Wolfsburgs Nachwuchs-Chefscout im Gespräch "Jugendarbeit ist Wettbewerb pur"
24.06.2011, 13:05 Uhr
Deutscher Fußballmeister 2011: Die A-Jugend des VfL Wolfsburg.
Die A-Jugend des VfL Wolfsburg ist erstmals deutscher Fußballmeister, obwohl die Niedersachsen nicht gerade als Talentschmiede bekannt sind. Über den langen Weg zum Premieren-Titel, unmoralische Angebot für Jugendspieler und die Aussichten für Talente, unter Chefcoach Felix Magath den Sprung zu den Profis zu schaffen, sprach n-tv.de mit Fabian Wohlgemuth, dem Scoutingchef des Wolfsburger Nachwuchszentrums.
n-tv.de: Herzlichen Glückwunsch zum Gewinn der Deutschen A-Junioren-Meisterschaft. Welchen Stellenwert hat dieser Titel für den gesamten Verein?
Wohlgemuth: Die Freude über diesen Titel ist riesengroß. Die Menschen beim VfL Wolfsburg sind genauso stolz wie beim ganz großen Triumph vor zwei Jahren. Und wir haben bewiesen, dass wir junge Fußballer erfolgreich ausbilden können.
Warum bleiben nicht alle Meisterspieler in Wolfsburg? Legt Felix Magath keinen Wert auf junge Kräfte, die vom Verein ausgebildet wurden?
Selbstverständlich beschäftigt sich Herr Magath aufmerksam auch mit der Nachwuchsarbeit. Es werden immer wieder Spieler aus dem eigenen Nachwuchs im Training der Bundesliga-Profis von Magath und seinem Trainerteam gefördert und gefordert. Wenn sich nun der eine oder andere Spieler dennoch für ein anderes Aktionsfeld entschieden hat, dann gehört das zum freien Wettbewerb. Die meisten sind geblieben und werden beim VfL weiter ausgebildet, um eines Tages in das Bundesligateam aufzurücken.
Die Statistik während seiner Zeit in Wolfsburg lässt aber vermuten, dass der Austausch zwischen dem Jugendbereich und Felix Magath nicht besonders rege war...
Wir kommunizieren sehr intensiv. Herr Magath informiert sich regelmäßig über die Abteilung und ist über jedes Detail der Entwicklung unserer Spieler informiert. Von Ende März bis Mitte Mai gab es natürlich eine andere große Priorität: Der VfL Wolfsburg musste in der 1.Bundesliga bleiben. Und das hat Gott sei Dank geklappt.
Ist es vielleicht ein Nachteil, dass der VfL mit VW einen finanzstarken Sponsor im Rücken hat und nicht gezwungen ist, auf die eigene Jugend zu setzen?
Das Gegenteil ist der Fall. Das Konzept des VfL basiert auf Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit. In einem solchen Umfeld können sich junge Menschen optimal entwickeln. Als Persönlichkeit und als Fußballspieler.
Bislang haben es aber noch nicht viele Spieler aus Ihrer Jugend geschafft, im Profibereich Fuß zu fassen. Pierre-Michel Lasogga, der die Hertha in die erste Liga schoss, spielte in der Jugend auch ein Jahr für den VfL.
Man muss bedenken, dass das Jugendinternat in Wolfsburg erst seit vier Jahren existiert. Die professionelle Jugendarbeit hat bei uns somit erst viel später begonnen als bei den Bayern, beim VfB Stuttgart, HSV oder Werder Bremen. Dafür, dass wir die Nachwuchsförderung erst seit kurzer Zeit höchstem Niveau betreiben, haben wir schnell aufgeholt und ernten jetzt die ersten Früchte. Im Gegensatz zu früher besteht die U-23 zum Beispiel fast ausschließlich aus Spielern, die im Verein ausgebildet wurden. Vor drei Jahren kamen viele noch von außerhalb. Es wurden Strukturen geschaffen, die uns langfristigen Erfolg garantieren.

Jens Todt leitete bis vor kurzem das Nachwuchszentrum, ist nun Manager in Bochum.
(Foto: picture alliance / dpa)
Sie kamen zu Beginn des Jahres vom HSV zum VfL Wolfsburg und folgten damit Jens Todt, der bis Mitte 2009 das Hamburger Nachwuchszentrum leitete. Welche Strukturen haben Sie in Wolfsburg vorgefunden?
Die Strukturen beim VfL sind hervorragend. Wolfsburg hat seit 2007 ein Internat mit fast 30 Zimmern, vielen Trainingsplätzen, eine eingegliederte Eliteschule und einen eigenen Bürotrakt auf einer Fläche von einem halben Quadratkilometer. Das macht vieles leichter, weil die Wege sehr kurz sind und alles zentral koordiniert wird. Wir haben kompetente Mitarbeiter, einen großen medizinischen Bereich und ein nachhaltiges Konzept, dass eine gute Verzahnung zwischen den einzelnen Jugendteams und dem U-23-Projekt ermöglicht. Bei alldem hilft uns natürlich die Unterstützung durch den Volkswagen-Konzern.
Über welche Eckpfeiler definiert sich die Philosophie Ihrer Jugendarbeit?
Zunächst einmal legen wir Wert darauf, dass anständige Jungs zum VfL kommen, die ehrgeizig und zielstrebig sind - das ist die Grundvoraussetzung für erfolgreiches Arbeiten. Natürlich müssen sie auch individuelle fußballerische Fähigkeiten mitbringen. Unser langfristiges Ziel ist es, Spieler für das Bundesligateam des VfL auszubilden. Dafür müssen der Charakter und die fußballerische Entwicklung stimmen.
Gibt es beim VfL Wolfsburg auch eine psychologische Betreuung, um die Nachwuchsspieler auf den Profialltag vorzubereiten?
Ja, wir haben einen Psychologen, der die Jungs betreut. Dazu gibt es im Jugendzentrum noch drei Pädagogen, die die Hausaufgaben-Betreuung übernehmen und sich um das Wohl der Jugendlichen außerhalb des Platzes kümmern. In gewisser Weise leisten sie mit ihrer Sozialkompetenz auch psychologische Arbeit. Außerdem führen wir regelmäßig Gespräche mit unseren Nachwuchsspielern, in denen sie die Möglichkeit haben, uns ein Feedback zu geben.
Als Felix Magath noch Trainer bei Schalke 04 war, riet er dem 17-jährigen Julian Draxler dazu, die Schule abzubrechen, um sich ganz auf den Fußball konzentrieren zu können. Welchen Wert legt der VfL Wolfsburg auf einen Schulabschluss?
Den Fall Draxler kann ich überhaupt nicht beurteilen. Für uns beim VfL Wolfsburg ist es absolut wichtig, dass unsere Jugendspieler neben der sportlichen Laufbahn auch die Schule auf möglichst hohem Niveau erfolgreich beenden. Es kommt durchaus vor, dass der Trainingsumfang reduziert wird, wenn die schulischen Leistungen nicht den erhofften Weg nehmen.
Ab welchem Alter macht es überhaupt Sinn, einen Jugendspieler langfristig unter Vertrag zu nehmen?
Ab der C-Jugend, wenn der Spieler 14 Jahre alt ist, werden Gespräche über einen Wechsel in unser Fußball-Internat aufgenommen. Dabei kann es vorkommen, dass wir feststellen müssen: Stopp, der Junge befindet sich noch nicht in dem Stadium, in dem er das Elternhaus verlassen und sich in eine große Gruppe Gleichaltriger eingliedern kann. Dann verschieben wir, prüfen neu und verzichten mitunter ganz.
Brauchen Jugendspieler denn schon einen Spielerberater?
Der DFB genehmigt die Beratung von Jugendspielern ab 16 Jahren. Es gibt, entgegen allen Vorurteilen, auch gute Berater im Jugendbereich, deren Tätigkeit Sinn macht. Zuweilen können sie die Persönlichkeitsstruktur ihres jungen Spielers recht gut einschätzen und uns mit wichtigen Informationen helfen. Für einen Jugendlichen, der in einem Großstadtkiez aufgewachsen ist, ist es möglicherweise nicht das Schlechteste, in ein ruhigeres Umfeld wie Wolfsburg zu wechseln oder umgekehrt. Man muss auch die Eltern verstehen: Wenn man vor der Entscheidung steht, sein Kind wegzugeben, ist es doch absolut legitim, bei jemandem um Rat zu fragen, der sich in der Branche gut auskennt.
Der VfL Wolfsburg steht, ähnlich wie die TSG Hoffenheim, in dem zweifelhaften Ruf, im Jugendbereich schon mit Geldscheinen zu wedeln, um sich die Dienste von Nachwuchsspielern zu sichern …
Wenn Klubs wie Chelsea, Liverpool oder Manchester City eines unserer Talente zur Ausbildung auf die Insel holen wollen, ziehen auch wir den Kürzeren. Auch Nachwuchsfußball - genauer Bundesliga-Nachwuchsfußball - ist Wettbewerb pur, in dem der Stärkere den Schwächeren besiegt. Der VfL Wolfsburg wird stärker und für Toptalente interessanter, indem er – wie eben geschehen - die Deutsche A-Junioren-Meisterschaft gewinnt.
Wie beurteilen Sie die Jagd auf 12- oder 13-Jährige, die schon frühzeitig von Profiklubs unter Vertrag genommen werden?
Wir lehnen das konsequent ab. Wir haben hier im Internat des VfL Wolfsburg eine Köchin, die wunderbares italienisches Essen macht. Die eigene Familie kann das aber nicht ersetzen.
Mit Fabian Wohlgemuth sprach Timm Leibfried
Quelle: ntv.de