Matthäus trainiert, die Jugend drängt, Kahn motzt Elf steile Thesen zur Fußball-Bundesliga
24.08.2012, 13:23 Uhr
"Nichts ist so alt wie die Leistung im letzten Jahr." Sagt Jürgen Klopp. Und der muss es wissen. Schließlich trainiert er den Deutschen Meister.
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Wenn heute die Borussia aus Dortmund gegen Werder Bremen die Saison in Deutschlands höchster Fußballklasse eröffnet, steht mit dem BVB der alte und auch der neue Meister auf dem Platz. Es sei denn, der FC Bayern macht das Rennen. Oder Felix Magath und dem VfL Wolfsburg gelingt die Sensation.
Was genug ist, ist genug: Nach 100 Tagen Sommerpause mit einer Europameisterschaft in Polen und der Ukraine und Olympischen Spielen in London startet heute Abend die Fußball-Bundesliga in die Saison. Es ist ihr 50. Jubiläum! Zum Auftakt spielt der Deutsche Meister Borussia Dortmund gegen den SV Werder Bremen. Wie es ausgeht, wissen auch wir nicht. Also, weder diese Partie noch die gesamte Spielzeit. Aber wir haben nachgedacht: elf - mal mehr, mal weniger - steile Thesen zur wichtigsten Liga des Landes.
1. Meister werden die Branchenführer des FC Bayern

"Wenn man im Fernsehen den neuen Sportdirektor zusammen mit Jupp Heynckes sieht, hat man immer den Eindruck, als würde Sammer dem Trainer erklären, was er zu tun hat."
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Das Wichtigste zuerst: Wer wird Meister? Der FC Bayern München, wie immer halt. Gut, außer in der vergangenen Saison. Und in der davor. Aber diesmal? Ganz bestimmt, mit der Mannschaft, mit den Verstärkungen. Xherdan Shaqiri, Mario Mandzukic, Dante und Claudio Pizarro. Und dieser Baske für 40 Millionen Euro. Vielleicht. Nicht zu vergessen Matthias Sammer, der neue Trainer, Pardon, Sportdirektor. Lothar Matthäus, wahrscheinlich auf alle Zeiten deutscher Rekordnationalspieler, hat aber beobachtet: "Wenn man im Fernsehen den neuen Sportdirektor zusammen mit Jupp Heynckes sieht, hat man immer den Eindruck, als würde Sammer dem Trainer erklären, was er zu tun hat. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein." Heynckes versucht derweil, das mit der Titelpflicht von sich zu weisen: "Natürlich sind die Dortmunder nach zwei Meistertiteln in Serie der Favorit." Damit hat er schon verloren. Denn in Sachen Tiefstapelei ist die Konkurrenz vom BVB den Bayern nun wirklich Lichtjahre voraus. Lothar Matthäus sagt übrigens: "Nach zwei Jahren ohne Titel ist der Druck bei den Bayern groß. Wenn der Erfolg ausbleibt, herrscht Explosionsgefahr. Wenn keine Ruhe reinkommt, schafft es Dortmund wieder."
2. Meister wird natürlich der Ballspielverein aus Dortmund
Deutscher Meister wird Borussia Dortmund. Und zwar keiner von Bayerns Gnaden. Sondern aus eigener Stärke heraus. Wie in der vergangenen Saison. Und in der davor. Diesmal zwar ohne Shinji Kagawa, der Japaner verdient nun bei Manchester United auf der Insel sein Geld. Dafür mit Marco Reus, dem Fußballer des Jahres. Zusammen mit Mario Götze wird der das aufregendste Mittelfeldduo der Liga bilden. Das wird ein Spaß. Nur Trainer Jürgen Klopp hält den Ball wie immer flach: "Nichts ist so alt wie die Leistung im letzten Jahr." Wohl wissend, dass seine Mannschaft die 28 letzten Ligaspiele in der vergangenen Saison nicht verloren hat. Und damit wieder mal auf Rekordjagd geht. Die Bestmarke hält immer noch der Hamburger SV, der in den 1981/82 und 1982/83 in 36 Spielen nacheinander unbesiegt blieb. Ach ja, der HSV. Der hat in der Rubrik Titelkandidaten längst nichts mehr zu suchen.
3. Felix Magath und der VfL Wolfsburg spielen oben mit
Unser Geheimtipp ist der VfL Wolfsburg. Was jetzt natürlich nicht mehr geheim ist, dafür ansatzweise exklusiv. Auch wenn er sich für seine Verhältnisse vor dieser Saison zurückgehalten hat: Es wird so sein, dass es Trainermanagergeschäftsführermädchenfüralles Felix Magath gelingt, aus der Masse der verpflichteten Spieler so viel Klasse herauszufiltern, dass die Mannschaft in dieser Saison oben mitspielen kann. Wenn auch nicht ganz oben. Der Werksklub aus Wolfsburg als Meister der Jubiläumssaison? Außer am Mittellandkanal würde das in Fußball-Deutschland für wenig Begeisterung sorgen. Aber: Spielmacher Diego ist wieder da, hinzu kommen Bas Dost und Ivica Olic als Angreifer und Hannovers "Mad dog" Emanuel Pogatetz in der Innenverteidigung. Außerdem hat Magath Verstärkung bekommen. Andries Jonker, einst Assistent von Louis van Gaal beim FC Bayern, soll sich um die Talente kümmern. Könnte also was werden.
4. Der Mehrkampf um die Plätze im Europapokal wird spannend
Wie sagte doch Leverkusens Sportchef Rudi Völler? "Man muss wahrscheinlich kein großer Experte sein, um zu behaupten, dass Bayern München und Borussia Dortmund um die Meisterschaft spielen werden." Aber wer lauert dahinter? Zuerst einmal der FC Schalke 04 und Borussia Mönchengladbach, nicht zuletzt, weil beide Mannschaften in der vergangenen Saison so gut waren, dass sie in dieser im Europapokal mitspielen dürfen. Und sonst? Wird auch der VfB Stuttgart im Rennen um die Europapokalplätze dabei sein.
Und die TSG Hoffenheim? So peinlich das 0:4 im DFB-Pokal beim Regionalligisten Berliner AK auch war, Potenzial hat die Mannschaft von Trainer Markus Babbel. Zumal sie sich jetzt richtig an die Fans ranwanzen. "Die Leute, die dabei waren in Berlin, die bekommen von der Mannschaft eine Auswärtsfahrt erstattet mit Bus, Tickets und ein paar Kästen Bier darin", hatte der neue Torwart und Kapitän Tim Wiese angekündigt. Was ist eigentlich mit den Leverkusenern? Wer lacht hier? Die sind in der vergangenen Saison immerhin auf Platz fünf gelandet. Mit Michael Ballack. Der ist nun weg, was dem Vernehmen nach der Stimmung nicht abträglich ist. Und das einzige Trainerduo der Liga, Sami Hyypiä und Sascha Lewandowski, soll einen guten Draht zu den Spielern haben. Hyypiä trägt allerdings den Titel Teamchef. Und Rudi Völler erklärt allen Nicht-Experten: "Allein aus dem Begriff Teamchef ergibt es sich, dass Sami das letzte Wort hat." Kleiner Tipp: Karim Bellarabi, deutscher U-21-Nationalspieler und schnelle Offensivkraft ist einer, den Sie im Auge behalten sollten.
5. Hannover 96 sorgt weiter für Furore
Sie spielen nicht nur schönen Fußball, sie sehen auch noch gut aus. Zumindest haben irgendwelche Designstudenten aus Düsseldorf das Trikot der Hannoveraner zum schönsten der Jubiläumssaison gewählt. Das bordeauxfarbene Trikot überzeugte die Jury durch einen interessanten V-Ausschnitt mit abgesetztem weißem Kragen. Soso. Abgesehen davon entwickelt sich in der niedersächsischen Landeshauptstadt einiges. Zum Beispiel eine enorme Begeisterung um eine Mannschaft, die es in der vergangenen Saison bis ins Viertelfinale der Europaliga geschafft hat. Nun ist Emanuel Pogatetz, der verrückte Hund, zwar dem Lockruf des VW-Geldes erlegen und zum Nachbarn ins ungeliebte Wolfsburg übergesiedelt, aber das Team von Trainer Mirko Slomka ist trotzdem so gut aufgestellt, dass viele damit rechnen, dass die Europapokalparty weitergeht. Prunkstück, ein Wort, das fast ausschließlich in der Sportberichterstattung vorkommt, ist der Angriff. Jan Schlaudraff, Didier Ya Konan, Mohammed Abdellaoue und Mame Diouff sind mittlerweile Namen, die klingen. Und zwar gut.
6. Langeweile auf dem Hühnerhof, im Breisgau und Rheinhessen
Weil nun einmal nicht alle 18 Mannschaften wahlweise um die Meisterschaft, einen Platz im Europapokal oder gegen den Abstiegskampf kämpfen, gibt es in jeder Saison Teams, die sich im grauen Mittelfeld jenseits von Gut und Böse befinden. Für den SV Werder Bremen und seinen Trainer Thomas Schaaf begann die Saison mit dem Pokalaus beim Drittligisten SC Preußen Münster eher böse, der Rest der Saison könnte im Mittelmaß versanden. So schlecht, dass sie absteigen, sind die Bremer nicht. Aber so gut, dass sie oben mitspielen, mutmaßlich auch nicht. Das liegt unter anderem daran, dass Stürmer Claudio Pizarro nun für den FC Bayern spielt und mit Nils Petersen einer gekommen ist, der den Münchnern zu schlecht war. Was bleibt, ist der umstrittene Sponsor Wiesenhof, der für fünf Millionen Euro Ärger mit den Fans und viele schlechte Wortspiele sorgt. Im Mittelfeld der Tabelle erwarten Experten wie Nicht-Experten auch den SC Freiburg und den FSV Mainz 05. Wobei sie das im Breisgau und in Rheinhessen alles andere als langweilig finden. Sondern zu Recht als Erfolg werten.
7. Der Hamburger SV gerät in den Strudel

"Ich habe den Wunsch, dass es besser wird und wir nicht im Abstieg hängen": Uwe Seeler. Na gut, die Geste passt nicht zur Aussage.
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Niemand kann in dieser Jubiläumssaison über den HSV schreiben, ohne zu erwähnen, dass die Hamburger als einziger Verein von Beginn an dabei sind. Aber Uwe Seeler macht sich Sorgen. Wie gefühlt jede Saison, seitdem er nicht mehr dabei ist. Dieses Mal sagt er: "Ich habe den Wunsch, dass es besser wird und wir nicht im Abstieg hängen. Ich bin ganz ehrlich: Ich sehe es immer noch skeptisch, dass es eine großartige Saison wird." Es droht eine Spielzeit am Rande des Abgrunds. Aber wie sagte der pfiffige Kapitän Heiko Westermann nach der Pokalpleite in Karlsruhe: "Jetzt können wir uns auf die Bundesliga konzentrieren." Genialer Schachzug. Aber vielleicht kommt der geniale Mittelfeldspieler ja doch noch, nach dem Sportchef Frank Arnesen seit Wochen fahndet. Vielleicht sollte er sich mal bei der Reserve des FC Chelsea umsehen. Weitere Kandidaten für den Abstiegskampf sind traditionsgemäß die Aufsteiger SpVgg Greuther Fürth, Eintracht Frankfurt und Fortuna Düsseldorf. Oder wie Lothar Matthäus sagt: "Die Fürther werden zusammen mit Augsburg und drei, vier anderen Vereinen hart um den Klassenerhalt kämpfen müssen." Und auch für den 1. FC Nürnberg könnte es eng werden. Trainer Dieter Hecking jedenfalls kündigte an: "In Nürnberg geht es darum, dass man überhaupt dauerhaft Bundesliga spielt. Ob wir dann Siebter oder Achter oder doch nur 13. oder 14. werden, das ist völlig egal."
8. Lothar Matthäus feiert seinen Trainereinstand
Lothar Matthäus mischt wieder in der Bundesliga mit. Erst einmal aber nur als Experte im Bezahlfernsehen. Und sagt dort: "Der Wunsch, in der Bundesliga zu arbeiten, ist noch immer da. Ein paarmal war ich ja dicht dran. Aber wenn ich irgendwo einsteige, muss auch wirklich alles passen." Den Job in München wird er wohl nicht bekommen. Und Spekulationen, wo vielleicht schon in der Vorrunde ein Platz auf der Trainerbank frei werden könnte, verbietet der Anstand. Aber wenn sie in Hoffenheim in der Liga so weitermachen, wie sie im DFB-Pokal angefangen haben, könnte es für Markus Babbel ungemütlich werden. Wir wollen da aber niemanden etwas unterstellen. Auch nicht den Hamburgern, wo Thorsten Fink Gefahr läuft, mit einer allenfalls mittelmäßigen Mannschaft seinen eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Lothar Matthäus jedenfalls wird ganz genau hinsehen. Er ist ja auch Experte.
9. Die Liga wird älter, die Spieler immer jünger
Marko Reus ist Nationalspieler und offiziell Deutschlands bester Fußballer. Und erst 23 Jahre jung. Kein Alter für einen Profi, und doch drängen jedes Jahr neue, noch jüngere Nachwuchshelden ins Rampenlicht. In Mönchengladbach hoffen sie, dass Luuk de Jong, 21 Jahre alt, Granit Xhaka, 19 Jahre, oder Alvaro Dominguez mit seinen 23 Jahren sich ähnlich entwickeln wie dieser Reus. Und selbst die Bayern setzen mit dem Kraftwürfel Xherdan Shaqiri auf einen 20-Jährigen. Der sagte ganz keck: "Man sieht, dass ich nicht nur der Kleine aus der Schweiz bin, sondern dass ich die Mannschaft stärker mache." Auch Wolfsburgs Stürmer Bas Dost ist 23 Jahre alt. Sollte der Niederländer die konditionellen Probleme und Eingewöhnungsschwierigkeiten überwinden, werde er seine "Extra-Klasse" zeigen, versprach Felix Magath. Der Jugendwahn jedenfalls schreitet voran: Das Durchschnittsalter der Spieler aller Bundesligaklubs beträgt gerade 24,8 Jahre. Und unser Tipp für den Jungstar der Saison ist und bleibt Leverkusens Karim Bellarabi. Oder halt Marko Reus.
10. Auf den Tribünen wird es weiter brennen
Christian Seifert macht sich Sorgen. Der Mann ist der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga. Und befürchtet, dass die Bundesliga in ihrer bestehenden Form durch die wiederholten Ausschreitungen in den letzten Monaten in Gefahr gerate. "Es muss jedem klar sein, dass eine funktionierende und erfolgreiche Bundesliga kein Naturzustand ist. Es ist ein Irrglaube, zu meinen, nichts tun zu müssen, damit der Wettbewerb als gesellschaftliche Institution in einem guten Zustand ist." Zwar lobte er ausdrücklich die Fankultur in dieser Republik. "Aber wenn der Preis für diese Fankultur zunehmende Gewalt in den Stadien ist, wird es sehr schwierig, diese aufrechtzuerhalten." Ob er damit recht hat? Bisher ist die zunehmende Gewalt eher eine gefühlte, der Anteil der Fans, die sich daneben benehmen, liegt im Promillebereich. Und ein Teil des Problems liegt auch darin, dass viele Anhänger sich nicht ernst genommen fühlen. Als der für den Sport zuständige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich jüngst zu einer Veranstaltung namens "Sicherheitsgipfel" einlud, waren alle eingeladen. Also fast alle: der Deutsche Fußball-Bund, der Ligaverband und Vertreter aller Profiklubs. Nur die Fans nicht.
11. Oliver Kahn kapert die Meinungsführerschaft
Apropos steile Thesen. Oliver Kahn, Torwarttitan im Ruhestand und nun gebührenfinanzierter Fernsehkritiker, ist auf gutem Wege, zum neuen Franz Beckenbauer der Besserwissergilde zu werden. Dafür spricht er auch gerne einmal der Nationalmannschaft und ihrem Trainer Joachim Löw nach einem 1:3 in einem nahezu bedeutungslosen Testspiel gegen Argentinien den unbedingten Siegeswillen ab. Das schärft das Profil, schließlich gilt Kahn nach seinen europameisterlichen Sommerferien mit Kathrin Müller-Hohenstein auf Usedom beim Mainzer Sender nicht mehr als unumstritten. Aber eines muss man ihm lassen: Er motzte - und alle sprangen drauf an. Nun glaubt er, dass die Dortmunder recht haben, wenn sie sagen, dass ihnen die Qualifikation für die Champions League in dieser Saison als Erfolg reichen würde. Und hat das der "Bild"-Zeitung auch gesagt: "Was hat Dortmund denn zu verlieren? Der große Druck liegt woanders. Niemand verlangt, dass Dortmund wieder Meister wird. Es ist doch so: Bei Bayern musst du, bei Dortmund kannst du Meister werden - das ist ein riesiger Unterschied."
Quelle: ntv.de