Auferstehung oder letztes Zucken? Hertha hofft und zweifelt
22.03.2010, 17:59 UhrEin Hauch von Hoffnung liegt wieder in der Berliner Frühlingsluft, doch am Tag nach der Sensation in Wolfsburg will bei Hertha von neuen Glücksgefühlen kaum etwas wissen. Grund ist der fatale Heimkomplex der Berliner und die Angst der Hertha-Fans, erneut zu hoffen - und dann erneut bitter enttäuscht zu werden.
Hertha-Manager Michael Preetz verbat sich nach dem berauschenden 5:1 in Wolfsburg jede Euphorie - weil die Berliner nun im eigenen Stadion nachlegen müssen. Das ist ein Problem für die Hertha, ein großes Problem sogar. "Wir haben es 2010 noch nicht geschafft, nach einem Auswärtssieg nachzulegen. Das ist unsere Aufgabe gegen Dortmund, endlich ein Heimspiel zu gewinnen", sagt Preetz deshalb mit Blick auf das nächste Heimspiel am Samstag. Dann kommt der BVB, der seine letzten drei Spiele mit einem Torverhältnis von 10:1 gewonnen hat.
Angesichts der noch immer tristen Ausgangslage mit 18 Punkten nach 27 Spielen und Platz 18 wollte sich auch Hertha-Chefcoach Friedhelm Funkel nicht lange mit dem 5:1-Sieg beim Noch-Meister aufhalten, auch wenn der schier unglaublich war. "Wir haben bislang kein Heimspiel gewonnen - das ist desaströs. Diese Serie müssen wir jetzt durchbrechen." Ganz richtig liegt Funkel allerdings nicht, denn unter seinem Vorgänger Lucien Favre gelang Hertha sehr wohl ein Erfolg im eigenen Stadion. Das war am 1. Spieltag gegen Hannover 96, ist also schon eine Ewigkeit her.
Vorbildlicher Kapitän

Kapitän Arne Friedrich agierte gegen Wolfsburg nicht so, als hätte er das Kommando auf einem sinkenden Schiff.
(Foto: APN)
Kapitän Arne Friedrich, der nach der heftigen Kritik an Spielern und Trainer infolge der 1:2-Pleite gegen den 1. FC Nürnberg in Wolfsburg 90 Minuten lang vornweg marschiert war, verwies auf die weiter schwierige Tabellensituation und den Rückstand auf Relegationsplatz 16: "Fünf Punkte sind noch immer unheimlich viel." Zumindest aber haben die Berliner in Wolfsburg endlich auch auf dem Feld bewiesen, was sie sonst nur verbal verbreitet hatten. "In diesem Team steckt viel mehr Qualität, als es der Tabellenstand aussagt", kommentierte auch Ex-Manager Dieter Hoeneß die fünf Berliner Lebenszeichen beim Meister, die gleichzeitig ein Debakel für seinen neuen Club bedeuteten.
Aus Berlin waren nach dem Kantersieg statt forscher Töne Richtung Konkurrenz in erster Linie Verweise auf die noch immer vorhandene Vitalität der "alten Dame" zu vernehmen. "Wir sind noch nicht tot", stellte Keeper Jaroslav Drobny fest. Preetz bemerkte: "Hertha BSC lebt noch." Der unerwartete Auswärts-Triumph, die wiedergefundene Vollstrecker-Qualität des dreimaligen Torschützen Theofanis Gekas, die Abgeklärtheit von Adrian Ramos (zwei Treffer), die neue Lust der Brasilianer Cicero und Raffael sowie das Selbstbewusstsein von Friedrich und Fabian Lustenberger haben die Kampfeslust zu Hertha zurückgebracht. "Wir werden weiterhin unsere Chance nutzen. Die Qualität in der Mannschaft ist da. Ich hoffe, dass mit diesem Sieg der Knoten durchschlagen wurde", sagte Preetz.
Keine Versöhnung mit den Ultras
Noch vor einer Woche herrschte Endzeitstimmung bei der Hertha. Nach dem 1:2 gegen Nürnberg schienen der Abstieg und der Abschied von Chefcoach Funkel bereits besiegelt. Doch aus den Tränen ist Trotz geworden: "Wir haben viel Prügel kassiert, teilweise zu Recht. Teilweise wurde aber auch über das Ziel hinaus geschossen. Das war kriminell", sagte Funkel und bescheinigte seinem Personal eine hochprofessionelle Reaktion auf den Schock gegen Nürnberg. Zahlreiche Chaoten hatten mit der Rasen-Stürmung nach der Niederlage gegen den "Club" den Verein bundesweit in Misskredit gebracht.

Nur glücklich über drei Punkte: Trainer Friedhelm Funkel (l.) und Manager Michael Preetz.
(Foto: dpa)
Zu einem harten Kern der Ultras, der in Wolfsburg vor dem Spiel mit "Absteiger, Absteiger"-Rufen aufgefallen war, bleibt das Verhältnis gespannt. Die Profis verweigerten eine gemeinsame Feier in der Fankurve. "Wir haben die Antwort auf dem Platz gegeben", sagte der starke Lustenberger. Die Mehrzahl der Anhänger aber wird am Samstag gegen Dortmund noch einmal alles geben - und genau das erwarten sie von den Spielern. "Es ist eine Schande, dass wir Letzter sind", sagte Kapitän Friedrich mit Hinweis auf die Leistung gegen Wolfsburg.
Knüppelhartes Restprogramm
Der höchste Auswärtssieg seit über 32 Jahren und die beste Leistung in der laufenden Saison haben beim Hauptstadtklub noch einmal Kräfte freigesetzt. Der Rückstand auf den Relegationsrang beträgt nur noch fünf Punkte. Plötzlich scheint das Wunder wieder möglich. Alles, was nach dem 1:2 gegen Nürnberg von manchem Kritiker noch verdammt wurde, ist auf einmal gar nicht mehr so schlecht: Der Trainer, die Mannschaft, sogar die Perspektive.
Wie man zu Hause gewinnt, hat den Herthanern ausgerechnet der Tabellenvorletzte SC Freiburg vorgemacht. Nach 174 Tagen ohne Heimsieg besiegten die Breisgauer am Samstag den FSV Mainz mit 1:0 - vor eigenem Publikum. Allerdings empfangen die Berliner in ihren vier Heimspielen hochkarätige Gegner aus der oberen Tabellenhälfte im Olympiastadion: Nach dem BVB kommen noch der VfB Stuttgart, Schalke 04 sowie Rekordmeister FC Bayern nach Berlin. Ein ähnlich schweres Restprogramm wie die Berliner hat nur noch Hannover 96.
So mancher Hertha-Fan wird deshalb über den unerwarteten Sieg der Berliner in Wolfsburg gar nicht glücklich sein. Nicht nur, weil ihnen fünf 1:0-Siege statt des einen 5:1-Erfolgs viel lieber gewesen wären. Durch den Kantersieg fängt plötzlich das blau-weiße Herz wieder an zu hoffen, obwohl der Kopf doch spätestens seit der vergangenen Woche kapituliert hat. Die Spieler und Verantwortlichen haben also die richtige Taktik gewählt, die Hoffnungen auf den Klassenerhalt trotz des Coups kleinzuhalten. Wozu geballte Enttäuschung führen kann, haben die Jagdszenen im Olympiastadion vor einer Woche gezeigt.
Restprogramm der Kellerklubs
13. | 1. FC Köln | 27 | 23:34 | 28 |
14. | VfL Bochum | 27 | 29:49 | 27 |
15. | 1. FC Nürnberg | 27 | 24:43 | 25 |
16. | Hannover 96 | 27 | 29:50 | 23 |
17. | SC Freiburg | 27 | 25:49 | 23 |
18. | Hertha BSC | 27 | 27:48 | 18 |
Sp. | Hertha | Freiburg | Hannover | Nürnberg | Bochum | Köln |
28. | Dortmund (H) | Hoffenheim (A) | Köln (H) | Bremen (A) | Frankfurt (H) | Hannover (A) |
29. | Köln (A) | Bochum (H) | Hamburg (A) | Mainz (H) | Freiburg (A) | Hertha (H) |
30. | Stuttgart (H) | Bremen (A) | Schalke (H) | Wolfsburg (H) | Hamburg (H) | Hoffenheim (A) |
31. | Frankfurt (A) | Nürnberg (H) | Bayern (A) | Freiburg (A) | Köln (A) | Bochum (H) |
32. | Schalke (H) | Wolfsburg (H) | Leverkusen (A) | Dortmund (H) | Stuttgart (H) | Bremen (A) |
33. | Leverkusen (A) | Köln (A) | Gladbach (H) | Hamburg (A) | Bayern (A) | Freiburg (H) |
34. | Bayern (H) | Dortmund (H) | Bochum (A) | Köln (H) | Hannover (H) | Nürnberg (A) |
Quelle: ntv.de, cwo/sid/dpa