Ratlos, hilflos, überfordert Hertha taumelt - fällt Favre?
28.09.2009, 02:38 UhrBei Hertha BSC ist derzeit Ratlosigkeit Programm. Eine Woche nach dem desaströsen 0:4 zu Hause gegen den SC Freiburg und vier Tage nach dem peinlichen Pokalaus bei Zweitligist 1860 München wollte die Elf von Trainer Lucien Favre bei der TSG Hoffenheim Wiedergutmachung betreiben – und kam mit 1:5 unter die Räder.
Der Versuch der Verantwortlichen, vor der Partie in Hoffenheim mit einem Mini-Trainingslager, einem neu verpflichteten Torwart und der Hilfe eines Psychologen moralische und praktische Aufbauarbeit zu leisten, war schon nach 44 Sekunden Makulatur: Vedad Ibisevic, seit seinem Kreuzbandriss im Januar 2009 ein Torjäger ohne Treffer, überwand den neuen Hertha-Keeper Timo Ochs mit einem schönen Volleyschuss - und entschied mit dem ersten seiner drei Tore bereits die Partie.
Nur drei Minuten später, die Hertha-Abwehr war inzwischen ein Torso, war Ibisevic erneut zur Stelle. Dass es nach sechs Minuten nicht 0:3 stand, hatten die Berliner dem Pfosten zu verdanken, an dem Obasi bei der nächsten Hoffenheimer Großchance scheiterte. Nach 90 Minuten hieß es 1:5 aus Sicht der Herthaner, die sich ohne ernsthafte Gegenwehr vorführen ließen. Nur 1:5, weil Hoffenheim nach dem fünften Tor in der 62. Minute das Ergebnis nur noch verwaltete. Hertha spielte so schlecht, dass den Hoffenheimer Fans sogar die Lust an der sonst üblichen Häme für den Gegner verging.
Während das kleine Union Berlin die 2. Liga aufmischt, taumelt die große Hertha eine Etage höher von einer Pleite zur nächsten. Die Angst der Hertha-Fans, nach der für Berliner Verhältnisse glorreichen Vorsaison ins graue Mittelfeld abzurutschen, ist der Furcht vor dem totalen Absturz gewichen. Im Angriff spielt die Hertha in dieser Saison wie ein Absteiger, in der Abwehr auch.
Nach dem - erlösenden - Abpfiff in Hoffenheim saß Hertha-Trainer Lucien Favre noch lange auf der Bank, starrte desillusioniert ins Leere. Der Schweizer, im Frühjahr dieses Jahres gefeiert und verehrt, weil er mit einer absolut durchschnittlichen Hertha-Mannschaft Überdurchschnittliches leistete und Meisterträume bei den Fans reifen ließ, steht ein halbes Jahr später vor dem Rauswurf. Gedanken an einen Rücktritt weist Favre weit von sich, er spüre noch immer das Vertrauen der Vereinsführung. Und natürlich habe er auch noch Ideen, wie er die Mannschaft wieder nach oben bringen könne. Nur warum sie nicht greifen, darauf hat Favre keine Antwort.
Gegen Hoffenheim wies die Berliner Hertha eindrucksvoll nach, warum das Team am Tabellenende steht.
(Foto: dpa)
Manager Michael Preetz rang nach der neuerlichen Blamage um Worte und Fassung: "Wir haben sehr viel probiert, Impulse zu setzen, der Mannschaft Vertrauen und Sicherheit zu geben." Doch nach dem frühen Gegentor habe sich "die Spirale weitergedreht - leider in die falsche Richtung". Ein Treuebekenntnis zu Favre mochte Preetz nach dem Spiel nicht abgeben.
Der Nachfolger des allmächtigen Dieter Hoeneß wirkt abseits des Platzes genau so, wie seine Mannschaft auf dem Platz agiert – ratlos, hilflos, überfordert. Sechs Ligaspiele in Folge hat die von ihm und Favre mit wenig Geld zusammengestellte Mannschaft nun verloren und damit den Negativrekord aus der Saison 1990/91 eingestellt, als die Hertha als abgeschlagener Tabellenletzter abgestiegen war. Aktuell stehen nach sieben Spielen erst drei Punkte zu Buche, aber schon 17 Gegentore.
Preetz geht auf Distanz
Manager Michael Preetz stellt sich nicht vor seinen Trainer. Fraglich ist aber auch, ob er noch hinter ihm steht.
(Foto: REUTERS)
Unübersehbar ist, dass Preetz langsam aber sicher von Favre abrückt. Auf die üblichen Durchhalteparolen, wie sie der Manager selbst und auch Kapitän Arne Friedrich am Mittwochabend nach dem Pokalaus bei 1860 München noch in einem wahren Floskel-Feuerwerk zum Besten gegeben hatten, verzichtete er diesmal. Stattdessen sagte Preetz: "Wir haben weiter das volle Vertrauen in den Trainer, aber man muss auch sehen, dass all die letzten Maßnahmen, die wir ergriffen haben, nicht auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Wir müssen uns jetzt alle an einen Tisch setzen, die Lage analysieren und schauen, dass wir eine Lösung finden, um wieder da rauszukommen."
Am Mittwochabend hatte Preetz auf die Frage, ob Favre nach wie vor fest im Sattel sitzen würde, noch kurz und bündig erklärt: "Das kann man wohl sagen."
Quelle: ntv.de