Unruhe in Uruguay Gegen Kolumbien und den Rest der Welt
28.06.2014, 15:55 Uhr
(Foto: AP)
Der Biss von Luis Suárez gehört schon jetzt zur WM-Geschichte. Vor dem Duell gegen das erstarkte Kolumbien dreht sich bei Uruguay alles um einen Spieler, der gar nicht mehr dabei ist. Das könnte den Kolumbianern in die Karten spielen.
Es gab keinen Weg zurück mehr. Oscar Tabárez, eigentlich nur "Maestro" genannt, hatte nicht vor, von seinem Konfrontationskurs abzuweichen. Er konnte nicht. Denn Luis Suárez ist mit Abstand sein bester Spieler. Und der wird seiner Mannschaft im Achtelfinale gegen Kolumbien (22 Uhr / n-tv.de Liveticker) fehlen. Um Sympathien schert sich Uruguay gerade nicht sonderlich. Es gehe um eine Weltmeisterschaft, "nicht um Moral", sagte der Trainer Uruguays, nachdem sich die Celeste gegen Italien durchgesetzt hatte.
Also nahm Tabárez seinen Starstürmer Suarez ein weiteres Mal in Schutz. Dieser habe einen Fehler gemacht, werde aber behandelt wie ein Krimineller. Luis Suárez war in der Vorrunde gegen Italien wieder einmal das Temperament durchgegangen. Sein Schulterbiss gegen Giorgio Chiellini gehört bereits jetzt zur WM-Folklore wie Zinedine Zidanes Kopfstoß gegen Marco Materazzi oder Frank Rijkaards Spucken gegen Rudi Völler.
Suárez' Biss wurde in der Tat sehr hart bestraft, nicht nur mit dem WM-Ausschluss und neun Spielen internationaler Sperre, sondern auch mit quasi vier Monaten Berufsverbot. Nicht einmal in der Nähe der Mannschaft darf sich der Beißer noch aufhalten. Allerdings tut bis hin zu Staatspräsident Jose Mujica ganz Uruguay so, als hätte es nichts gesehen. "Die Bilder zeigen nichts, es war ein Zweikampf. Man muss schon sehr dumm sein, um nicht zu merken, dass es alte Narben sind", spottete etwa der zuletzt verletzte Kapitän Diego Lugano nach dem Spiel. Die komplette Mannschaft solidarisiert sich mit Suárez, ganz Uruguay stilisiert ihn als Opfer.
Suárez als Märtyrer gefeiert

James Rodríguez ist einer der kolumbianischen Hoffnungsträger, mit dem es Uruguay zu tun bekommen wird.
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So wurde der Angreifer bei seiner Rü ckkehr auf dem Flughafen in Montevideo auch als Märtyrer gefeiert. Längst ist es eine Staatsangelegenheit: "Die Sanktion ist eine Aggression gegen die Jungs des uruguayischen Volkes", ereiferte sich Mujica. Und Trainer Tabárez hielt einen Wutmonolog über die seiner Meinung nach unrechtmäßige Verurteilung und die Hetze der internationalen Presse. Fragen waren nicht gestattet. Die uruguayischen Journalisten applaudierten.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass andere Spieler nicht derart geschützt würden. Denn Luis Suárez - in England gerade zum Fußballer des Jahres gewählt - ist sportlich unersetzbar, gerade für das kleine Uruguay, das weniger Einwohner als Berlin hat. Ohne ihren besten Torschützen hat die Celeste sowohl vor vier Jahren in Südafrika das Halbfinale gegen die Niederlande als auch zum Auftakt dieser WM gegen Costa Rica verloren. Suárez gab der alternden Mannschaft Energie. Mitunter eben auch zu viel. Nun muss wohl Altstar Diego Forlán noch einmal ran, aber auch mit dem besten Spieler der WM 2010 ist Uruguay nach der Unruhe der letzten Tage nur noch Außenseiter.
Zu gut hat Gegner Kolumbien bislang den Ausfall seines Stürmerstars kompensiert und schon jetzt das beste Turnier seiner WM-Geschichte gespielt. Drei überzeugende Siege gelangen den Südamerikanern selbst zu Zeiten von Carlos Valderrama, Freddy Rincón und Faustino Asprilla nie. Die aktuelle Generation hat die einstigen Helden - übrigens auch in einer kolumbianischen Telenovela - aus dem Stand überflügelt.
Auch Kolumbien fehlt Top-Stürmer
Allerdings konnte sich Trainer José Pekerman gedanklich auch ein halbes Jahr darauf einstellen, dass Radamel Falcao nicht rechtzeitig fit werden würde. Anfang des Jahres riss dem Stürmer des AS Monaco das Kreuzband. Doch gerade im Angriff hat Kolumbien zahlreiche hochwertige Alternativen. Teófilo Gutiérrez von River Plate Buenos Aires harmonierte in der Vorrunde hervorragend mit Jungstar James Rodríguez und dem auffälligen Juan Cuadrado im offensiven Mittelfeld. Auch die Ersatzstürmer Jackson Martínez, Torschützenkönig in Portugal, und Adrián Ramos, ab nächster Saison bei Borussia Dortmund, zeigten starke Leistungen, als sie gegen Japan beginnen durften. Und mit Carlos Bacca von Europa-League-Sieger FC Sevilla fehlte sogar noch ein Angreifer angeschlagen.
Überhaupt schmeißt sich Kolumbien in diesen Tagen ordentlich an das weltweite Fußball-Publikum ran: Ihre Tore zelebrieren die "Los Cafeteros" mit einstudierten Tanzchoreographien, die Lust auf noch mehr Treffer machen. Trainer Pekerman wechselte gegen Japan kurz vor Schluss den 43-jährigen Ersatztorwart Faryd Mondragón ein und sorgte für einen der emotionalsten Momente dieser Endrunde. Und mit James Rodríguez hat Kolumbien auch noch die aufregendste Neuentdeckung des Weltfußballs, wenn man das von einem, der im vorigen Sommer für 45 Millionen Euro zum neureichen AS Monaco wechselte, überhaupt sagen kann.
Dünn besetzt ist die Mannschaft des Argentiniers Pekerman, der tatsächlich eingebürgert werden soll, eigentlich nur in der Defensive, in der noch immer der 38-jährige Mario Yepes der Fixpunkt ist. Trotzdem spricht die Ausgangslage klar für Kolumbien, das nun sogar erstmals das Viertelfinale einer WM erreichen kann.
Doch Pekerman, der bereits vor acht Jahren mit Argentinien in Deutschland durch die Vorrunde marschierte, warnt vor Uruguay: "Sie sind immer noch ein sehr starker, erfahrener Gegner." Auch ohne Suárez.
Quelle: ntv.de