Reus rächt sich, Boateng lungert Löws Diplomaten machen Iren stumm
13.10.2012, 05:35 Uhr
Sechs Tore in Dublin: Die Diskussionen um mangelnden Teamgeist dürften damit fürs Erste beendet sein.
(Foto: dapd)
Jeder Schuss ein Treffer – beim WM-Qualifikationsspiel der Nationalelf in Dublin gelingt den deutschen Fußballern fast alles. Der Kantersieg verdirbt den irischen Fans die Lust am Gesang, auch weil Marco Reus die beste aller Antworten auf die unberechtigten Pfiffe gibt. Miroslav Klose hingegen ist der Meinung, dass er lieber mal den Mund hält.
Tore: 0:1 Reus (32.), 0:2Reus (40.) , 0:3 Özil (55. Foulelfmeter), 0:4 Klose (58.), 0:5 Kroos (61.), 0:6 Kroos(83.), 1:6 Keogh (90.+2)
Irland: Westwood - Coleman, O'Shea, O'Dea, Ward - McCarthy, Andrews, Fahey(ab 52. Long) - McGeady (ab 69. Keogh), Walters,Cox (ab 84. Brady)
Deutschland: Neuer- Boateng, Mertesacker, Badstuber, Schmelzer - Khedira(ab 46. Kroos), Schweinsteiger - Müller, Özil, Reus (ab 66. Podolski) - Klose (ab72. Schürrle)
Schiedsrichter: Rizzoli (Italien)
Zuschauer: 50.000
Wenn die Iren nicht mehr singen, dann muss etwas passiert sein. Und im Stadion an der Lansdowne Road im Südosten Dublins geschah so Einiges an diesem Freitagabend. Mehr als 50.000 Zuschauer waren gekommen, um sich anzusehen, wie Irlands beste Fußballer in der Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2014 gegen die aus Deutschland spielten. Dass die Partie mit einem 6:1 (2:0) für die Gäste endete – und das auch in dieser Deutlichkeit völlig verdient –, hatten die Pessimisten unter den Fans der Gastgeber vielleicht befürchtet. Nicht erwartet hatten sie aber, dass sich das Team des italienischen Trainers Giovanni Trapattoni auf solch bizarre Art und Weise schwach präsentierte.
Hatten sie bei der Europameisterschaft noch damit die Herzen auch der neutralen Betrachter gerührt, dass sie beim 0:4 im Gruppenspiel gegen Spanien minutenlang ihre Version der traditionellen Folk-Ballade "The Fields of Athenry" sangen, machten sich die meisten von ihnen an diesem Abend zehn Minuten vor dem Abpfiff auf den Heimweg. Verständlich: Derart konzept- und chancenlos zu verlieren macht nun wirklich keinen Spaß.
Die deutsche Mannschaft hingegen spielte konzentriert und ohne auch nur den geringsten Sinn für Humor, feierte ein Fest wie beim Kirmesschießen an der Bude. Und zeigte ihrem Trainer Joachim Löw ein Spiel wie aus dem Diplomatie-Lehrbuch: Zwei Tore erzielte Marco Reus vom Deutschen Meister Borussia Dortmund, zwei Toni Kroos vom FC Bayern München und zwei Tore gingen auf das Konto der Auslandsabteilung, hier waren Mesut Özil von Real Madrid und Miroslav Klose von Lazio Rom erfolgreich. Und Marcel Schmelzer spielte gut. Jetzt ist alles wieder so, wie es sein soll: Die DFB-Elf führt die Tabelle der Gruppe C mit neun Punkten aus drei Partien an, die Stimmung ist wieder prima. Es sei denn, die deutsche Mannschaft spielt am Dienstag in Berlin gegen Schweden im vierten und letzten Qualifikationsspiel in diesem Jahr zum Beispiel nur remis.
Die deutschen Spieler in der Einzelkritik. Oder: Die Suche nach dem Haar im Guinness.
Manuel Neuer: Der 26 Jahre alte Torhüter des FC Bayern hatte großes Glück, dass er in der ersten Minute der Nachspielzeit großartig den Schuss des Iren Andy Keogh um den Pfosten lenken durfte. Sonst hätte möglicherweise sein 34. Länderspiel für Deutschland wegen Unterbeschäftigung nicht gezählt. Na gut: Nach 21 Minuten rettete er außerhalb des Strafraums und gut 35 Meter vor seinem Tor per Kopf. Und kurz nach der Pause bei einer der wenigen irischen Chancen direkt vor seinem Tor mit dem Fuß. Das war’s dann aber auch wirklich. Beim Ehrentor der Gastgeber in der zweiten Minute der Nachspielzeit war er machtlos.

Als Lahm-Ersatz zeigte Jerome sich Boateng aufmerksam nach hinten und immer mit im Vorwärtsgang.
(Foto: AP)
Jerome Boateng: Auffällig war, dass der Münchner gegen Ende der Begegnung verdächtig oft am gegnerischen Strafraum herumlungerte. Abgesehen davon, dass er höchst trickverdächtig den Ball mit dem rechten Fuß hinter seinem linken Standbein vorbei zum Mitspieler passte, schien der 24-Jährige gedacht zu haben: Wann, wenn nicht jetzt in meinem 29. Spiel für die DFB-Elf, soll ich sonst mein erstes Länderspieltor erzielen? Hat aber nicht geklappt. Seine eigentliche Aufgabe war es ja auch, den wegen zweier Gelber Karten gesperrten Kapitän und Vereinskollegen Philipp Lahm auf der rechten Abwehrseite zu ersetzen. Abgesehen davon, dass der natürlich nicht zu ersetzen ist und der Bundestrainer, wenn er könnte, flugs zwei oder drei Lahms schnitzen würde. Abgesehen davon also machte Jerome Boateng seine Sache wirklich gut und war nach einer knappen Viertelstunde gegen Irlands Stürmer Jonathan Walters zur Stelle. Und er war vor dem 2:0 am schönsten deutschen Spielzug in diesem Jahr beteiligt, als er den Ball von Mesut Özil bekam und ganz hervorragend zu Marco Reus passte. Blöd für ihn, dass am Dienstag gegen Schweden Philipp Lahm wieder dabei ist.
Per Mertesacker: Für den verletzten Dortmunder Mats Hummels in die Mannschaft gerutscht war der 28 Jahre alte Innenverteidiger des FC Arsenal in seinem 83. Länderspiel der Turm in der Abwehrschlacht, der Fels in der tosenden irischen Brandung. Kleiner Scherz. Er hatte natürlich in der Defensive ebenso wenig zu tun wie seine Kollegen, zeigte sich sicher im Zweikampf, stark beim Kopfballspiel und ruhig, wenn es darum ging, den Ball aufbauend nach vorne zu leiten. Und: Er wirkte nach seiner langen Verletzungspause zu Beginn des Jahres wieder richtig fit und bot dem starken Jonathan Walters solide bis souverän Paroli. Gute Vorbereitung auf Dienstag. Dann bekommt er es mit Schwedens Zlatan Ibrahimovic zu tun.
Holger Badstuber: Nein, wir machen den Scherz nicht zweimal. Auch er war selten bis nie richtig gefordert. Der 23 Jahre alte Münchner wirkte in seinem 29. Länderspiel unauffällig wie so oft, was bei einem Innenverteidiger nichts Schlechtes heißen muss. War sichtlich froh, dass er nicht wie zuletzt beim FC Bayern als Linksverteidiger aushelfen musste. Gute Ansätze im Aufbau, machte einige Male mit guten Pässen nach vorne das Spiel schnell, seit jeher seine Spezialität. Fiel dann einmal richtig auf, als er sich kurz vor Schluss eine dumme Gelbe Karte abholte.
Marcel Schmelzer: Nun, der Mann scheint aus gutem Holz geschnitzt zu sein. Wirkte nur anfangs ein wenig verunsichert, nachdem ihm der Bundestrainer am Tag vor dem Spiel zu verstehen gegeben hatte, dass er lieber einen anderen Linksverteidiger hätte, aber leider keiner in Sicht sei. Doch der Dortmunder hielt dem Druck stand und fühlte sich im Zusammenspiel mit seinem Klubkollegen Marco Reus umso wohler, je länger das Spiel dauerte. Da auch er nicht in eine Abwehrschlacht verwickelt war, nutzte er die freie Zeit, um munter an der Seitenlinie auf und ab zu sprinten. Und bereitete so das Führungstor vor, auch wenn es ein wenig so aussah, als sei ihm der Ball versprungen. Aber immerhin in die richtige Richtung. Joachim Löw hat auch hinterher nicht gemeckert, dass der 24 Jahre alte Dortmunder in seinem neunten Länderspiel schon wieder kein Tor geschossen hat. Und Marcel Schmelzer gab sich diplomatisch: "Ich war über die Führung von Marco Reus sehr erfreut, aber die ganze Mannschaft hat mich gut unterstützt. Zur Kritik vor dem Spiel möchte ich nichts sagen, vielmehr bin ich über die Punkte hier in Irland froh. Ich habe so viel Unterstützung bekommen, dass ich mich voll auf das Spiel konzentrieren konnte."
Sami Khedira: Der 25 Jahre alte Mittelfeldspieler von Real Madrid musste sein 36. Länderspiel zur Pause abbrechen. Der Bundestrainer übermittelte die Diagnose: Muskelverhärtung im linken Oberschenkel. "Es ist nichts gerissen. Man muss jetzt die nächsten Tage abwarten, wie der Heilungsprozess verläuft. Wir haben es rechtzeitig geschafft, ihn rauszunehmen, ehe da etwas kaputt geht." Einerseits schade, dass er raus musste. Hatte er doch erstmals seit dem Halbfinal-Aus bei der EM gegen Italien wieder mit Bastian Schweinsteiger auf der Doppelsechs gespielt, und das prima, wenn auch etwas zurückhaltender als zuletzt. Andererseits kam für ihn Toni Kroos in die Partie und zu seinem 33. Einsatz im DFB-Trikot. Der 22 Jahre alte Münchner packte dann gleich zweimal den Hammer aus und erhöhte mit fulminanten Fernschüssen von 4:0 auf 6:0 für die deutsche Mannschaft – sein erster Doppelpack.
Bastian Schweinsteiger: Der Chef ist zurück. Der 28 Jahre alte Münchner nahm, als wäre er nie weg gewesen, in seinem 96. Länderspiel sofort wieder den Taktstock in die Hand, dirigierte das deutsche Spiel, leitete sowohl das 1:0 als auch das 4:0 ein, seine Mitspieler gestenreich an und bestätigte wie zuletzt beim FC Bayern, dass er wieder voll und ganz da ist. Nur beim Gegentor sprang er herzhaft unter der Flanke durch – im Gegensatz zum Torschützen Keogh. Weil Philipp Lahm fehlte, durfte er auch die Kapitänsbinde tragen. Hinterher gab er sich dementsprechend staatsmännisch. "Wir haben heute eine sehr konzentrierte Leistung abgerufen. Jeder hat heute einen guten Job gemacht, die Innenverteidiger haben einen guten Job gemacht und die Stabilität hergestellt." Aber nicht nur das: "Wir sind insgesamt auf einem sehr guten Weg, ich möchte aber sagen, dass wir den einen Schritt mehr gehen müssen, um Titel zu gewinnen. Wir müssen an jedem kleinen Rad gut sein, um die großen Spanier auch mal zu schlagen."
Thomas Müller: Bei spitzfindiger Betrachtung der einzig echte Ire auf dem Platz. Den "boys in green" sagt man ja nach, dass sie normalerweise nie aufgeben. Nur dass davon in diesem Spiel nichts zu sehen war. Der 23 Jahre alte Münchner hingegen machte in seinem 36. Länderspiel auf der rechten Außenbahn auch dann unermüdlich weiter, als nicht alles klappte. Wobei seine Fähigkeiten auch bei weitem nicht so limitiert sind wie die der Iren. Wie immer lief er viel und wechselte mehrmals mit Marco Reus die Seite. Allerdings fehlte seinen Pässen bisweilen die letzte und womöglich entscheidende Präzision. Und er war auch nicht so gefährlich, wie er es sein kann. Sein einziger Torschuss landete auf der Tribüne.
Mesut Özil: Er kann viel, aber Elfmeter kann er besonders gut. Wie gegen Österreich verwandelte der 23 Jahre alte Mittelfeldspieler von Real Madrid souverän. Ein Schritt Anlauf, verzögert, Schuss, Tor. Sein 13. Treffer im 42. Spiel für Deutschland. Aber auch sonst war nicht viel von der Lethargie zu sehen, die ihn bisweilen plagt. Nach einer zehnminütigen Einfindungsphase war er als technisch brillanter Ballverteiler in der Zentrale für die irischen Gastgeber mindestens zwei Nummern zu gut, leitete fein das 2:0 durch Marco Reus ein. Er holte sich den Ball, er forderte den Ball, ganz so, wie er wollte. Und gab ihn nicht wieder her. Muss ein schönes Spiel für ihn gewesen sein.
Marco Reus: Er war sich hinterher sicher: "Die Szene in der ersten Halbzeit, das war ein Elfmeter, da gibt es keine zwei Meinungen." Wir sagen: Der Mann hat Recht. John O’Shea, der irische Kapitän, hatte den 23 Jahre alten Dortmunder in seinem zwölften Länderspiel nach einer halben Stunde im Strafraum umgerissen. Doch statt auf den Elfmeterpunkt zu zeigen, präsentierte der italienische Schiedsrichter Nicola Rizzoli dem Gefoulten die Gelbe Karte. Von da an wurde der Flügelflitzer bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen, Schwalben mögen sie auf der Insel noch weniger als anderswo. Allerdings rächte sich Reus auf die beste aller Arten. Er schoss einfach zwei Minuten später ein Tor, wie schon gegen Österreich war es das 1:0. Und weil's so schön war, legte er vor der Pause noch eins nach – und das Spiel war gelaufen. Der Doppeltorschütze, Nummer vier und fünf für Deutschland, und beste Spieler an diesem Abend in Dublin gab sich diplomatisch und artig zugleich: "Wir haben uns viel vorgenommen. Der Bundestrainer hat uns sehr gut eingestellt." Für Reus kam nach 66 Minuten Lukas Podolski, 27 Jahre alt und seit dieser Saison in Diensten des FC Arsenal, auf den Platz und zu seinem 104. Länderspiel. Damit hat er Franz Beckenbauer überholt. Glückwunsch!
Miroslav Klose: Der 34 Jahre alte Teamsenior von Lazio Rom schreitet auf seinem Weg zur lebenden Legende voran. Mit seinem Tor Nummer 65. Nun sind es nur noch drei Treffer bis zum Rekord des legendären Gerd Müller, dem immer noch erfolgreichsten Schützen der deutschen Länderspielgeschichte. Auch wenn Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern mit Hang zur Lästerei, gedacht haben mag, dass Miroslav Klose das erstens gegen einen nicht ganz so guten Gegner gelungen ist und es sich zweitens dabei um das nicht ganz so wichtige 4:0 handelte. Der gab sich hinterher nur mäßig diplomatisch: "Es war schön, in meinem 125. Spiel mit einem Tor zum Sieg beizutragen. Die Kritik von Uli Hoeneß lasse ich jetzt unkommentiert. Es ist viel geschrieben worden. Es ist das Beste, wenn ich den Mund halte und mich auf den Fußball konzentriere." Joachim Löw wechselte ihn – vermutlich aus Respekt vor Gerd Müller – nach 72 Minuten aus und brachte den Leverkusener André Schürrle, der so mit seinen 21 Jahren zum 19. Mal für die DFB-Auswahl spielte. Der gab sich eifrig und machte den Eindruck, als hätte er gerne auch ein Tor geschossen.
Quelle: ntv.de