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Lage in Katar schlimmer nach WM? LGBTIQ+-Community leidet in geheimen Umerziehungszentren

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Vor der WM in Katar wird auch die Misshandlung der LGBTIQ+-Community im Emirat oft Thema. Eine neue Doku zeigt nun: Das Leiden geht weiter, auch in geheimen Konversionszentren. Aber welchen Anteil hat der Westen mit seinen Regenbogen-Protesten daran?

Diskriminierung, Schikanen, willkürliche Verhaftungen, rechtswidrige Durchsuchungen von Telefonen, Misshandlungen in der Haft: So sieht der Alltag für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LGBTIQ+) in Katar und weiteren Regionen des Nahen und Mittleren Ostens oft aus. Vor der Fußball-WM 2022 und danach. Ein Leben im Verborgenen und in Angst.

Wie die Dokumentation "Rote Karte statt Regenbogen - Queere Katarer leiden weiter" (0.25 Uhr in der Nacht auf Donnerstag/RTL, zeitgleich auf RTL+ zum Abruf) von RTL/ntv zeigt, hat sich die Situation der queeren Community im Emirat nach der WM weiter verschlechtert. Nicht nur die Regierung und die Kräfte der Abteilung für präventive Sicherheit des Innenministeriums greifen hart durch. Auch die Bürgerinnen und Bürger eines der reichsten Länder der Erde lehnen die LGBTIQ+-Community öffentlich immer stärker ab, was wohl auch ein Resultat der Fußball-WM 2022 und der Versuche des Westens ist, für Queer- und Transrechte zu kämpfen.

Die Doku lässt etwa die katarische Transfrau Faisal zu Wort kommt, die erklärt, seit März 2023 würde wieder verstärkt gegen homosexuelle Bürgerinnen und Bürger vorgegangen. Katar sei "jetzt noch konservativer und strenger" geworden, sagt Faisal, deren Gesicht nicht gezeigt und deren Stimme aus Sicherheitsgründen nicht wiedergegeben wird, weil sie noch immer in Katar lebt. Ein Online-Video aus diesem Frühjahr zeigt, wie Katarer auf einen mutmaßlich Homosexuellen einprügeln und -treten. Kein Einzelfall laut RTL/ntv-Recherchen.

Homosexualität 'wegbeten'?

Den Nachforschungen zufolge gibt es in Katar seit Jahren geheime Konversionstherapie-Zentren, in denen LGBTIQ+-Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden und "umerzogen" werden sollen, um heterosexuell zu werden. Die Konversionstherapie ist eine weithin verurteilte Praxis, die darauf abzielt, die sexuelle und/oder geschlechtliche Identität einer Person zu ändern. Die Vereinten Nationen (UN) verurteilen die Praxis aufs Schärfste.

Abdullah A. soll aus einem solchen Umerziehungszentrum geflohen sein. Ein homosexueller Katarer, der im Jahr 2017 Asyl in Großbritannien erhielt und 2021 an einer Überdosis verstarb. In der Doku erzählt seine beste Freundin Vanessa Ager: "Es war ein religiöses Institut, wo sie versucht haben, ihn umzuerziehen, damit Freunde und die Familie ihn als heterosexuellen Mann anerkennen. Wenn sie gehofft haben, er könnte seine Homosexualität 'wegbeten', wäre er dort für den Rest seines Lebens gewesen."

Nach einem Bericht des US-amerikanischen Nachrichtenmagazins "Newsweek" aus dem vergangenen Dezember soll sich eines dieser Zentren nur fünf Autominuten vom Lusail-Stadion entfernt befinden, in dem Argentinien die WM-Trophäe gewann. "Katarern zufolge können LGBT+-Personen dort gegen ihren Willen inhaftiert und missbräuchlichen so genannten Behandlungen unterzogen werden, um sie heterosexuell zu machen", sagte Peter Tatchell, Direktor der Menschenrechtsorganisation Peter Tatchell Foundation, dem Magazin.

Human Rights Watch (HRW) hatte in einem Bericht aus dem vergangenen Oktober zwischen 2019 und 2022 sechs Fälle von schweren und wiederholten Schlägen und fünf Fälle von sexueller Belästigung in Polizeigewahrsam dokumentiert. Als Voraussetzung für ihre Freilassung ordneten die Sicherheitskräfte an, dass inhaftierte Transgender-Frauen an einer Konversionstherapie in einem staatlich geförderten Zentrum für "Verhaltensmedizin" teilnehmen.

Katar widerspricht Berichten

Ein Beamter der katarischen Regierung erklärte als Reaktion auf die HWR-Untersuchungen gegenüber der Deutschen Welle, die Behauptungen zu den Zentren enthielten "Informationen, die kategorisch und eindeutig falsch sind", und fügte hinzu, dass "die katarische Regierung keine 'Konversionszentren' betreibt oder genehmigt. Die in dem Bericht erwähnte Rehabilitationsklinik unterstütze lediglich "Personen, die an Verhaltensstörungen wie Drogenabhängigkeit, Essstörungen und Gemütskrankheiten leiden" und arbeite "nach den höchsten internationalen medizinischen Standards". In Katar gibt es keine Gesetze, die Konversionstherapie verbieten.

Das Emirat ist ein konservatives muslimisches Land und Homosexualität ist illegal, die Gesetze und kulturellen Normen basieren auf traditionellen Geschlechterrollen und -normen. Eine etablierte LGBTIQ+-Bewegung gibt es nicht. Nach Artikel 285 des katarischen Strafgesetzbuchs wird außerehelicher Sex, einschließlich gleichgeschlechtlicher Beziehungen, mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft. Für Muslime kann nach der Scharia sogar die Todesstrafe verhängt werden. Es gibt jedoch nur sehr wenige Belege dafür, dass dieses Gesetz auch durchgesetzt wird. Gegen LGBTIQ+-Inhaftierte wird selten Anklage erhoben, ihre willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen beruhen wohl auf dem Gesetz Nr. 17 aus dem Jahr 2002 über den Schutz der Gemeinschaft, das eine vorläufige Inhaftierung ohne Anklage oder Gerichtsverfahren für bis zu sechs Monate zulässt, wenn "begründete Gründe für die Annahme bestehen, dass der Angeklagte eine Straftat begangen haben könnte", einschließlich "Verletzung der öffentlichen Moral". Es gibt keinen rechtlichen Schutz für LGBTQI+-Personen in Katar.

Dabei hatte mit dem Mega-Event im vergangenen Winter alles besser werden sollen. Zumindest laut Aussagen der Veranstalter und des Fußball-Weltverbands FIFA. Bereits im Jahr 2020 versicherte Katar potenziellen Besuchern, dass es LGBTIQ+-Besucher willkommen heißen würde und dass es den Fans freistehen würde, die Regenbogenflagge bei den Fußballspielen der Weltmeisterschaft zu zeigen. Dass von der Regenbogen-Offenheit bei dem Turnier dann nicht viel übrig blieb, ist hinlänglich bekannt. Die Doku zeigt, wie Fans Regenbogen-Utensilien ablegen müssen. Auch Symbole der Iran-Proteste waren in Katar von Spiel zu Spiel immer stärker untersagt worden.

Die FIFA, die Katar 2010 den Zuschlag für die Weltmeisterschaft erteilte, hat 2016 die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte angenommen, die sie verpflichten, "Verletzungen der Menschenrechte anderer zu vermeiden und nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte anzugehen". Darin wird die FIFA aufgefordert, angemessene Maßnahmen zur "Prävention, Milderung und Behebung" von Menschenrechtsauswirkungen zu ergreifen. Doch beim Turnier kuschte der Weltverband vor Katars Machthabern.

Schädlicher LGBTIQ+-Protest aus dem Westen

Was hat die WM also bewirkt? "Die Regenbogen-Symbolik hat uns eher geschadet als genützt", sagt Faisal. "Einige denken jetzt, dass LGBTIQ+ ein Import aus dem Westen sei." Das habe viele Menschen in Katar noch wütender gemacht. Denn alles, was aus dem Westen kommt, wird von den mächtigen Konservativen und ihren Anhängern verachtet. Die Machthaber nutzen diese Ressentiments natürlich aus. Tatsächlich wurden westliche Proteste, die die Realitäten der Menschen im Emirat selten vollständig berücksichtigten, von queeren Katarern auch schon während der WM als schädlich eingestuft.

Diktat statt Dialog: Eine Analyse von "Qantara.de", ein Portal der Deutschen Welle, das eine Brücke zur islamischen Welt bauen will, kommt zu dem Schluss, dass eine Gruppe ungewollt ins Rampenlicht gezerrt wurde, die aufgrund akuter Gefahren lieber im Hintergrund bleiben würde. Und die schon länger gegen den Claim kämpft, eine westliche Erfindung zu sein.

Vor dem Hintergrund der RTL/ntv-Recherchen mutet ein schriftliches Statement der FIFA zur Doku zynisch an: "Wenn die Diskussionen rund um die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft in Katar über das Turnier hinaus dazu geführt haben, dass das Thema LGBTIQ+-Rechte in der Region offener diskutiert und einige Tabus gebrochen werden konnten, halten wir dies für einen Schritt in die richtige Richtung." Das Bundesinnenministerium um Sportministerin Nancy Faeser und auch das Bundeskanzleramt lehnten eine Stellungnahme ab.

Quelle: ntv.de

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