Dortmund feiert nah am Kitsch Meister der Glückseligkeit
23.04.2012, 13:37 Uhr
Bleibt ja in der Familie: Dortmunds Trainer Jürgen Klopp, rechts seine Frau Ulla, und links Jola Zorc, die Gattin des Managers.
(Foto: REUTERS)
Wenn es einen Verein gibt, dem zurzeit einfach alles gelingt, dann ist das der alte und neue deutsche Fußballmeister. Die Borussia aus Dortmund zelebriert ihre Freude zwar verdammt nah am Kitsch, aber die Bilder passen zur Botschaft: Hier feiert die Familie. Demnächst auch international?
Diese Bilder. Trainer Jürgen Klopp küsst vor mehr als 80.000 Zuschauern seine Frau Ulla und herzt danach auf dem Rasen des Westfalenstadions auch gleich die Frauen seiner Spieler, Patrick Owomoyela hält seinen Sohn Davi auf dem Arm, Torwart Roman Weidenfeller tanzt mit Freundin Lisa, Abwehrchef Mats Hummels Hält Händchen mit seiner Cathy, Kapitän Sebastian Kehl umarmt seine Tina, und der fünf Jahre alte Luis Kehl kickt unter dem Jubel der Südtribüne den Ball ins leere Tor. Man mag das für kitschig halten, aber wenn es einen Klub gibt, dem zurzeit alles gelingt, dann ist das der alte und neue deutsche Fußballmeister Borussia Dortmund. Selbst die Bilder von dem Jubel nach dem Sieg gegen Borussia Mönchengladbach sind perfekt. Hier feiert die Familie.
Und so steht die öffentliche zelebrierte Ergriffenheit sinnbildlich für den Ballspielverein von 1909 im Jahr 2012. Sie steht für den Meister der Glückseligkeit, der nun schon zum zweiten Mal hintereinander den FC Bayern im Titelrennen hinter sich gelassen hat. Nicht nur Mittelfeldspieler Kevin Großkreutz findet, dass die Dortmunder sich das verdient haben. "Nach dem sechsten Spieltag auf dem elften Tabellenplatz haben alle gesagt: Was ist mit dieser Mannschaft los? Sind die nervös? Können die nicht mit Druck umgehen?", sagte der Fan im Profikader der "Süddeutschen Zeitung". Der Rest ist bekannt. Seitdem, seit Mitte September in Hannover, hat die Borussia kein einziges Spiel mehr verloren und ist auf gutem Weg, mit 81 Punkten nach dem 34. und letzten Spieltag einen neuen Bundesligarekord aufzustellen.
"Kontrollieren und Stechen"
Sie haben nach der überraschenden Meisterschaft im Vorjahr mit der erfolgreichen Titelverteidigung gezeigt, dass sie es noch besser können. Klubchef Hans-Joachim Watzke formulierte das in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" so: "Die Mannschaft kann heute auch mal die Balance finden zwischen Kontrollieren und Stechen." Das beweist die Bilanz gegen die anderen guten Teams der Liga: Gegen den Tabellenzweiten aus München hat der BVB zweimal gewonnen, gegen die Schalker auch, und gegen die Namenscousine aus Mönchengladbach stehen ein Remis und ein Sieg zu Buche. Und dieser Weg ist nicht zu Ende. Die Mannschaft bleibt zusammen, allein Shinji Kagawa zögert noch, ob er seinen Vertrag vorzeitig verlängern soll. Dafür stößt mit dem Mönchengladbacher Marco Reus ein weiterer talentierter Hochgeschwindigkeitsfußballer hinzu, der ebenfalls im offensiven Mittelfeld spielt und einer ist, der den Unterschied ausmachen kann.
Wer die Borussia sieht, wie sie als Einheit funktioniert, ohne dass Trainer Jürgen Klopp die individuelle Klasse seiner Stars unterdrückt, sondern sie fördert, der lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn er konstatiert, dass die Wachablösung im deutschen Fußball in vollem Gange ist. Zumindest spricht kein ernsthafter Grund dagegen, dass dieser BVB dem FC Bayern auch in den kommenden Jahren ein ebenbürtiger Gegner sein wird. Oder sogar ein besserer. Denn der Erfolg der Dortmunder gründet sich in einem funktionierenden System, basierend auf Pressing und Tempo, mit überragenden Protagonisten wie Torjäger Robert Lewandowski, seinem polnischen Nationalmannschaftskollegen Jakub Blaszczykowski, der auf der rechten offensiven Seite zum überragenden Spieler der Rückrunde avancierte, auch weil hinter ihm sein Landsmann Lukasz Piszczek brillierte, Kapitän Sebastian Kehl, dem Wiederkehrer der Saison, dem famosen, wenn auch zuletzt verletzten Jungstar Mario Götze, Mats Hummels als Kopf der Abwehr, Innenverteidigerpendant Neven Subotic und jenem Shinji Kagawa, dem Mann für die wichtigen Tore. Hinzu kommen all jene, die meist auf der Bank sitzen, aber trotzdem nicht für schlechte Stimmung sorgen, weil auch sie das Gefühl haben, Teil der Familie zu sein.
"Kein komplett beschissener Trainer"
"Die größte Leistung dieser Mannschaft besteht darin, wie sie Erlebtes und Erlerntes in Erfahrung umsetzt und auf den Platz bringt", sagt Jürgen Klopp. Und meint damit auch das glanzlose Ausscheiden aus der Champions League. Nun müssen die Dortmunder zeigen, dass sie es auch international können. Auch und gerade bei der unterlegenen Konkurrenz in München, die an diesem Mittwoch im Halbfinale der Champions League bei Real Madrid um den Einzug ins Endspiel kämpft, weisen sie dieser Tage gerne darauf hin, dass die Borussia sich in Europa noch keinen Namen gemacht hat.
Und so schreibt die spanische Sporttageszeitung "Marca" zwar: "Dortmund krönt sich vor eigenem Publikum erneut zum Meister. Das gelbe Fieber kehrt zurück." Ergänzt aber: "Die Borussia regiert ein weiteres Jahr in der Bundesliga." Von der Königsklasse ist nicht die Rede. Aber wenn sie weiter so schnell lernen wie bisher, ändert sich auch das in naher Zukunft. Sie müssen nicht. Sie wollen. Schließlich glaubt Jürgen Klopp, in Dortmund hätten sich "eine herausragende Mannschaft und kein komplett beschissener Trainer" zusammengefunden. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die schwarz-gelbe Familie auch international feiert.
Quelle: ntv.de