Völler sucht den Funken Flicks Fußballer spielen mit dem Teufel
27.03.2023, 14:13 Uhr
Hansi Flick ist nach dem WM-Debakel wieder entspannt.
(Foto: REUTERS)
Die Mission Wiedergutmachung ist angelaufen. Der Sieg gegen Peru im ersten Testspiel auf dem Weg zur Heim-EM war seriös herausgespielt, aber auch nicht mehr. Gegen Belgien kann das Team von Bundestrainer Hansi Flick dagegen viel gewinnen - oder alles wieder einreißen.
Es ist ein Spiel mit dem Teufel für die Fußballer der deutschen Nationalmannschaft. Präziser: Ein Spiel gegen elf rote Teufel. Am Dienstagabend (20.45 Uhr bei RTL und im Liveticker bei ntv.de) trifft das DFB-Team in Köln auf Belgien. Es ist der zweite Arbeitsschritt der Mission Wiedergutmachung nach dem Wüsten-Desaster von Katar. Und er ist ein durchaus heikler. Während Bundestrainer Hansi Flick wild experimentiert, kommt die Mannschaft des neuen belgischen Trainers Domenico Tedesco mit ihren Topstars um Kevin De Bruyne und Romelu Lukaku. Und sie kommt mit einer Top-Leistung aus der EM-Qualifikation. Schweden wurde in Solna mit 3:0 besiegt. Lukaku erzielte alle Tore, zwei wurden ihm von Herthas Außenstürmer Dodi Lukebakio aufgelegt.
Bedeutet also: die Abwehr, die am Samstag im ersten Spiel nach der WM, beim 2:0-Sieg gegen Peru, gar nicht gefordert worden war, darf sich auf einen Berg an Aufgaben einstellen. Allerdings ohne Nico Schlotterbeck, der verletzt abreisen musste. Für den Dortmunder spielt Thilo Kehrer an der Seite von Jubilar Matthias Ginter (50. Länderspiel). Kehrer war schon im ersten Duell für den 23-Jährigen eingewechselt worden. Das mit dem Berg an Aufgaben gilt auch für Marc-André ter Stegen, der aktuellen Nummer eins. Um diesen Status zu untermauern und womöglich länger zu behalten, dürfte er sich über ein paar Arbeitsproben freuen. Spiele, in denen er nichts zu tun hat, sind nicht hilfreich im Distanz-Duell mit Manuel Neuer, der nach seinem fatalen Ski-Unfall um schnelle Genesung bemüht ist und an diesem Montag seinen 37. Geburtstag feiert. Aber die ewige Geschichte ist nicht jene, die an diesem Dienstagabend in Köln vorab zum Thema wird. Es geht wieder einmal und weiterhin darum, wie sich Mannschaft und Fans einander annähern können.
"Das Wichtigste wird der Auftritt der Mannschaft sein"
Gegen Peru waren die Spieler darum bemüht, die Zuneigung der Fans zu einer etwas zu großen Größe aufzublasen. So laut, so euphorisch wie es manch einer darstellte, war es im Stadion nicht. Leidenschaftlich waren vor allem die Anhänger der Südamerikaner gewesen, die in überraschend großer Zahl in Mainz aufgeschlagen waren. "Wir können viele Kleinigkeiten tun, aber das Allerwichtigste ist, dass der Funke im Laufe des Spiels überspringen muss", sagte Nationalmannschaftsdirektor Rudi Völler nach dem Erfolg im Interview mit der Sportschau. Der DFB hatte in der vergangenen Woche zu einem öffentlichen Training mit Möglichkeiten für Selfies und Autogramme eingeladen, aber: "Das Wichtigste wird der Auftritt der Mannschaft sein. Wenn die Zuschauer und Anhänger das Gefühl haben, dass wir alles dafür tun, erfolgreich zu sein - dann werden wir diese auch zurückgewinnen." Siege erzeugen Begeisterung, Begeisterung erzeugt weitere Siege - ein neuer Geist soll die deutsche Mannschaft 2024 bei der Heim-EM zum Titel tragen.
Ein Zeichen für den Frieden im 1000. Länderspiel, eine USA-Reise im Herbst und zum Abschluss ein Duell bei Nachbar Österreich: Der Fahrplan der deutschen Fußball-Nationalmannschaft durch das Jahr vor der Heim-EM 2024 wird immer konkreter. "Geplant ist, dass wir im November das letzte Spiel in Österreich haben. Im Oktober ist eine USA-Reise geplant", sagte Bundestrainer Hansi Flick in Frankfurt. Vertraglich fixiert sei jedoch noch nichts, teilte der Deutsche Fußball-Bund (DFB). Erst dann gebe es eine offizielle Bestätigung. Das gilt auch für das angedachte Duell im Juni mit der Ukraine in Bremen zum DFB-Jubiläum.
Und so bemüht man sich beim DFB, die auch kleinen Erfolge etwas größer zu machen als sie (noch) sind. "Jeder Einzelne", stellte der Bundestrainer 114 Tage nach dem Fiasko in Katar und dem Sieg gegen Peru zufrieden fest, "ist bereit, diesen Extrameter zu gehen." Daher sei das Aufeinandertreffen mit einem indes nicht guten Gegner "sehr erkenntnisreich" gewesen: "Ich glaube schon, dass die Fans zufrieden waren." Angeführt vom neuen und treffsicheren Sturmchef Niclas Füllkrug (12./33.) dankte der runderneuerte Casting-Kader auf einer Runde den Zuschauern für die Zuneigung. Auch wenn in der zweiten Halbzeit arg viel Leerlauf herrschte, zog Flick eine sehr positive Bilanz: "Die Mannschaft war über 90 Minuten griffig und hat viel Leidenschaft und Dynamik gezeigt."
"Wir machen wenig Wechsel"
Gegen Belgien soll nun der nächste Schritt folgen. Zur sportlichen Entwicklung, zur Versöhnung. 40.000 Tickets waren bis Montagmittag verkauft, 2000 laut DFB noch zu haben. Durchaus ein Indiz für den neuen Kredit, der der Mannschaft gewährt wird. Tüchtig getilgt werden soll er mit eben einer Top-Leistung. "Fußballerisch ist es eines der besten Teams", lobte Flick. Auf den "ersten Schritt" gegen Peru solle nun der zweite folgen. "Ganz klar ist der Fokus, dass wir dieses Spiel erfolgreich bestreiten wollen." Und deswegen macht er das Duell mit dem Teufel auch nur bedingt zum Experiment. "Wir machen wenig Wechsel", sagte er nach dem Abschlusstraining auf dem Frankfurter DFB-Campus. Neben Kehrer wird auch Serge Gnabry in die Startelf rücken, der Flügelstürmer ersetzt den erkrankten und bereits abgereisten Kai Havertz. Ein, zwei Änderungen seien noch möglich.
Viel durcheinanderbringen will er bei seiner Mannschaft nicht. Für Chaos war ohnehin schon gesorgt. Der Megastreik in ganz Deutschland hat auch das DFB-Team erwischt. Die Pressekonferenz noch in Frankfurt, die Fahrt nach Köln außerplanmäßig im Bus statt mit dem Zug - der DFB musste reichlich improvisieren. "Es ist schon vieles durcheinander gekommen", berichtete Flick. Jedoch sehe er durch die neue Reiseplanung "keine Nachteile, auch wenn für uns nicht alles optimal ist - es gibt Schlimmeres". Nicht ganz optimal ist das Spiel auch mit Blick auf das Wochenende, wenn sich der FC Bayern und Borussia Dortmund zum Gigantengipfel treffen. Er muss die Belastung auch danach richten, dass die fünf verbliebenen Spieler der Bundesliga-Rivalen vor einem Duell stehen, das die Meisterschaft entscheiden könnte. Er nehme Rücksicht, "wenn es darum geht, Spieler vor Verletzungen zu verschonen", sagte er, aber: "Wer für Bayern oder Dortmund spielt, der kann alle drei Tage Fußball spielen. Wir machen keinen Minutenplan."
Grundsätzlich will Flick das Casting nämlich nutzen, um Abläufe zu verfestigen. Neben Joshua Kimmich könnte demnach auch Leon Goretzka wieder auflaufen. Beide gelten als Schlüsselspieler der Zukunft. Auf dem Feld, aber auch abseits davon. Immer wieder sagen beide furchtlos ihre Meinung. Gerade erst zum Fall Julian Nagelsmann beim FC Bayern. Aber gerade auch der gebürtige Bochumer spricht immer wieder klare politische Meinungen aus. Weil sich das Duo aber aus dem Verein bestens kennt, dürfte eher wieder der auferstandene Dortmunder Emre Can an die Seite von Kapitän Kimmich rücken, dem eine dauerhafte Chef-Beförderung im Team winkt. "Er hat es gut gemacht", sagte Flick zum Rückkehrer. Wie schon beim BVB gab er auch der Nationalmannschaft als defensiver Sechser gegen Peru Stabilität, die nach seiner Auswechslung nicht mehr ganz so gegeben war. Es wurde wilder, unkontrollierter. Gegen Belgien und seine Topleute sollte das besser nicht passieren.
Flick lobt Wolf und verteidigt Werner
Was für Can gilt, das gilt auch für seinen Teamkollegen Marius Wolf. Nach einem fürchterlichen Fehlpass in den ersten Sekunden von Mainz am Samstagabend steigerte sich der zweite Borusse immens und überzeugte als Rechtsverteidiger, der ewigen Problemposition im DFB-Team, vor allem mit seiner Dynamik und seinen schnellen und präzisen Vorstößen. "Man muss seine Leistung als Nationalspieler immer weiter bestätigen, aber er ist sehr fokussiert und will sich immer weiterentwickeln", sagte Flick über den Debütanten, der schon vor der WM 2018, damals noch bei Eintracht Frankfurt, als mögliche Überraschung für den Kader von Joachim Löw gehandelt wurde (was dann aber nicht eintrat). "Er hat seine Qualitäten gezeigt. Mich freut es enorm, dass er gegen Peru das zweite Tor vorbereitet hat. Es geht jetzt darum, diese Form auch zu bestätigen."
Was auch bleiben soll: die Doppelspitze. Füllkrug verdient sich mit seinem Instinkt und seiner Kaltschnäuzigkeit als Torjäger gerade den Status der vorübergehenden Unverzichtbarkeit. An seiner Seite dürfte erneut Timo Werner auflaufen, den Flick wieder einmal gegen kritische Fragen nach einem, nunja, eher durchwachsenen Auftritt verteidigen musste - oder wollte. "Er hat enorm viel Aufwand betrieben. Durch seine Läufe entstehen sehr viele Räume, die wir dann besetzen können. In der Offensive klappt das schon sehr gut", analysierte der Bundestrainer und kritisierte hernach: "In der Defensive geht es aktuell darum, wie genau die Aufgabenverteilung aussieht. Da muss die Abstimmung noch besser werden."
Quelle: ntv.de