Fußball

Die DFB-Elf in der Einzelkritik Löw zaubert, Hummels irrt, Draxler verwirrt

Durften gleich dreimal feiern: die deutschen Nationalspieler

Durften gleich dreimal feiern: die deutschen Nationalspieler

(Foto: picture alliance / dpa)

In der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gibt es viele Spieler, die für magische Momente stehen. Im WM-Qualifikationsspiel gegen die Tschechen sorgen aber drei überraschende Protagonisten für Samba-Feeling in Hamburg.

Bundestrainer Joachim Löw lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Nicht einmal durch einen hohen Ball, der auf ihn zugeflogen kommt. Lässig mit der Hacke entschärft er das auf ihn zurasende Geschoss. Doch der Weltmeister-Trainer ist nicht der einzige Deutsche, der im herbstlich-kalten Hamburg für begeisternde Ball-Artistik sorgt. Beim durch Thomas Müller (13./66.) und Toni Kroos (49.) herausgeschossenen 3:0 (1:0)-Erfolg im zweiten Gruppenspiel der WM-Qualifikation gegen Tschechien zeigen sich auch Jérôme Boateng und Mats Hummels von einer neuen Seite. Nur ein Spieler wird von seinen Kollegen völlig vernachlässigt. Die Einzelkritik.

Manuel Neuer: Von Brandreden hält Manuel Neuer nichts. Das hat er in den Tagen vor dem Duell mit den Tschechen noch einmal betont. Nun aber könnte langsam eine fällig werden, denn der Kapitän der Nationalmannschaft und seine Crew entfremden sich zunehmend voneinander. Teilweise minutenlang stand der Keeper in seinem 73. Länderspiel alleine, regungslos, zehn Meter vor seinem Strafraum. Mitspieler? Am Horizont nur ganz entfernt zu erahnen. Die Untätigkeit des Keepers in seinem 32. Zu-Null-Spiel für Deutschland war allerdings durchaus bemerkenswert. Denn in Hamburg war’s zornig frisch, auch wenn das Stadtionthermometer hanseatisch stur zehn Grad plus anzeigte. Die Erinnerung daran, dass Neuer der beste Keeper der Welt ist, wie ihn der Stadionsprecher beim Einlaufen angekündigt hatte, ploppte zumindest einmal auf, als er in der 63. Minute schnelle Fäuste gegen Borek Dockals Schlagschuss zeigte.

Bereitete das 3:0 vor: Jonas Hector

Bereitete das 3:0 vor: Jonas Hector

(Foto: picture alliance / dpa)

Jonas Hector: War zunächst auch ein Kandidat, der mit seinen Mitspielern dringend hätte mal das Gespräch suchen müssen. Selten bis gar nicht registrierten seine Kollegen, dass der Kölner irgendwie auch mit auf dem Platz stand. War zwar stets bereit, aber selten gefordert. Bekam es dann aber zunehmend besser hin, auf sich aufmerksam zu machen. Wie dem stillen Kölner das gelungen ist? Nun, es ist sein Geheimnis, hat aber auf jeden Fall funktioniert. Hat seinen besten Moment, als der Zeugwart ihm schon warme Sachen zurechtgelegt hatte. Sekunden vor seiner Auswechselung nahm er einen Ball von Mesut Özil bis zur Grundlinie mit, legte ihn quer, bereitete so das 3:0 durch Thomas Müller vor und durfte dann duschen gehen. Ansonsten: Wie immer sehr souveräne Basisarbeit. Es gab allerdings schon aufregendere Abende mit und für Jonas Hector. Benedikt Höwedes (ab 68. Minute): Ersetzte seinen Kölner Vorgänger positionsgetreu auf der linken Seite und hatte zwei Torabschlüsse. Ende der Mitteilung.

Jérôme Boateng: Der Innenverteidiger des FC Bayern München kann grätschen, köpfen, schnell laufen. Er kann Beckenbauer-Diagonalen schlagen, Torgefahr erzeugen und sie in der gleichen Sekunde wieder zerstören. Boateng kann aber auch Tore erzielen. Und er kann schimpfen, organisieren, wachrütteln. Bei der Europameisterschaft in Frankreich in diesem Sommer hat er das allen, die es ihm (verrückterweise) nicht zugetraut hatten, bewiesen. In Hamburg, in seinem 66. Länderspiel, veredelte er sein Gesamtpaket, ließ einen Gegenspieler mit zurückgezogener Sohle aussteigen, spielte Pässe mit dem Außenrist und legte per Hacke auf Mats Hummels ab. In den wenigen Situationen, in denen er seiner Kernaufgabe nachkommen musste, stellte der Abwehrtitan einfach lässig seinen Körper in den Weg.

Mats Hummels: Bereits nach wenigen Sekunden fühlte sich der Bayern-Verteidiger zu mehr berufen, als dem Vorverhinderungsauftrag. War auf dem Feld omnipräsent. Gestaltete das Spiel mit kernigen Diagonalbällen, mit flachen Pässen und mit Ausflügen in den letzten Sektor des Gegners. War dort so häufig mit Ball am Fuß zu sehen, dass das in Abwesenheit von Mario Gomez fehlende Sturmgewicht bestens ausbalanciert wurde. Einzig seine offensiven Dribblingversuche erinnerten daran, dass Hummels eher fürs Ball abnehmen ausgebildet wurde, denn fürs Ball mitnehmen. In der Defensive war er zweimal gefordert, grätschte einmal heldenhaft gegen Matej Vydra (20.) und verhinderte nur wenige Minuten später mit einem Hackenblock, dass der Ball gefährlich von Manuel Neuer hätte platziert werden können.

Wird derzeit gehypt: Kimmich

Wird derzeit gehypt: Kimmich

(Foto: picture alliance / dpa)

Joshua Kimmich: Ist derzeit berauscht. Hat in dieser Saison für Klub und DFB-Elf bereits sechs Pflichtspieltore erzielt. Wurde hinter vorgehaltener Hand schon als Ideallösung der deutschen Sturmmisere in Stellung gebracht. Welch wahnsinnige Züge der Kimmich-Wahn mittlerweile angenommen hat, zeigte Marcell Jansen. Sein Tipp vor dem Spiel: 3:0 (richtig), alle drei Tore durch den Bayern-Youngster (falsch). Spielte auch in seinem achten Länderspiel wie immer munter und unbekümmert drauf los, legte das 2:0 für Toni Kroos perfekt auf. Hatte im Rausch aber auch ein paar plumpe Aussetzer. Weil Tschechien aber harmlos war, war’s irgendwie egal.

Sami Khedira: In einem Mittelfeld voll mit offensivlaunigen Feingeistern sollte sich der Taktgeber von Juventus Turin mit um den Spielaufbau kümmern. Klappte so lala, weil der Spielaufbau ja meist von den Diagonalballkünstlern Hummels und Boateng übernommen wurde. Weil auch seine zweite Kernkompetenz, den Spielaufbau des Gegners zu stören, kaum gebraucht wurde, war der besonnene Herr Khedira eigentlich überflüssig. Wollte sich damit jedoch nicht abfinden, versuchte daher zweimal mit der Hacke auf sich aufmerksam zu machen.

Toni Kroos: Der dritte Spieler im deutschen Kader, der dringend mal mit den Kollegen reden muss. Der Mann von Real Madrid, der laut tschechischem Coach Karel Jarolim ein Navigantionsgerät im Kopf hat, mit dem er das Spiel steuert, hatte zu Beginn kleinere Signalprobleme. Diese gingen von den Störsendern Boateng und Hummels aus, die fleißig versuchten, sich mit Packingwerten zu überbieten. Wann immer Kroos aber den Ball hatte, wurd’s intelligent. Hatte seine beste Idee in der 49. Minute, als er das 2:0 erzielte und damit verhinderte, dass in Deutschland weiter über den Chancenwucher der DFB-Elf gelästert wird. Ilkay Gündogan (ab 76. Minute): Der ewige Comebacker ist zurück. War so glücklich darüber, dass er auch eine Stunde nach Schlusspfiff noch in der Mixed Zone stand, um Interviews zu geben.

Julian kommt für Julian - aber die Qualität bleibt.

Julian kommt für Julian - aber die Qualität bleibt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Julian Draxler: Spielt beim VfL Wolfsburg, nunja, sagen wir, auf einem anderen Niveau als in der Nationalmannschaft. Im Kreise von Löws Hochbegabten dreht der 22-Jährige wieder und wieder auf. Schnell, trickreich, kreativ arbeitet er mit daran, dass Abschlussdilemma zu beheben. Hatte zwei gute Torszenen, vergab sie beide. Reihte sich aber sonst munter in den Kombinationsfuror der Kollegen ein, der immer wieder für schöne Momente im Volkspark sorgte. Julian Brandt (80. Minute): Julian kam für Julian. Wäre der eine nicht blond (Brandt) und der andere dunkel (Draxler) wäre der Wechsel wohl niemandem aufgefallen. Durchaus ein Kompliment für den jungen Burschen von Bayer Leverkusen.

Mesut Özil: Beim Warmmachen konnten die Besucher des Volksparkstadions kurz auf die Idee kommen, dass der Spielmacher des FC Arsenal überhaupt keine Lust auf diese kalte Pflichtveranstaltung im Oktober hat. Aber sobald das Spiel lief und die Tschechen dem deutschen Lenker überraschend viel Freiraum gewährten, änderte sich Özils Körpersprache. Von wegen halbherzig. Der "Zehner" hatte eine gute Idee nach der anderen. War im Mittelfeld überall zu finden, fleißig und stets selbstlos. Bereitete das 1:0 durch Müller vor und leitete auch den zweiten Treffer des Bayern-Stürmers indirekt mit ein.

Thomas Müller: Befand sich vor seinem 80. Länderspiel nach eigener Einschätzung in einer "tragischen Situation" und war froh, dass er sich aus dieser so sensationell gut befreiten konnte. Zwei Tore. Das ist prima. Zwei ausgelassene Gelegenheiten. Das ist an diesem Abend egal. Müller knipst und scherzt wieder. Das macht ganz viele Menschen in Deutschland glücklich. Vor allem den Bundestrainer. Denn der hat plötzlich keine - zumindest von den Medien begleitete - Sturmmisere mehr. Wie’s zu der Blitzheilung des Angreifers kam? Nun, ganz einfach: Müller trägt wieder Schienbeinschoner von Lukas Podolski: "Das ist ein Spielchen zwischen mir und unserem Zeugwart. Während der EM hatte ich mal andere drin, dann hat er gesagt, ich muss wieder die von Poldi nehmen, dann geht wieder was." Stimmt.

Mario Götze: Noch Fragen, ob Mario Götze der Wechsel vom FC Bayern zurück zu Borussia Dortmund gut getan hat? Nein, spätestens seit Samstagabend nicht mehr. Der Stürmer war an nahezu jeder gefährlichen Situation direkt oder indirekt beteiligt. Liefert keine Alibi-Anspielmöglichkeiten mehr, sondern bietet mannhaftes Hineinstürzen in den Strafraum. Auch wenn längst nicht jedes Dribbling und jedes Anspiel klappte, der Abschluss noch nicht wieder taugte und der BVB-Spieler mehrmals ins Abseits rannte: Götze ist wieder da.

Quelle: ntv.de

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