Fußball über die Feiertage Heiliger Terminwahn eint Premier League
25.12.2017, 17:06 Uhr
Zum Boxing Day sind die Stadien gut gefüllt - auch mit verkleideten Fans.
(Foto: imago/Action Plus)
An Weihnachten und um den Jahreswechsel wird in England das Fußball-Spektakel verdichtet. In der hypermodernen Premier League ist das eine der wenigen Traditionen, die geblieben sind, beobachtet unser Kolumnist.
Woher er genau kommt und was sein Name bedeutet, ist nicht ohne Zweifel geklärt. Es gibt Tausende Theorien über den Ursprung des Boxing Day, der in England in jedem Jahr am zweiten Weihnachtstag begangen wird. Eine Theorie besagt, dass früher die Reichen und Adligen an diesem Termin ihren Dienern frei gaben und sie mit Essenspaketen ("boxes") für ihre Familien ausstatteten. Eine andere geht davon aus, dass an diesem Tag Handwerkern mit kleinen Geschenken für ihre Arbeit gedankt wurde. Und dann gibt es natürlich noch die moderne Variante, wonach der Boxing Day den Tag beschreibt, an dem die Menschen die Innenstädte stürmen, um das Geld auszugeben, das sie zu Weihnachten bekommen haben, oder um ungewollte Geschenke loszuwerden. Und dann eben bepackt mit Kisten, Kartons und Schachteln wieder nach Hause kommen.

Hendrik Buchheister, Jahrgang 1986, ist freier Journalist, schreibt nicht nur über Fußball und berichtet seit dieser Saison aus Manchester über das sportliche Geschehen in England. Just ist sein Buch "Choreo - Kunstwerke aus deutschen Fußball-Fankurven" erschienen.
(Foto: Verena Knemeyer)
In jedem Fall ist der zweite Weihnachtstag ein besonderer Tag in England. Ein Tag, an dem es vorbei ist mit der Besinnlichkeit. An dem es die Leute nach draußen zieht, gerne, um seltsamen Beschäftigungen nachzugehen. Es gibt zum Beispiel die Tradition, am Boxing Day in den nächstgelegenen Fluss, See oder gleich in den Ärmelkanal zu springen, oft im Rahmen von Massenveranstaltungen. Auch die Fuchsjagd hat am zweiten Weihnachtstag eine lange Geschichte in England, auch wenn sie mittlerweile verboten ist. Ein Fußball-Verbot für den Boxing Day steht nicht zur Debatte.
Klopp begehrt gegen Boxing Day auf
Während Fans und Profis in Deutschland an den Feiertagen abschalten (oder in den Urlaub fliegen), wird in England durchgemacht. In die zwei Wochen zwischen dem 22. Dezember und dem 4. Januar sind vier Spieltage der Premier League gestopft, also insgesamt 40 Partien. Höhepunkt sind die Spiele am Boxing Day. In der so genannten Zeit zwischen den Jahren ist in England Fußball in der Verdichtung zu beobachten. Es sind Festtage des Fußballs.
Vermutlich würden die Spieler Weihnachten lieber anders verbringen als auf dem Trainingsplatz, im Mannschaftshotel, im Stadion und dann wieder im Mannschaftshotel. Die Klubs ächzen und schnaufen wegen der Belastung der vielen Spiele. Ernsthaft infrage gestellt wird der Terminwahn aber nicht. Höchstens von Neuankömmlingen vom Festland. Liverpools Trainer Jürgen Klopp hat heftig gegen die Gedankenspiele protestiert, die Partie seines Klubs beim FC Arsenal an Heiligabend stattfinden zu lassen. Dass sich das Bezahlfernsehen und die Liga dann doch dagegen entschieden, hat den deutschen Übungsleiter nur mäßig beschwichtigt. Er ist immer noch der Meinung, dass der Zeitplan seines Teams um Weihnachten zu eng gefüllt ist.

Jürgen Klopp - ein Zugezogener - versteht die Hysterie um den Boxing Day nicht.
(Foto: Action Images via Reuters)
Immer wieder kommt die Debatte auf, ob nicht auch der Premier League eine Winterpause gut tun würde. Alleine schon, damit die heimische Nationalmannschaft bei Welt- und Europameisterschaften im Sommer nicht immer schon nach der Vorrunde mit der Kraft am Ende ist. Der nach dem EM-Aus 2016 nur kurz amtierende Nationaltrainer Sam Allardyce war ein großer Anhänger dieser Idee. Sein Nachfolger Gareth Southgate sieht die Angelegenheit deutlich pragmatischer. Er könne sich nicht erinnern, dass es diese Diskussion in seiner aktiven Karriere in den 1990ern gegeben habe. Und tatsächlich wirkt sie wie ein Alibi. Als ob England gegen Island verlieren würde, weil es keine Winterpause gibt.
Kurze Wege zum Feiertagsspiel
Selbst wenn es irgendwann eine Unterbrechung im Spielplan geben würde, dann wohl eher im Januar, nach dem Weihnachtswahn. Der Boxing Day selbst ist den Fans heilig. Der beste Tag des Jahres. Viele Familien schenken sich Eintrittskarten zu Weihnachten, Eltern nehmen ihre Kinder mit zum Fußball, die Menschen gehen im Weihnachtsmann-Kostüm oder zumindest mit Weihnachtsmann-Mütze ins Stadion, sie singen Weihnachtslieder und erfreuen sich daran, dass ein Stück englischer Tradition erhalten geblieben ist in der ansonsten hypermodernen Premier League.
Um dem Publikum den Zugang zu erleichtern, setzen die Terminplaner am Boxing Day Spiele an, die weniger reiseintensiv für Fans von auswärts sind. Die Gefolgschaft des FC Southampton zum Beispiel muss in diesem Jahr vergleichsweise milde 80 Meilen fahren, um ihr Team im Wembley-Stadion bei Tottenham Hotspur zu sehen. Die Fans von Brighton and Hove Albion haben zur Partie bei Meister Chelsea eine Anreise von rund 60 Meilen. Die Anhänger des FC Burnley brauchen zum Old Trafford, wo das Duell mit Manchester United ausgetragen wird, weniger als 40 Meilen. Das ist ein nettes Entgegenkommen der ansonsten nicht besonders fanfreundlichen Premier League. Doch es wäre vermutlich gar nicht nötig. Am Boxing Day sind die Engländer beim Fußball. So oder so. Weil das einfach so ist.
Quelle: ntv.de