Wer kann jetzt noch helfen? Fassungsloses Schalke 04 versinkt in riesiger Blamage
21.09.2024, 07:02 Uhr
Geschockter Schalke-Kapitän: Kenan Karaman.
(Foto: dpa)
Der FC Schalke 04 ist gegen Darmstadt 98 drauf und dran, ein Statement gegen die Krise zu setzen. Mit 3:0 liegt die Mannschaft in der eigenen Arena vorne und geht doch als Verlierer vom Platz. Damit wird die Frage aller Fragen immer lauter gestellt.
Kenan Karaman beherrscht eine seltene Kunst. Der Kapitän des Zweitligisten FC Schalke 04 kann sehr viel sagen, obwohl ihm "die Worte fehlen." Mit dieser Ratlosigkeit war er an diesem Freitagabend in der fassungslosen und geschockten Gelsenkirchener Arena nicht alleine. Die Mannschaft des tief gefallenen Riesen aus der darbenden Industriemetropole hatte im Duell der Absteiger gegen den SV Darmstadt 98 eine der skurrilsten Niederlagen der jüngeren Fußball-Vergangenheit kassiert. Mit 3:5 (3:1) schlichen die blamierten Königlichen schließlich vom Platz, flankiert erst von Stille, dann von wütenden Pfiffen. Sie hatten nicht nur ein 3:0 hergeschenkt, sie waren einfach kollabiert.
Aber warum? Warum? Niemand wusste es. Kann es dafür überhaupt eine Erklärung geben? Der nach Worten suchende Kenan Karaman sagte: "Jeder fragt sich, ob das hier heute wirklich passiert ist." Die Antwort aus Sicht der Schalker: leider ja. "Wir haben die zweite Halbzeit komplett verschenkt", klagte der Kapitän. Und verschenkt ist noch die Wahrheit in schön. Es tat schon weh zu sehen, wie sehr der Mannschaft immer mehr der Mut flöten ging, wie sich Panik in die Aktionen schlich und alles zusammenbrach. Dabei hatten der Ex-Nationalspieler Amin Younes und Karaman kurz nach der Pause noch zwei gute Gelegenheiten auf 4:1 zu stellen. Das wäre dann wohl die Entscheidung gewesen. Doch unmittelbar danach gab es einen Stromausfall in der Arena, es erwischte das Flutlicht und die TV-Kameras. Ehe die wieder Saft hatten, stand es plötzlich 2:3. Der Sky-Kunde verpasste das.
"Ich bin ein Sportmensch. Ich gebe nicht auf"
Tore: 1:0 Mohr (14.), 2:0 Sylla (34.), 3:0 Schallenberg (39.), 3:1 Hornby (45.+5, Handelfmeter nach Videobeweis), 3:2 Lidberg (56.), 3:3 Lidberg (76.), 3:4 Lidberg (87.), 3:5 Lopez (90.+7)
Schalke: Heekeren - Aydin, Kalas, Kaminski, Murkin - Younes (77. Donkor), Schallenberg - Antwi-Adjei (60. Höjlund), Sylla (77. Lasme), Mohr - Karaman. - Trainer: Geraerts
Darmstadt: Schuhen - Lopez, Riedel, Vukotic, Bueno - Klefisch, Müller (83. Papela), Marseiler (68. Lakenmacher), Corredor (90. Gjasula) - Lidberg (90. Zimmermann), Hornby (68. Kempe). - Trainer: Kohfeldt
Schiedsrichter: Florian Heft (Neuenkirchen)
Gelbe Karten: Kaminski (2), Aydin (2), Karaman (3), Murkin - Bueno, Vukotic (4), Corredor, Marseiler, Gjasula, Lopez, Kempe
Zuschauer: 61.021
Und mit diesem Moment war es um die Gastgeber geschehen. Nichts ging mehr. Schalke wurde in den Schlund des Verderbens gerissen. Dieses Spiel war der nächste Tiefpunkt auf der Rolle abwärts, auf der der Klub seit Jahren reist. In der vergangenen Saison drohte lange Zeit der Abstieg in die 3. Liga. Mit einem immensen Kraftakt wurde das Fiasko verhindert. Es wäre existenzgefährdend gewesen. In dieser Spielzeit sollte es alles besser werden, vor allem sollte es einfach mal ruhiger zu gehen. Doch die große Nervosität, die dieser Klub tief in sich trägt, scheint einfach nicht zu beherrschen. Wieder rauscht der königliche Express mit voller Fahrt Richtung Abgrund. Schalke hat erst vier Punkte nach sechs Spielen. "Es ist verständlich, dass wir ausgepfiffen werden. Wenn man zu Hause drei Tore macht, dürfen wir niemals verlieren. Dass die Fans eine gewisse Angst verspüren, kann ich verstehen, schon wegen des letzten Jahres", bekannte Karaman.
Dabei hatte an diesem Freitagabend doch alles so gut angefangen. Nach 39 Minuten stand es ja 3:0. Die Arena feierte und die berauschten Schalker glaubten, dass doch noch alles gut werden kann. Die Mannschaft war griffig im Zweikampf und spielte engagiert nach vorne. Von Krise keine Spur. Das noch folgende Horrorszenario hatte niemand im Kopf. Mit großer Leidenschaft schienen die Geister der vergangenen Tage ausgetrieben zu werden. Trainer Karel Geraerts, um den es in seiner fast einjährigen Amtszeit nie richtig ruhig geworden ist, stand wieder einmal in der Kritik, sein Rauswurf wurde nach dem schwachen Saisonstart immer wahrscheinlicher. Auch weil es einen bizarren Zoff mit Kaderplaner Ben Manga gab, der ohnehin kein Fan des belgischen Übungsleiters sein soll.
"Es ist nicht leicht zu verstehen"
Ob Geraerts diese nächste gigantische Enttäuschung überstehen kann? Fast nichts spricht für ihn. "Ich bin ein Sportmensch. Ich gebe nicht auf", sagte der 42-Jährige. "Ich gehe immer weiter. Das wird morgen so sein, das wird nächste Woche so sein. Das wird meine ganze Fußballkarriere so sein." Zu den Gründen für die vielleicht bitterste Pleite seiner Trainerkarriere sagte er: "Alle haben das Spiel gesehen. Unsere Mannschaft ist nicht mutig genug geblieben. Es ist nicht leicht zu verstehen."
Einer, der noch für ihn spricht, ist der Kapitän: "Ich weiß, dass die Trainerfragen kommen werden, aber ich denke, dass der Trainer uns gut auf das Spiel vorbereitet hat. Ich glaube, das hat man in der ersten Halbzeit gesehen. Wir haben vieles umgesetzt, was er uns mitgegeben hat." Aber dann gab es eben quasi mit dem Pfiff zur Pause noch einen Pfiff zum Elfmeter für die Gäste und das 1:3. "Wir haben daran geglaubt", sagte deren Keeper Marcel Schuhen bei Sky. "Sowas habe ich auch selten erlebt, aber da sieht man, wie wichtig ein 1:3 vor der Pause sein kann."
Mangelndes Training als Grund?
Darmstadt drückte und drängte, erst recht nach 2:3 in der 56. Minute. Schalke sucht Halt und fand nur Chaos. Ein konditionelles Problem durch schlechtes Training wollte Karaman als Erklärung nicht zulassen. "Ich glaube nicht, dass wir zu wenig trainieren. Unsere Trainingseinheiten sind sehr intensiv. Vielleicht hat es etwas mit den Köpfen zu tun, dass wir dann die Gegentore bekommen und danach mental einfach abfallen."
Wer kann jetzt noch helfen? Geraerts? Das wird immer unwahrscheinlicher. Und er weiß, dass er sein Schicksal nicht mehr in den eigenen Händen hält. Auf die Frage, ob er das Gefühl habe, dass die entscheidenden Personen im Verein noch hinter ihm ständen, sagte der Belgier: "Das ist eine Frage für den Kaderplaner, Aufsichtsrat oder andere Personen." Und Geraerts könnte nicht der einzige sein, der von der mächtigen Welle aus dem Amt gerissen wird. Auch Sportdirektor Marc Wilmots könnte schon zeitnah gehen müssen, nachdem er laut Sky in den letzten Wochen "eine ganz blasse Vorstellung" abgegeben hatte.
Aber was ist die Alternative auf der Trainerbank? Wer könnte diesen Klub retten? Mit Mike Büskens ist ein gerne genutztes Bordmittel seit Anfang August nicht mehr im Klub. Und Schalke hat im Prinzip auch alles schon durch. Seit der Jahrtausendwende haben sich 33 Trainer (!) versucht, inklusive aller Interimslösungen. Große Namen waren dabei: Huub Stevens, Jupp Heynckes und Ralf Rangnick. Sie zeugen von einer großen Vergangenheit, von Bundesliga, von Champions League. Verzweifelte Experimente gab es auch: Roberto di Matteo, Manuel Baum oder Christian Gross etwa. Was nun in Gelsenkirchen? Alles ist unklar. Alle steht unter Schock. Immerhin auf eine Sache kann man sich verlassen. Wann immer die Trainerdiskussion dringlich wird, taucht eines wieder auf: die unvermeidlichen Memes des unvermeidlichen Peter Neururer.
Quelle: ntv.de, tno