"Hätte zwei, drei machen müssen" Frotzelnder Löw vergibt seinem Chancentod
12.10.2014, 11:56 Uhr
Soll er sich eher über sein starkes Debüt freuen? Oder wegen der verpassten Chancen ärgern? Karim Bellarabi hat es auch nicht leicht.
(Foto: imago/Pressefoto Baumann)
Ausgerechnet Debütant Bellarabi ist bei der DFB-Pleite in Polen bester Deutscher und gleichzeitig für die historische Niederlage mitverantwortlich. Bundestrainer Löw reagiert leicht angesäuert – aber nicht wegen seines eigenen Teams.
Das Spiel war verloren, und Karim Bellarabi schwankte zwischen Frust und Freude. Der 73. Debütant der Ära des Bundestrainers Joachim Löw stand in der Mixed Zone und musste zugegeben: "Ich hatte wirklich viele Chancen heute." Am Ende seines ersten Länderspiels wies die Statistik allein sechs der insgesamt 29 deutschen Torschüsse dem Debütanten zu, darunter einige Hochkaräter wie in der 44. Minute. In der Statistik stand für Bellarabi aber wie für das gesamte DFB-Team: Tore – 0. Zwei weniger als Polen also. Ein fataler Makel, der Bellarabi zu schaffen machte, er fand ja durchaus zu Recht: "Da muss ich natürlich eins, zwei, drei machen."
So kam es, dass für Bellarabi am Samstagabend beim Anpfiff dieses EM-Qualifikationsspiels in Warschau zwar "ein Traum in Erfüllung" gegangen war, er beim Abpfiff aber trotzdem zu den unglücklicheren Spielern seiner Mannschaft gehörte. Eingehandelt hatten sich die deutsche Fußballer das historische 0:2 zwar alle zusammen mit Nachlässigkeiten hinten und Fahrlässigkeiten vorne. Aber Karim Bellarabi hätte die Fortsetzung des Warschau-Fluchs vor 56.934 Zuschauern verhindern können, ja müssen. Weil sich darin alle einig waren, erwähnte der Bundestrainer bei seiner Analyse nur das Positive an Bellarabis Debüt. Die Eckpunkte des Löw’schen Lobs: "Wahnsinnig engagiert gespielt", "agil und unheimlich aktiv", "richtig, richtig gut im Spiel", "auch gefährlich nach vorne". Fazit: "Von daher war ich mit ihm absolut zufrieden."
Eine dezidierte Einzelkritik an einem Nicht-Dortmunder wäre nicht nur untypisch für Löw gewesen, sondern auch unangebracht. Löw hatte Bellarabi in Warschau schließlich nicht aus Herzensgüte und Gründen des Welpenschutzes durchspielen lassen, sondern weil der 24-jährige Leverkusener im deutschen Angriff der auffälligste Spieler gewesen war. Während Andre Schürrle auf links oft vergeblich auf Zuspiele wartete und sich dabei bisweilen mit Erik Durm gegenseitig auf die Füße trat, leitete Bellarabi im Zusammenspiel mit Mario Götze und Thomas Müller immer wieder gefährliche Aktionen ein. Seine Spielfreude ab der 20. Minute war ein wesentlicher Grund dafür, warum das DFB-Team den Gastgeber dominierte.
Polen hatten einfachen Plan
Ein anderer war die disziplinierte Defensive der Polen, die das Spiel Deutschland sehr gern überließen, um den Sieg zu behalten. Weil mitspielen gegen den Weltmeister aber sehr schwer sei, hatten die Polen ihre Offensivaktionen auf Anweisung von Adam Nawalka auf ein Minimum reduziert. "Unser Plan war sehr einfach: Wir wollten gewinnen", umriss Polens seit Samstagabend unsterblicher Nationaltrainer seine Erfolgsstrategie. Zuvor hatte er sich sogar von den polnischen Journalisten Beifall für die fußballerische Heldentat seines Teams abholen dürfen.
Fünf Torschüsse brachte der Gastgeber bis zum Abpfiff zustande, einen weniger als Bellarabi. Das reichte allerdings zu zwei Toren durch Arkadiusz Milik (51.) und Sebastian Mila (88.), bei denen einmal DFB-Keeper Manuel Neuer nicht gut aussah und einmal Linksverteidiger Erik Durm. "Wenn man gegen die Weltmeister spielt, muss man ein bisschen Glück haben. Aber diesem Glück muss man auch helfen", fand Nawalka und rühmte die Spielweise seines Teams als "entschlossen und sehr konsequent".
Bundestrainer Joachim Löw bilanzierte hingegen leicht angesäuert: "In der ersten Halbzeit gab es überhaupt keine Chance für Polen, in der 2. Halbzeit sozusagen fast aus dem Nichts das 1:0. Dass sie sich natürlich dann reinhauen und aufarbeiten, das ist klar." Das 2:0 kurz vor Schluss war Löw für nicht mehr als ein Kollateralschaden der eigenen Bemühungen um den Ausgleich ab, bei denen in der Schlussphase sechs deutsche Offensivspieler auf dem Warschauer Rasen standen – aber nicht mehr als einen Lattenschuss durch den eingewechselten Lukas Podolski (82.) fertigbrachten.
"Das gibt es jetzt halt mal"
Kein Drama, sondern Künstlerpech, so sah Löw die zweite Niederlage im dritten Spiel als Weltmeister. "Wir haben jetzt nach 33 Spielen wieder mal ein Qualifikationsspiel verloren, das gibt es jetzt halt mal. Das müssen wir jetzt einfach mal akzeptieren und so hinnehmen und versuchen die Lehren daraus zu ziehen." An Spielanlage und Engagement könne er "keine Kritik ansetzen", die EM-Qualifikation sei nicht in Gefahr, sondern Polen einfach der erwartet harte Gegner gewesen: "Ich bin mir sicher, das werden wir wieder ausgleichen."
Allerdings, räumte Löw mit Blick auf die Rücktritte und Verletzungssorgen ein: "Es gab mehr einschneidende Veränderungen, als ich mir nach der WM erhofft hatte." Die Umbauarbeiten, so die Botschaft, könnten etwas länger dauern als geplant. Zudem versuche jede Mannschaft gegen den Weltmeister, "vielleicht noch ein paar Prozentpunkte mehr rauszuholen". Aber das, stellte der Bundestrainer klar, betrachte er durchaus als Luxusproblem. "Das Leben", sagte Löw, "ist schöner wie vor der WM." Auch nach Spielen in Warschau.
Quelle: ntv.de