Fußball

Elf vorweihnachtliche Geschenke Simon Teroddes Frau wird zu Schalkes Matchwinner

Simon Terodde freut sich über sein Tor und die Geburt seiner Tochter.

Simon Terodde freut sich über sein Tor und die Geburt seiner Tochter.

(Foto: IMAGO/Pakusch)

Ein Missgeschick eines königsblauen Eigengewächses ebnet dem FC Schalke 04 im Abstiegskampf der 2. Fußball-Bundesliga den Weg zum höchsten Saisonsieg. Die große Geschichte des Abends erzählt indes wieder einmal Simon Terrodde.

Nach zehn, spätestens nach 15 Minuten war an diesem frühen Freitagabend klar, dass der FC Schalke 04 dieses Spiel, das er niemals verlieren darf, auch nicht verlieren würde. Zwar war zu diesem Zeitpunkt noch nix passiert, also noch kein Tor gefallen. Aber es deutete vieles bis alles daraufhin, dass sich daran zumindest bei einer Mannschaft auch nichts mehr ändern würde. Die hieß an diesem Abend VfL Osnabrück. Und das war für die arg angegriffenen Schalker eine sehr gute Nachricht. Womöglich wäre dieser Abend gegen ein wehrhafteres Team als den ganz schwachen Tabellenletzten unschön geendet. So nährte sich die Spannung aus der Frage: Würden denn die Königsblauen die eigene Null in Zählbares ummünzen können. Kleiner Spoiler: das gelang.

Mit 4:0 (1:0) befreiten sich die Schalker von all den negativen Emotionen, die während der vergangenen Woche um sie herumgeschwirrt waren. Nach zwei überwiegend peinlichen Leistungen gegen Aufsteiger SV Elversberg (1:2) und bei Fortuna Düsseldorf (3:5) war die Lage so bedrohlich geworden, dass dieses Duell gegen Osnabrück, ein strauchelnder Aufsteiger, schon Endspiel-Charakter hatte. Nicht um Kampf um den Klassenerhalt, aber im Kampf um die Stimmung. Die drohte nämlich wieder einmal böse zu kippen. Der Verein und die Mannschaft hatten sich daher präventiv selbst in die Pflicht genommen, hatten an die Mitglieder einen Brief geschrieben, sich geschämt für die vergangenen Monate und Besserung gelobt.

Tugendhaftigkeit. Maloche. Schalke eben.

Schalke 04 - VfL Osnabrück 4:0 (1:0)

Tore: 1:0 Wiemann (21., Eigentor), 2:0 Seguin (48.), 3:0 Terodde (63., Foulelfmeter), 4:0 Kleinhansl (70., Eigentor)
Schalke: Fährmann - Matriciani (74. Brunner), Kalas, Kamiński, Murkin - Schallenberg, Seguin, Mohr (83. Tempelmann), Karaman - Lasme (64. Topp), Terodde (83. Idrizi). - Trainer: Geraerts
Osnabrück: Grill - Gyamfi, Thalhammer (69. Kunze), Wiemann - Ajdini, Gnaase (69. Niemann), Kleinhansl (84. Bähr) - Cuisance (83. Kehl), Tesche - Engelhardt, Verhoek (88. Wriedt). - Trainer: Koschinat
Schiedsrichter: Tom Bauer (Mainz)
Gelbe Karten: Matriciani (2), Lasme - Ajdini (4), Verhoek (3)
Zuschauer: 62271 (ausverkauft)

Flankiert wurde die x-te Mission Wiedergutmachung von reichlich Folklore. Weil am Montag der Barbaratag ist, weil dann der Schutzpatronin der Bergleute gedacht wird, hatten die Gelsenkirchener die Feierlichkeiten direkt auf das ganze Wochenende ausgedehnt. Selbst Maskottchen Erwin hatte sein Trikot gegen das Grubenhemd getauscht. Der Bergmannschor der Ruhrkohle AG stimmte die eiskalte und schön abgedunkelte Arena mit dem "Steigerlied" ein. Eine stimmungsvolle Hommage an die alten Helden der Stadt, die dort mit Stolz besungen werden. Die aktuellen Helden (wenn sie es denn überhaupt sind oder jemals werden) müssen sich diesen Status der kultigen Verehrung erst noch verdienen. Davon hatten sie sich zuletzt so weit wie nur möglich entfernt. Jetzt mal wieder: Neubeginn, Tugendhaftigkeit, Maloche. Schalke eben.

Zumindest eine Sache hatten die königsblauen Fußballer verstanden: Mit Schlafsand in den Augen lässt sich nicht gut kicken. Zweimal hatten sie das versucht gegen Elversberg und Düsseldorf, beide Versuchen endeten in Blamagen. Dieses Mal war der Blick also geschärft und Trainer Karel Geraerts sehr erleichtert, dass seine Spieler von Beginn an bei der Sache waren. Kapitän Simon Terodde, der in dieser Woche nur sporadischer Trainingsgast gewesen war, setzte nach fünf Minuten einen Ball knapp vorbei. Die Arena schob erst kurz laut Frust, dankte dem Stürmer aber schließlich für sein Engagement. Ging also gut los. Das war es dann auch für längere Zeit mit der Torgefahr. Die dicht gestaffelten Osnabrücker nahmen Schalke die Tiefe weg und damit die große Idee für dieses Spiel, das qua Aufstellung auf schnelle Läufe auf den Außenbahnen und Flanken ins Zentrum angelegt war.

Schalke bekam den Ball, konnte damit aber kaum etwas anfangen. Und die Gäste bemühten sich beim ersten Spiel unter der Leitung von Coach Uwe Koschinat um defensive Stabilität. An Ballbesitz waren sie nullkommanull interessiert. Und wenn ihn das Spielgerät dennoch mal vor die Füße fiel, ging gar nichts zusammen. Frei nach dem Motto: "Nimm du den Ball ruhig, wenn er denn ankommt". Dass der Trainer später befand, sein Team käme eher über den fußballerischen Ansatz, überraschte dann doch. Außer der individuellen Klasse von Michael Cuiscance, einst beim FC Bayern gescheitert, war da nicht viel von Fußball zu sehen. Und so sickerte bei den Gastgebern langsam aber sicher doch, dass ihnen bereits am 1. Dezember durch das geöffnete Arena-Dach ein gut gefüllter Sack voll Weihnachtsgeschenke in den Schoß gefallen war. Unter anderem da drin: elf Osnabrücker Spieler, deren Selbstvertrauen noch tiefer im Keller hängt als der Klub in der Tabelle der 2. Fußball-Bundesliga.

Dem VfL war es in der sommerlichen Transferphase nicht gelungen, die verloren gegangene Qualität von abgewanderten Aufstiegshelden adäquat zu ersetzen. In einer ersten Panikreaktion war deswegen der beliebte Coach Tobias Schweinsteiger vor wenigen Tagen entlassen worden. Besserung trat bisher nicht ein.

"In den richtigen Momenten die Tore erzielt"

Dennoch dauerte es 20 Minuten bis die Gastgeber die spannende Einstiegsfrage in diesen Text beantworten konnten: Sie schossen ein Tor! Pardon, sie ließen ein Tor, nunja, herbeieiern. Nach einer Ecke und einem Gewühl im Strafraum war es letztlich der Osnabrücker Niklas Wiemann, ein ehemaliger Schalker auch noch, der den Ball ins Tor lenkte. Torwart Lennart Grill machte dabei auch nicht den souveränsten Eindruck. 1:0 und alle Fesseln gelöst? Eher nicht. Es blieb zäh. Irgendwann zwischen Führung und Pause leitete Ron Schallenberg, der kluge Sechser, den Ball per Hacke weiter. Eine Aktion ohne jeden Wert. Aber ein kleines Kunststück, wie es selten auf Schalke geworden ist. Ein kurzer Laut der Betörung hallte durch die Arena. So ist sie, die Gegenwart auf Schalke.

Es klingt immer noch reichlich kurios, dass ein Duell gegen Osnabrück für Schalke 04 zum Stimmungsendspiel werden kann. Für einen Klub, der immer noch vom Ruhm der großen Vergangenheit umweht wird und weiter laut davon träumt, in nicht allzu ferner Zukunft neue Heldengeschichten zu schreiben. Zumindest gegen den VfL wurde eine kleine geschrieben. Die von Kapitän Terodde. Als emotionaler Antreiber rieb er, der seinen Platz in der ersten Elf in den vergangenen Wochen verloren hatte, sich auf, pushte die Kollegen und die Tribünen. Und als das 2:0 durch Paul Seguin fiel, die zweite Hälfte lief gerade erst ein paar Minuten (48.), sank der Rekordstürmer der 2. Bundesliga auf den Rasen. Er jubelte auf den Knien, hämmerte dann wie ein Derwisch auf das Grün.

"Der Sieg war so wichtig, weil du konntest dich auch nach den schwierigen Wochen ein bisschen absetzen", befand Terodde und lobte vor allem die Einstellung seiner Mannschaft. "Die Leute wollen Tugenden sehen, die haben wir heute glaube ich gut auf den Platz gebracht und deswegen nehmen wir das gute Gefühl mit." Auch sein Trainer beschwor diese guten und daher fast unbekannten Gefühle: "In den richtigen Momenten haben wir die Tore erzielt. Mit dem zweiten Treffer ist das Selbstvertrauen weiter gewachsen", freute sich Gerarts. "Das Wichtigste ist, dass wir die drei Punkte geholt haben. Es war sehr schön zu sehen, dass die Mannschaft nach einer schwierigen Woche so reagiert hat." Was für eine Erlösung. Für das Team, für den Trainer, für den Stürmer.

"Es war ein sehr, sehr emotionales Spiel"

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Dabei war längst nicht klar, dass der 35-Jährige wieder einmal die große Geschichte des Abends erzählen würde. Denn Terodde wartete während der Woche auf die Geburt seines dritten Kindes, am Donnerstag kam Tochter Tilda zur Welt. "Gestern war ich noch im Kreißsaal", erzählte er später. "Das war ein Wettlauf mit der Zeit. Ein großes Kompliment an meine Frau, wie die das gestern gemacht hat." So konnte der Stürmer all das umarmen, was ihm wichtig ist. Seine Familie und seinen Klub, für den zu spielen er immer noch als Privileg empfindet. Nach 63 Minuten verwandelte Terodde einen Foulelfmeter nach VAR-Intervention. Alle zuvor bemühten Versuche der Gäste, irgendwie nochmal Spannung in diese Partie zu bekommen, waren direkt wieder abmoderiert. Und bei Terodde flossen hernach die Tränen. "Es war ein sehr, sehr emotionales Spiel. Ich glaube, das hat man gesehen."

Terodde der Held. Und seine Frau gewissermaßen die Matchwinnern. Schalke war erlöst, Kultspieler und Team-Manager Gerald Asamoh grüßte aus dem Schacht (Spielertunnel) mit einem äußerst fröhlichen "schön". Schalke erspielte sich noch ein viertes Tor durch Kenan Karaman, ein paar Chancen, unter anderem über den guten Einwechselspieler Keke Topp, und ein bisschen Sicherheit mit Ball am Fuß. Denn die war vor allem in der ersten Halbzeit längst nicht gegeben. So ist eben Abstiegskampf. Und der setzt sich nächste Woche nahtlos fort, wenn es zum Spiel bei Hansa Rostock geht. Die Hoffnung ist zurück. Anders als bei Osnabrück. Die vermöbelten Spieler schlichen nach dem Schlusspfiff in die Kurve. Dort wurden sie wütend von den 6000 mitgereisten Fans, die vor dem Anpfiff für eine beeindruckende Auswärtschoreo gesorgt hatten, mit "Wir-haben-die-Schnauze-voll"-Rufen begrüßt. Neun Punkte beträgt der Rückstand auf den Relegationsrang 16 bereits.

Quelle: ntv.de

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