6 Lehren des Oster-Spieltags Guardiola erzwingt Glück, HSV steigt ab
06.04.2015, 15:48 Uhr
Raute ohne Traute: Das H in HSV steht längst für hilflos.
(Foto: imago/Ralph Peters)
Mit Anti-Guardiola-Fußball überrascht der FC Bayern den BVB und hat das Glück des Taktischen. In Hamburg heißt es: neuer Trainer, neues Leid. Bei Paderborn grassiert weiter akute Torschusspanik - und Frankfurt kann einfach nicht führen.
1. Es geht immer schlimmer
Ostern, Auferstehung, es hätte so eine schöne Geschichte werden können für den Hamburger SV und seinen Aushilfscoach Peter Knäbel. Eine wie bei Werder Bremen, wo die Profis nach dem Trainerwechsel zu Viktor Skripnik schwärmten, er habe ihnen endlich das Selbstvertrauen zurückgegeben. Nach Knäbels erstem Spiel als HSV-Chefcoach sagte Hamburgs Torwart René Adler: "Wir haben alle unsere Trikots in den Gästeblock geworfen, damit die Fans wenigstens etwas mitnehmen können." Adler war selbst bewusst, wie trist das Spiel seines HSV in Leverkusen gewesen war. Mit dem 0:4 waren die Hamburger bestens bedient und bei Twitter stritten die Experten, ob man angesichts der Hamburger Kapitulation von einem perfekten Leverkusener Spiel sprechen durfte. Wurde im letzten Jahr noch geulkt, nichtmal absteigen könnten die Hamburger, scheint der Bundesliga-Dino in diesem Jahr einen Schritt nach vorne gemacht zu haben. Bezahlfernseh-Experte Dietmar Hamann ist inzwischen überzeugt: "Der HSV steigt direkt ab."
HSV-Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer mochte nicht widersprechen: "Was zu sehen war, entspricht nicht meiner Vorstellung davon, wie Abstiegskampf zu führen ist." Das wirft die Frage auf, wie Knäbel die ersten beiden Wochen seiner Interimsamtszeit genutzt hat. Die offensive Ideenlosigkeit unter Saisontrainer Nr. 1 (Mirko Slomka) und Saisontrainer Nr. 2 (Joe Zinnbauer) hat er konserviert. Neu hinzugekommen ist eine defensive Instabilität, zu der Knäbel durch den Torwartwechsel von Jaroslav Drobny zu Adler beitrug. Einer der lustigsten Twitter-Witze über die HSV-Implosion war: "Alle elf Minuten verliebt sich ein Stürmer in die Innenverteidigung des HSV." Knäbel lachte nicht mit, er klagte: "Heute hatten wir keine elf Männer auf dem Platz." Es war die Elf, die Knäbel aufgestellt hatte. Und jetzt wartet der VfL Wolfsburg.
2. In München gibt's das Glück des Taktischen
Seit Borussia Dortmund den FC Bayern mit zwei Meisterschaften und einem Pokalsieg sportlich aufs Äußerste gedemütigt hat, lernen der BVB und der Rest der Liga das Münchner Maximax Prinzip kennen: Mit größtem finanziellen Einsatz sorgen die Bayern für maximalen sportlichen Erfolg, die schottische Premiership wirkt gegen die Bundesliga inzwischen wie ein Hitchcock-Krimi. Und obwohl die Münchner mit einem 31-Punkte-Vorsprung auf den BVB ins Topspiel gingen, zeigte sich einmal mehr: keinen Gegner nehmen die Bayern ernster als die Dortmunder. Deswegen haben sie dem BVB mit Mario Götze und Robert Lewandowski zwei Säulen der Meistermannschaft weggekauft. Deshalb spielen sie gegen den BVB neuerdings sogar Anti-Guardiola-Fußball, allerdings laut Guardiola unfreiwillig: "Ich würde gern anders spielen, als ich heute gespielt habe."
Auch wenn sich Jürgen Klopp und seine Dortmunder diesen Respekt hart erspielt und teuer bezahlt haben, er dürfte sie inzwischen frustrieren. Nicht genug damit, dass Ex-Borusse Lewandowski um 19.09 Uhr zum Münchner Sieg traf und die Bayern so wenig Torschüsse (7), erfolgreiche Pässe (77,4 Prozent) und Ballbesitz (52 Prozent) hatten wie noch nie unter Guardiola. Auch das Glück war den Münchnern - wie schon im Pokalendspiel 2014 - erneut hold. Guardiolas taktische Überraschung führte nicht zuletzt deshalb zu einem bemerkenswerten Trainersieg, weil dem BVB ein reguläres Tor aberkannt wurde und wer Jürgen Klopp in 50 Jahren darauf anspricht, wird sehen, wie sich ein Gesicht zur Faust ballt. Diesmal wurde den Dortmundern kurz vor Schluss ein klarer Elfmeter verwehrt, bestätigten unsere Schiedsrichterexperten "Collinas Erben". Es sieht so aus, als könne Guardiola nicht nur Maximax und Minimax, sondern auch das Glück erzwingen.
3. Führungen sind überbewertet
Das Wunderbare am Fußball ist, dass er auch liebgewonnene Erkenntnisse immer wieder beherzt über den Haufen wirft. Der "Ball ist rund" zählt mittlerweile zu den wenigen Wahrheiten, die wenigstens meistens gelten. Als offiziell überwertet darf inzwischen gelten, dass es auf dem Weg zu Siegen hilfreich ist, in Führung zu gehen. Zu verdanken hat die Liga diese Erkenntnis der Eintracht aus Frankfurt. In der Premieren-Saison des ewigen Bremers Thomas Schaaf in Hessen tun sich seine Frankfurter nicht nur als Spektakel-, sondern auch als konstante Kollaps-Könige hervor. Nach dem 2:2 gegen Hannover 96 haben die Frankfurter nun schon neunmal eine Führung nicht über die Zeit gebracht, 23 Punkte sind ihnen dadurch entgangen. Das darf man durchaus unglaublich finden, denn mit diesen 23 Punkten auf dem Konto wäre die Eintracht nicht verloren im Mittelfeld, sondern erster Bayern-Jäger mit einem Punkt Vorsprung auf den VfL Wolfsburg. Immerhin: Der aktuelle Eintracht-Einbruch rettete H96-Coach Tayfun Korkut den Job und sorgte noch für eine andere feine Geschichte. Hannovers Aufholjagd leitete nämlich Didier Ya Konan ein, der seine letzten beiden Bundesliga-Tore nun gegen Eintracht Frankfurt erzielt hat. Dazwischen lagen lächerliche 352 Tage.
4. Siegen ist auch im Keller nicht alles
Wenn sich Fans des SC Freiburg einen perfekten Bundesliga-Spieltag häkeln dürften, er würde aussehen wie Nr. 27 der laufenden Saison. Während die Konkurrenz im Keller kollektiv schwächelte und punktlos blieb, sofern der Gegner nicht Frankfurt oder Paderborn hieß, taten die Freiburger das, was sie in Pflichtspielen am liebsten tun: Sie besiegten ihren Lieblingsgegner 1. FC Köln im dritten Pflichtspiel der Saison zum dritten Mal und verließen erstmals seit Ewigkeiten die Abstiegsplätze. Während sie in Hamburg nach einem vergleichbaren Erfolgserlebnis schon wieder von der Champions League träumen würden, war die Stimmung im Breisgau zwiegespalten. Für SC-Präsident Fritz Keller war der Sieg "goldwert", SC-Coach Christian Streich legte die Leistung auf die Goldwaage. Ihn machten die Punkte "erleichtert und froh", aber: "Es war auch ein glücklicher Sieg, weil Köln in der zweiten Halbzeit besser war und bei uns die Abstimmung nicht mehr gestimmt hat. Wir müssen das alles nüchtern analysieren." Seine Ad-hoc-Analyse klang nicht nach einem schönen Osterfest, Streich fand: "Diese Leistung reicht nicht, um in der Fußball-Bundesliga noch einmal zu gewinnen." Angesichts der Tatsache, dass neben dem HSV auch noch Paderborn und Stuttgart die Liga bereichern, ist das bei drei Punkten Vorsprung auf Platz 16 aber womöglich gar nicht mehr nötig.
5. Vor Torschusspanik ist niemand sicher
Drei Heim-Pflichtspiele in Folge ohne Dortmunder Tor, das hat es seit Bestehen der Bundesliga nicht gegeben. Schlimmer noch: Die Gäste aus München gaben dem BVB im Topspiel bewusst den Ball, um selbst die Punkte mitzunehmen. Seit dem grandios-verrückten "Chancenwucher" (BVB-Coach Klopp) gegen Schalke hat die Dortmunder eine seltsame Chancenlosigkeit befallen. Exklusiv hat der BVB die nicht. Hamburgs hilflose Traineraushilfe Peter Knäbel beklagte nach dem 0:4 in Leverkusen, man müsse schon auch mal schießen, um irgendwie zu treffen und dachte dabei womöglich wehmütig an den 7. Februar 2015 zurück. Da hatte sich der große HSV gegen den kleinen HSV Schüsse zugetraut und feierte anderthalb Eigentore und einen verschossenen Hannover-Elfer später einen Sieg. 16 HSV-Tore in 27 Spielen sind eine so katastrophale Torausbeute, dass Reiner Calmund inzwischen überzeugt ist, irgendwo müsse "eine Bazille" drinsitzen.
Eine ganze Bazillen-Armee hat in der Rückrunde den Angriff des SC Paderborn befalllen und außer Gefecht gesetzt. Im Abstiegskrampf bei Hertha BSC, das manche Beobachter an die fußballerische Nachstellung der Passion Christi erinnerte, blieben die Paderborner im zehnten Rückrundenspiel zum neunten Mal ohne Tor. Das klingt unglaublich harmlos und ist es auch. Nur gegen Hannover traf Paderborn im Jahr 2015 und siegte prompt. Nach dem 0:2 in Berlin sagte SC-Coach Andre Breitenreiter: "Uns fehlte heute die Durchschlagskraft." Ein Satz, den er sich patentieren lassen sollte.
6. Ohne Königsklasse ist alles nichts
In seinem vielbeachteten Interview mit dem "Kicker" hat BVB-Kapitän Mats Hummels vergangene Woche klargestellt: Ob die Dortmunder im nächsten Jahr in der Europa League spielen oder nicht, ist ihm schnurzpiepegal. Was zählt, ist die Champions League. Auch wenn Hummels damit (und mit seinen ehrlichen Abschiedsgedanken) aufhorchen ließ und er ja so gern als eloquenter Querdenker wahrgenommen werden möchte: In der Bundesliga ist seine Meinung absoluter Mainstream. Während die Top 4 der Tabelle am 27. Spieltag allesamt gewannen, blieben die Top 5 bis 10 kollektiv sieglos. An den ersten zehn Plätzen des Klassements änderte sich nichts.
Das freilich überrascht, da BVB-Boss Hans-Joachim Watzke die Europaliga als sprudelnden Geldquelle ausgemacht hat. 30 Millionen Euro könnte er dort mit seiner Borussia einnehmen, schon in der Gruppenphase. Gut möglich, dass sich diese Erkenntnis bald rumspricht auf Schalke, in Augsburg, Hoffenheim, Bremen und Frankfurt, Platz 7 könnte ja schon reichen für die Reise nach Europa. Dann würde gelten: Ohne Königsklasse ist alles nichts - aber die Königsklasse ist nicht alles.
Quelle: ntv.de