geschenkt. Das sah man auch daran, ganz plump, wie viele weinende Emojis während der Pressekonferenz durch den Chat rauschten.
Er gewann mit ihnen die Champions League, die Klub-Weltmeisterschaft, den FA-Cup und auch sonst reichlich Einträge für den Briefkopf. Den wichtigsten Titel holte er jedoch in der Corona-Saison 2019/20, in einer Zeit, in der es keine Hoffnung gab. Die Pandemie traf England hart, die Menschen saßen im Lockdown. Sie sehnten sich nach Ablenkung - und gute Nachrichten. Und Klopp beendete eine gefühlte Ewigkeit: Er gewann mit den Reds die erste englische Meisterschaft seit 30 Jahren - und damit zum ersten Mal die Premier League. Die Liverpooler Straßen waren gefüllt, sie brachen sämtliche Corona-Regeln. Das war alles egal.
Klopp hat den Menschen in Liverpool weitere Geschichten geschenkt, die sie immer wieder erzählen können. Da war das Wunder von Anfield. Als seine Reds im Champions-League-Halbfinale das Unmögliche möglich machten und ein 0:3-Hinspiel-Rückstand gegen den FC Barcelona drehten. Das 4:0 in Liverpool mit einem Ecken-Geniestreich von Trent Alexander-Arnold und den Toren von Divock Origi, es löst noch immer Gänsehaut aus. Da waren auch große Momente des Scheiterns - etwa die beiden Niederlagen gegen Real Madrid in den Champions-League-Finals 2018 und 2022. Seine Teams haben dem englischen Fußball hochklassige Duelle geschenkt. Allen voran die Spiele gegen Pep Guardiolas Manchester City waren immer ein Spektakel.
Den Grundstein für eine Zukunft
Und vielleicht das Wichtigste: Klopp hat Liverpool eine Zukunft geschenkt. Nach dem schwierigen vergangenen Jahr, in dem vieles infrage gestellt wurde, schrammten die Reds auf den letzten Metern an der Champions League vorbei und fielen in die Europa League. Klopp begann in der Folge an Liverpool 2.0 zu werkeln.
Entstanden ist eine Mannschaft, die eigentlich alles hat: ein erfahrenes Gerüst um Angreifer Mohamed Salah, Torwart Alisson Becker, Innenverteidiger Virgil van Dijk und Außenverteidiger Alexander-Arnold. Aber auch einen neuen Mittelfeldmotor mit dem Japaner Wataru Endo, Weltmeister Alexis Mac Allister oder dem Ex-Rasenballsportler Dominik Szoboszlai. Dazu gibt es mit Harvey Elliott und Curtis Jones einige spannende Talente, die darauf warten, entwickelt zu werden.
Irgendwann, im Laufe dieser Saison, habe Klopp festgestellt, so erzählte er, dass der Fußball immer besser wurde. Dass das Team immer besser funktioniert habe. Dass der Motor ins Laufen kam. "Das waren die Momente, in denen ich dachte: Ein anderer Trainer, der sich an der Spitze seiner Schaffenskraft befindet, das würde richtig Spaß machen, zuzuschauen." Gerade ist er das noch, deshalb stehen sie auch an der Tabellenspitze der Premier League.
Doch er habe gemerkt, dass er das nicht wieder und wieder und wieder machen kann. Die Planungen, die Vorbereitungen, die Transferfenster: All das kostet Kraft - vor allem, wenn man das mit 100 Prozent macht. Deshalb geht er. Was bleibt, ist nicht nur die Mannschaft. Es bleiben auch das modernisierte Trainingsgelände, das ausgebaute Anfield-Stadion, die Menschen, die in dem Klub arbeiten, die Geschichten. Noch will er nicht zurückschauen, sagte Klopp. Dafür werde es schon den richtigen Zeitpunkt geben. Nur nicht jetzt. Denn so, wie es im englischen Fußball nun mal ist, es wartet das nächste Spiel: am Sonntag um 15.30 Uhr gegen Norwich im FA-Cup.
Quelle: ntv.de