Harry Kane oder nix Ein gigantischer Poker, der den FC Bayern ans Limit treibt
12.07.2023, 20:38 Uhr
Schreiender Löwe für den FC Bayern?
(Foto: picture alliance / AA)
Der FC Bayern und Trainer Thomas Tuchel möchten nach einer ernüchternden Saison wieder voll angreifen. In allen Wettbewerben. Als Schlüssel dafür gilt die Verpflichtung eines Stürmers. Bei der Suche sollen sich die Münchner auf einen Spieler konzentrieren, das ist riskant.
Als Pep Guardiola im Sommer 2013 seinen Dienst beim FC Bayern antrat, hatte er nur einen Wunsch: "Thiago oder nix" war seine klare Botschaft an die Bayern-Bosse. Die gehorchten. Und holten den kleinen Spanier nach München. 25 Millionen Euro kostete der Spielmacher damals. Eine Investition, die sich voll ausgezahlt hat. Zwar war seine Zeit an der Säbener Straße nicht frei von Kritik, weil er in wichtigen Spielen nicht der war, der er hätte sein sollen. Aber spätestens in der Triple-Saison 2020 hatte sich der Freigeist seinen festen Platz in der Legenden-Reihe des Klubs verdient. Gerade noch rechtzeitig, ehe er zum FC Liverpool weiterzog.
In diesem Sommer erleben die Münchner einen erneuten "Thiago oder nix"-Moment. Auch wenn ein verbales Äquivalent von Trainer Thomas Tuchel nicht bekannt ist. Seine Wunschliste, soll, je nach Medium, recht lang sein. Unter anderem sollen Mason Mount und Declan Rice draufgestanden haben. Mount, den Tuchel aus der gemeinsamen Zeit beim FC Chelsea in bester Erinnerung hatte, wechselt zu Manchester United. Rice steht wohl unmittelbar vor einem Transfer von West Ham United zum FC Arsenal. Um Rice soll sich Tuchel persönlich sehr bemüht haben. Unter anderem mit einem Hausbesuch. Den gab es wohl auch bei Harry Kane.
Lewandowski-Lücke klafft noch immer
Der Starstürmer soll unbedingt kommen. Der Kapitän der Tottenham Hotspur ist laut "Sport Bild" zum obersten Transferziel beim Rekordmeister ausgerufen worden. Der 29-Jährige soll die Planstelle besetzen, die seit dem Abgang des polnischen Torgaranten Robert Lewandowski noch immer verwaist ist. In der vergangenen Saison mühte sich Eric Maxim Choupo-Moting redlich, kämpfte aber gerade in der Rückrunde mit gesundheitlichen Problemen. Dem französischen Toptalent Mathys Tel wurde der große Sprung nicht zugetraut, all die anderen Experimente gingen nicht nachhaltig auf. Daher soll jetzt ein Superstar-"Neuner" her, Kane eben.
Das Problem: Spurs-Boss Daniel Levy will seinen Torjäger aus guten Gründen nicht ziehen lassen. Seit Jahren ist er die Lebensversicherung des Klubs. Und das soll er bleiben. Der neue Teammanager Ange Postecoglou etwa sagte erst am vergangenen Montag: "Er ist einer der besten Stürmer der Welt, und ich möchte, dass er sich hier beteiligt." Der Australier hofft dabei auch auf gute Argumente seinerseits. "In meinen Gesprächen mit ihm wird es darum gehen, diesen Verein erfolgreich zu machen, und ich habe keinen Zweifel daran, dass er das auch will." Eine Zusicherung, dass Kane über den Sommer hinaus bleiben wird, habe Postecoglou jedoch nicht erhalten. "Ich würde auch keine erwarten. Bei solchen Dingen kann man nie mit Sicherheiten aufwarten. Was ich im Moment weiß, ist, dass Harry Teil dieser Mannschaft ist und sich darauf freut, zurückzukommen." Zumindest zum Trainingsauftakt ist er erschienen - da blieb ihm aufgrund seines gültigen Vertrags aber auch nichts anderes übrig.
Mindestens 100 Millionen Euro fällig
Kane und die Bayern sollen sich dem Vernehmen nach einig sein. Sollte der Transfer gelingen, wäre es der zweite Weltstar-Transfer in Serie. Im vergangenen Sommer kam Sadio Mané. Er war deutlich günstiger und funktionierte (bisher) nicht. Wohl auch, weil sein Profil nicht zu jenem passte, das der Rekordmeister gebraucht hatte. Einen Sturmhünen eben. Kane ist so einer. Und der Poker in vollem Gang. Mittlerweile noch mit dem besseren Blatt für den aktuellen Arbeitgeber. Der FC Bayern konnte laut einem Bericht der "Daily Mail" die Bosse der Spurs auch mit seinem zweiten Angebot über 80 Millionen Euro plus Bonuszahlungen nicht überzeugen. Anderen Berichten zufolge müsste München mindestens 100 Millionen Euro zahlen, damit Levy einlenkt. Der Verein würde damit in eine neue Dimension vorstoßen. Die Grenze galt im lange als No-Go, war aber zuletzt immer mehr aufgeweicht worden. Unter anderem von Uli Hoeneß, dem zurückgekehrten Klub-Patron. Zumal die Bayern in jüngster Zeit immer wieder darauf hingewiesen haben, finanziell sehr gut dazustehen.
Wie die "Sport Bild" nun berichtet, geht die Überzeugung der Bayern-Bosse indes auch so weit, den Engländer, wenn nötig, auch erst im kommenden Sommer unter Vertrag zu nehmen. Dann wäre er, Stand jetzt, ablösefrei, denn sein Vertrag bei den Spurs läuft 2024 aus. Bis dahin kann noch viel passieren. Die Londoner bemühen sich intensiv, ihrem Kapitän einen längeren Verbleib schmackhaft zu machen. Der "Guardian" hatte berichtet, dass die Bezüge deutlich angepasst werden sollen.
Und dann ist da noch die Konkurrenz. Paris St. Germain bereitet sich auf den Abgang von Kylian Mbappé vor, der die Bosse des Klubs mit wütenden Sticheleien immer mehr gegen sich aufbringt. Mit Lionel Messi hat der Klub bereits einen Star verloren, Neymars Zukunft gilt als ungewiss. Und auch Real Madrid sucht nach dem Abschied von Weltfußballer Karim Benzema noch die große Lösung.
Vielleicht finden die Königlichen die in den nächsten Tagen mit Mbappé. Die Gerüchte um einen Wechsel sind einfach nicht kleinzukriegen. Bliebe aber immer noch PSG. Und der Verein will offenbar in den Poker um den Torjäger von der Insel einsteigen. Dort, bei PSG, wuchert das katarische Geld, in München dagegen wäre die Attraktivität der Liga das große Pfund (im Vergleich zur Ligue 1). Die Perspektive auf den Henkelpott, den Kane noch nie gewonnen hat, wäre bei beiden Vereinen vorhanden, wenn auch nicht schillernd. Zu weit entfernt scheint etwa Titelverteidiger Manchester City oder eben auch Real Madrid. Insbesondere, wenn noch ein Stürmer aus dem höchsten Regal des internationalen Fußballs kommt, was wahrscheinlich ist.
Noch eine Saison ohne Neuner?
Aber könnte es sich der FC Bayern leisten, eine weitere Saison ohne klassischen Neuner zu agieren? Eher nicht. So werden auch Optionen diskutiert, heißt es in der "Sport Bild". Weltmeister Julián Álvarez etwa soll für eine Leihe in den Blick genommen werden. Bei Man City hat er zwar seinen Vertrag gerade erst bis 2028 verlängert, kommt an Tor-Monster Erling Haaland aber nicht vorbei. Ein weiterer Mann als Platzhalter soll der Serbe Dušan Vlahović sein, der sich bei Juventus Turin in seiner Premierensaison nicht durchsetzen konnte. Andere Medien schreiben Niclas Füllkrug zum Rekordmeister. In München könnte er eine günstige Übergangslösung auf dem Weg zu Kane sein. Allerdings soll der Nationalspieler offenbar kurz vor einem Wechsel zu Bayer Leverkusen stehen, weil dort Patrik Schick weiter ausfällt. Der Zahl der Kandidaten auf der Position ist nicht unbegrenzt.
Dazu kommt noch etwas anderes: Die Alternativen bringen nicht das mit, was der FC Bayern so sehnsuchtsvoll vermisst und vielleicht auch in Kane sieht. Der ist nämlich Kapitän der englischen Nationalmannschaft, also ein gestandener Führungsspieler. Kane könnte jemand sein, der verhindert, dass die Bayern plötzlich unerklärlich einbrechen, so wie es im Bundesliga-Endspurt der vergangenen Saison mehrfach passiert ist. Dem Münchner Kader fehlen - bis auf Ausnahmen (Kimmich, Müller) - solche Spielertypen. Auch das könnte heftige Interesse des bayerischen Klubs erklären.
Die Lage für den Rekordmeister ist durchaus brisant, ganz anders als einst bei Thiago. Denn um einen Mann im Zentrum werden die Münchner nicht herumkommen, wenn sie in Europa eine tragende Rolle spielen wollen. Das bestimmt auch die Preise am Markt. Und wo kennt man sich besser mit Unsummen aus, als in der Premier League? Victor Osimhen (SSC Neapel) und Randal Kolo Muani (Eintracht Frankfurt) galten dem FC Bayern bereits als zu teuer, weil für sie Summen jenseits der 100 Millionen Euro aufgerufen worden sein sollen. Für die Münchner kann die Summe auch zum Risiko werden, denn eine solche Ablösesumme erlaubt keine lange Eingewöhnungszeit. Kane müsste sofort funktionieren.
Der Druck ist groß, anders eben als im Sommer 2013. "Thiago oder nix" war ein Luxusproblem. Denn im zentralen Mittelfeld tummelte sich mit Bastian Schweinsteiger, Toni Kroos, Javi Martinez und Luiz Gustavo reichlich Qualität. Und im Sturm? Da spielten Mario Mandzukic und der alternde Claudio Pizarro. Zusammen erzielten sie über alle Wettbewerbe verteilt 37 Tore. Weitere 26 Treffer steuerte Thomas Müller bei. Andere Zeiten.
Quelle: ntv.de