"Gefällt mir das? Nein!" Jürgen Klopps komplizierter Neustart
13.08.2023, 09:46 Uhr
Jürgen Klopp steht vor einer komplizierten Saison.
(Foto: picture alliance / Action Plus)
Nach der schwachen Vorsaison will der FC Liverpool mit neuem Mittelfeld zu alter Stärke finden. Jürgen Klopp geht zuversichtlich in die Spielzeit. Fest steht allerdings nur das: Liverpools Spiele dürften spektakulär werden.
Jürgen Klopp ist bekannt dafür, schnell ein Vertrauensverhältnis zu seinen Spielern aufzubauen. Es ist daher keine Überraschung, dass er die beiden Spieler, die der FC Liverpool bisher in diesem Sommer verpflichten konnte, schon mit Spitznamen versehen hat. Dominik Szoboszlai, für 70 Millionen von RB Leipzig verpflichtet, ist für Klopp "Dom". Alexis Mac Allister, für 42 Millionen Euro von Brighton & Hove Albion gekommen, wird "Macca" genannt.
Und wer weiß, vielleicht hatte sich der deutsche Trainer auch schon eine Anrede für Moisés Caicedo überlegt, dessen Wechsel ebenfalls von Brighton nach Liverpool schon festzustehen schien, und zwar für 110 Millionen Pfund, umgerechnet fast 130 Millionen Euro. Schon damit wäre der 21 Jahre junge Mittelfeldspieler aus Ecuador der teuerste Spieler, den es jemals im englischen Fußball gab. Allerdings ist der FC Chelsea offenbar bereit, noch mehr Geld für Caicedo zu zahlen. Der Spieler selbst würde dem Vernehmen nach ohnehin lieber an die Stamford Bridge wechseln als nach Anfield.
Neuaufbau nach dem Absturz
Der schwierige Transfer ist nicht der einzige Grund dafür, dass der FC Liverpool an diesem Sonntag - ausgerechnet gegen den FC Chelsea - in eine komplizierte Saison startet. Jürgen Klopps Klub hat einen verblüffenden Absturz hingelegt. In der vorvergangenen Spielzeit hatte der Verein bis kurz vor dem Ende die Chance auf vier Titel. Am Ende reichte es allerdings nur zum Gewinn des Ligapokals und des FA Cups. Das Rennen um die Meisterschaft in der Premier League entschied Manchester City am letzten Spieltag für sich, das Finale der Champions League ging gegen Real Madrid verloren. Es war verständlich, dass Liverpool in der abgelaufenen Spielzeit an körperlicher und geistiger Erschöpfung litt. Wie schwer der Durchhänger war, war allerdings eine Überraschung, auch für Klopp. Liverpool hatte mit der Vergabe der Meisterschaft nichts zu tun und landete nur auf dem fünften Platz.
Das bedeutet, dass in der neuen Saison zum ersten Mal seit sechs Jahren nicht mehr die Champions-League-Hymne in Anfield erklingt, sondern nur die Hymne der Europa League. Außerdem geht Liverpool, anders als zuletzt gewohnt, nicht als Titelkandidat und potenziell ärgster Konkurrent für Dauermeister Manchester City in die Spielzeit. Diese Rolle hat der FC Arsenal übernommen. Außenseiterchancen werden Manchester United zugestanden. Für Liverpool geht es in dieser Saison darum, einen Neustart erfolgreich zu gestalten, der beides war: gewollt und erzwungen.
Der Klub hat in diesem Sommer den überfälligen Umbruch im Mittelfeld eingeleitet. Spieler wie James Milner (zu Brighton) und Naby Keïta (nach Bremen) gingen, dafür stand schon früh in der Transferphase die Ankunft von "Dom" Szoboszlai und des argentinischen Weltmeisters "Macca" Mac Allister fest. Weil dem Verein dann allerdings ungeplant auch noch der langjährige Kapitän Jordan Henderson (Spitzname "Hendo") und Abräumer Fabinho ("Fab") nach Saudi-Arabien abhandenkamen, wirkt Liverpools Mittelfeld plötzlich ziemlich ausgedünnt. Statt des geplanten Umbaus dieses Mannschaftsteils ist praktisch ein Neubau nötig geworden.
"Habe ich erkannt, dass ich falsch lag? Ja"
Vor allem auf der Sechser-Position klafft nach Fabinhos Abschied ein Loch, das Liverpool mit großem finanziellen Aufwand zu füllen versucht. Nachdem sich der Verein frühzeitig aus dem Rennen um Jude Bellingham verabschiedet hatte, weil er für zu teuer befunden wurde, ist es ein Kurswechsel der US-amerikanischen Eigentümer, plötzlich eine Rekordsumme für Moisés Caicedo zu bewilligen.
Auch Klopp musste einsehen, dass solche Beträge nötig sind, um in der Premier League oben mitzuspielen. Nach dem Bekanntwerden des Angebots für Caicedo wurde er daran erinnert, wie er sich 2016 darüber empört hatte, dass Manchester United den damaligen Rekordpreis von umgerechnet mehr als 100 Millionen Euro für Paul Pogba zahlte. "Alles hat sich geändert. Gefällt mir das? Nein. Habe ich erkannt, dass ich falsch lag? Ja", antwortete Klopp. Was er als Umdenken verkauft, wird von Klopp-kritischen Beobachtern als scheinheilig gedeutet.
Unabhängig von der Frage, wer für wie viel Geld die Lücke im defensiven Mittelfeld füllt, steht fest, dass Liverpools Spiele in der neuen Saison spektakulär werden dürften, mit vielen Toren auf beiden Seiten. Der Klub verfügt über eine der besten Offensiven Europas. Diogo Jota und Luis Díaz sind nach Verletzungen wieder fit. Cody Gakpo startet in seine erste volle Spielzeit in Anfield. Darwin Núñez will sich nach einer komplizierten Premierensaison beweisen. Und Mohamed Salah bleibt weiter die Schlüsselfigur im Angriff.
Klopp versprüht Zuversicht
Sorgen macht dagegen die Defensive. Sollte sich einer der beiden Innenverteidiger Virgil Van Dijk (neuerdings Kapitän) oder Ibrahima Konaté verletzten, hätte Liverpool ein Problem. Trent Alexander-Arnold ist ein Risiko auf der rechten Abwehrseite. Er rückt oft ins Mittelfeld vor und lässt Räume in seinem Rücken. Das macht Liverpool anfällig bei Kontern. In der vergangenen Saison ließ der Klub die meisten Schüsse in einer Spielzeit seit Jürgen Klopps Ankunft zu. Nur Absteiger Leeds United und der FC Fulham erlaubten dem Gegner mehr Großchancen als Liverpool. In der Vorbereitung auf die neue Saison kassierte die Mannschaft gegen den FC Bayern und sogar gegen Darmstadt 98 einfache Tore nach langen Bällen.
Trotzdem wirkt Jürgen Klopp erfrischt, hoch motiviert, zuversichtlich. Er spricht vom "Liverpool FC reloaded". Das klingt nach Kinofilm. Und unterhaltsam dürfte das neue Liverpool auf jeden Fall sein. Nur wie die Saison ausgeht für den Verein, ist schwer vorherzusagen.
Quelle: ntv.de