Keine Angst vorm Hamburg-Virus Löw therapiert, Bierhoff patzt
07.10.2016, 13:51 Uhr
Angst vorm Hamburg-Virus? Nicht bei der DFB-Elf.
(Foto: imago/Revierfoto)
Das mit der Chancenauswertung ist ja nicht die Sache der deutschen Fußball-Nationalelf. Das hat der Bundestrainer erkannt und eine Therapie erarbeitet. Im WM-Qualifikationsspiel gegen Tschechien soll sie bereits anschlagen.
Was sagt der Bundestrainer?
Geht der Espresso-Junkie plötzlich fremd? Berechtigte Frage. Joachim Löw, den man nahezu ausschließlich an der kleinen Kaffeetasse nippen sieht, greift am Freitagmittag beherzt zum Radler. Das steht vor ihm. Auf dem Podium des Pressepults, auf dem er Platz nimmt, um den obligatorischen Fragenhagel der Journalisten über sich ergehen zu lassen. Radler alkoholfrei - doch nicht. Der Espresso kommt – und Löw in Form. Der Bundestrainer hat Redebedarf. Wie schon im Sommer während der Fußball-Europameisterschaft, als er sich regelmäßig sehr viel Zeit für die nationale Neugierde nahm. In Hamburg, einen Tag, vor dem zweiten Qualifikationsspiel für die Fußball-WM 2018 in Russland gegen Tschechien (Samstag, 20.45 Uhr bei RTL und im n-tv.de-Liveticker) spricht der Bundestrainer höflich über den Gegner, über Uwe Seelers anstehenden 80. Geburtstag über seine Pläne als DFB-Coach (ohne konkret zu werden), über Ilkay Gündogan und über die deutsche Offensive. Das ist zwar nicht neu, aber dennoch bemerkenswert.

Joachim Löw hat sich Gedanken gemacht. Viele Gedanken. Vor allem um das deutsche Offensivspiel.
(Foto: dpa)
In der EM-Analyse ist ihm das Thema Chancenverwertung bitter aufgestoßen. Noch bitterer als während des Turniers. Also holt er aus, weit aus. In Frankreich habe sich seine Mannschaft in nahezu allen Bereichen, die ihm wichtig sind, verbessert. Verbessert im Vergleich zur Weltmeisterschaft 2014. Weniger konteranfällig, weniger Gegentore, besseres Spiel im letzten (vorderen) Drittel. Dort aber ging's mitunter hanebüchen fahrlässig zu. Chancen? Gerne. Tore? Eher nicht. Das hat Gründe. Natürlich. Die hat Löw erarbeitet. Und sie im dominanten Spiel seiner Mannschaft gefunden. Anders als noch 2010, so sagt er, sei die "Mannschaft von einer reaktiven zur aktiven" geworden. Bedeutet: Wie ein Spiel ausgeht, hänge maßgeblich von der Leistung der DFB-Elf ab. Durch die Dominanz habe das Umschaltspiel gelitten. Schnelle Ballgewinne, die binnen Sekunden zu Torchancen führen, gibt's immer seltener. Die Gegner meiden das Mittelfeld aus Angst vor dem Ballverlust, aus Angst vor der deutschen Kontermacht. Das leuchtet ein. Verbessert die Situation aber nicht.
Das weiß auch Löw. Kaltschnäuzigkeit und Effektivität lassen sich nicht mit Torschusstraining herbeiführen. Sie müssen wieder in die Köpfe der Spieler, aller Spieler. Das ist der Ansatz: "Wir versuchen die Konzentration zu schärfen, Wettkampfsituationen zu schaffen." So soll's gelingen. Norwegen (3:0 am ersten Spieltag) war ein guter Anfang, jetzt will der Bundestrainer mit seiner Mannschaft nachlegen. Die klare Vorgabe lautet: "Sechs Punkte aus den Spielen gegen Tschechien und Nordirland (am Dienstag)."
Wie ist der Krankenstand?
Tor: Bernd Leno (Bayer Leverkusen), Manuel Neuer (FC Bayern), Marc-André ter Stegen (FC Barcelona). Abwehr: Jérôme Boateng, Mats Hummels, Joshua Kimmich (alle FC Bayern), Jonas Hector (1. FC Köln), Bene- dikt Höwedes (FC Schalke 04), Shkodran Mustafi (FC Arsenal), Sebastian Rudy (TSG Hoffenheim). Mittelfeld: Julian Brandt (Leverkusen), Julian Draxler (VfL Wolfsburg), Ilkay Gündogan (Manchester City), Sami Khedira (Juventus Turin), Toni Kroos (Real Madrid), Max Meyer (Schalke), Thomas Müller (FC Bayern), Mesut Özil (FC Arsenal), Julian Weigl (Borussia Dortmund). Sturm: Mario Götze (Borussia Dortmund), Kevin Volland (Leverkusen). Trainer: Joachim Löw.
In der Fußball-Stadt Hamburg bedenklich - im deutschen Kader nicht vorhanden. Die sportlich höchsten Vertreter der Stadt haben sich mit dem unheimlichen Verlierer-Virus angesteckt. Während der Hamburger SV seit Jahren nach einer erfolgreichen Therapie sucht, hat sich der Erreger erst in diesem Sommer vehement ans Millerntor geschlichen und den FC St. Pauli infiziert. Doch trotz der offenbar nur kurzen Inkubationszeit und hohen Ansteckungsgefahr ist die Hansestadt noch nicht zur Sperrzone für kickendes Fachpersonal geworden. So lassen die Verantwortlichen nun ganz im Gegenteil auch noch den amtierenden Weltmeister in die Stadt, ausgerechnet ins Volksparkstadion - dort, wo sich der Schädling offenbart hat. Deutschlands Chefabwehrkraft Jérôme Boateng, Fachgebiet messerscharfe Defensivoperationen, fühlt sich und sein Team immun gegen den Virus. Im Interview mit der "Bild"-Zeitung sagt er: "Das betrifft uns nicht." Vielmehr ist der DFB-Korpus an anderen Stellen malade – bei der Chancenverwertung (siehe oben) und ganz generell dem Toreschießen. Doch auch hier sieht Dr. Boateng unnötige Sorgen in der Bevölkerung. Er mahnt wie sein Chef zur Ruhe, schließlich gibt's bewährte Medikamente: Konzentration, Kaltschnäuzigkeit (siehe auch oben) und Entschlossenheit. Alle übrigens rezeptfrei.
Wer ist Mitarbeiter des Tages?
Bleiben wir noch ein bisschen bei Jérôme Boateng. Der kennt sich nämlich nicht nur in seinem Fachgebiet (messerscharfe Defensivoperationen) aus, sondern hat auch Kompetenzen in der Psychologie. Ganz anders als WM-Elfmeterkiller und TV-Experte Jens Lehmann. Zumindest sieht das offenbar der Bayern-Verteidiger so. Der Torwart hatte zuletzt, nach dem 3:0-Erfolg gegen Norwegen in der WM-Qualifikation, im Beisein von Bundestrainer Joachim Löw ziemlich böse Worte für Mario Götze gefunden. "Er gibt einem immer das Gefühl, dass er nichts macht. Das ist ein bisschen enttäuschend, denn er bekommt immer große Unterstützung von dir und von der Mannschaft." Verbal-Kapitän Boateng, der echte ist ja Manuel Neuer, sieht das freilich ganz anders. "Man sollte mit Kritik an einzelnen Spielern immer verantwortungsvoll umgehen. Gerade, wenn man früher selbst Spieler war. Da weiß man am besten, wie es ist. Es war kein schlechtes Spiel von Mario. Und ich glaube nicht, dass Herr Lehmann immer überragend gespielt oder nie einen Fehler gemacht hat." Wir haben das überprüft und folgendes, belastendes Material gefunden:
War sonst noch was?
Oliver Bierhoff schwingt sich mehr und mehr zum Chef-Mahner der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf, also quasi zum DFB-Sammer. 20 Jahre und ein paar Tage nach seinem goldenen Tschechen-Knockout bei der Europameisterschaft 1996 nimmt der Teammanager seine Nachfolger in die Pflicht. "Es ist wichtig, dass man das große Potenzial nicht leichtfertig verschenkt." Eine ziemlich klare Botschaft an die Nationalspieler, denen die Qualifikationsspiele in der Vergangenheit oft etwas schwerer fielen, als es der Gegner hätte vermuten lassen. "Der Start in Norwegen war sehr gut, nicht nur vom Ergebnis, sondern auch von der Art, wie wir das Spiel angegangen sind. Das wollen wir gerade auch hier in den Heimspielen machen und schönen Fußball zeigen". Besonders in Hamburg, für die Stadt, für die Stimmung. In diesen traurigen Zeiten. "Ich hoffe auf eine gute Stimmung. Vielleicht hilft es uns, dass die Zuschauer nicht ganz so verwöhnt sind vom HSV, dass sie sich auf unsere gute Leistung freuen können." Ähm, übermahnt?
Quelle: ntv.de