Er singt im Schlotterbeck-ChorMatthias Sammer haut dem BVB seine Wahrheiten um die Ohren
Von Stephan Uersfeld
Matthias Sammer hat seinem Klub Borussia Dortmund und auch der Führungsetage eine fehlende Sieger-Mentalität vorgeworfen und sich dabei hinter Nico Schlotterbeck gestellt. Der Verteidiger hatte den BVB dafür zuletzt stark kritisiert.
Als die Fußball-Welt im Frühjahr 2014 noch eine andere war, sagte Jürgen Klopp: "Als Matthias Sammer würde ich jeden Tag Gott danken, dass man ihn dazugeholt hat. Ich glaube nicht, dass Bayern München einen Punkt weniger hätte, wenn Matthias Sammer nicht da wäre."
Klopp war damals noch Trainer bei Borussia Dortmund, sein bitteres Ende beim Klub samt kurzzeitiger Wiederauferstehung noch nicht absehbar. Sammer war Sportdirektor beim FC Bayern München. Die arbeiteten gerade mit großer Freude daran, unter Trainer Pep Guardiola die Bundesliga zu unterwerfen. Bis auf einen Ausrutscher im Jahr 2024 ist ihnen das prächtig gelungen.
Dabei hat sich die Welt des Fußballs über das vergangene Jahrzehnt neu sortiert. Jürgen Klopp ist Ober-Boss bei Red Bull, Pep Guardiola Trainer bei Manchester City, Matthias Sammer seit Jahren in beratender Funktion bei Borussia Dortmund. Einen Punkt mehr als die Bayern hatten die Dortmunder am Saisonende seither noch nie.
Die Geschichte von Borussia Dortmund ist die des Stillstands auf höchstem Niveau. Der BVB ist zu groß, um tief zu stürzen und zu klein, um hoch zu steigen. Sie stehen dort und gewinnen genug Spiele, um sich Jahr für Jahr für die Champions League zu qualifizieren und sie gewinnen zu wenig Spiele, um am Ende einen Pokal in die Höhe zu stemmen.
Auf den DFB-Pokal-Titel von 2021 in einem leeren Olympiastadion folgte die große Meister-Angst von 2023 und das verlorene Finale der Champions League gegen Real Madrid im Jahr 2024. Dem BVB haftet der Ruf an, in den entscheidenden Momenten keine Mentalität zu haben.
BVB wirft zu viele Spiele weg
Unter Trainer Niko Kovac war sich der BVB lange Zeit sicher: Das Mentalitätsproblem ist nicht mehr existent, verschwunden während der beeindruckenden Aufholjagd der Vorsaison. Mit einem Kraftakt war es den Dortmundern da gelungen, zum zehnten Mal in Folge in die Champions League einzuziehen. Im Angesicht der heranrollenden BVB-Lawine waren Klubs wie der SC Freiburg oder auch der 1. FSV Mainz 05 erschreckt zur Seite gesprungen und hatten Platz gemacht.
In dieser Saison spielt der BVB weiter stabil. Nur drei Saisonniederlagen verzeichnet der BVB und trotzdem spielt er nicht mehr im DFB-Pokal, mischt aufgrund achtlos weggeworfener Punkte in den Schlussminuten nicht mehr im Meisterrennen mit und muss in der Champions League um den direkten Einzug in das Achtelfinale kämpfen. Weil gegen den Außenseiter FK Bödo/Glimt im heimischen Westfalenstadion nur ein 2:2 gelang, und selbst das nur aufgrund einer starken Parade von Keeper Gregor Kobel.
Im Anschluss an die Partie legte Nico Schlotterbeck den Finger in die Wunde, gab eines dieser starken Interviews, die beim BVB regelmäßig für Aufsehen sorgen. Immer ist jemand da, der aus den eigenen Reihen den BVB dafür kritisiert, was er darstellt: Einen Klub, der im entscheidenden Moment nicht da ist und den Gegner immer wieder ins Spiel zurückholt, sich somit selbst ein Bein stellt und für Kopfschütteln sorgt. Ein Klub, dem die "Winner-Mentalität" abgeht, wie es Schlotterbeck ausdrückte.
Die Aussagen sorgten umso mehr für Wirbel, weil die Vertragsverlängerung des DFB-Stars auch an der Aussicht auf Titel hängen sollen. Diese sind in den letzten Wochen in Dortmund geschwunden und damit auch die Hoffnung auf eine Verlängerung.
Sammer: Schlotterbeck sagt die Wahrheit
Die Unruhe beim BVB wurde dadurch nur verstärkt. Bereits zuvor hatten andere Spieler wie Julian Brandt immer wieder Kritik am Spielstil geäußert. Dazu hatte sich Stürmer-Star Serhou Guirassy in eine riesige Formkrise geschmollt und andere Spieler wie Sommerneuzugang Fabio Silva im Rahmen ihrer Möglichkeiten über die Medien ihre Unzufriedenheit über ihre Situation kundgetan.
In einer Talkrunde mit dem Sky-Host Ricardo Basile hat nun der externe BVB-Berater Sammer den Finger ebenfalls in die von Schlotterbeck aufgerissene Mentalitätswunde gelegt und genüsslich darin gerührt.
"Wir müssen aufhören, die Wahrheit am Ende so zu verwischen, dass die, die die Wahrheit nennen, am Ende die Dummen sind", sagte er. Schlotterbeck habe "die Wahrheit benannt. Und ein Leader darf und muss das. Es ist seine Aufgabe." Leader gebe es in Dortmund wenig und die Besten würden eben auch das benennen, was beim BVB für den nächsten Schritt noch fehlt.
Sammer hat vergessen, wer was gesagt hat
"Aber wenn das nicht das Problem von Borussia Dortmund wäre und alle würden es sehen, dann hätten wir das Problem nicht. Es ist doch ganz einfach", ergänzte Sammer und teilte dann gegen Teile der Klubführung aus, denn die Kritik Schlotterbecks sei ganz unterschiedlich angekommen. So sagte Sammer: "Es gibt in der Wahrnehmung dessen, was er tut, Menschen, die wunderbare Charaktereigenschaften haben, aber keine Führungseigenschaften. Die erschrecken natürlich im ersten Moment"
Wer bei den Aussagen von Schlotterbeck erschrocken sei, das könne er nun beim besten Willen nicht mehr sagen, erklärte Sammer. "Das habe ich total vergessen", sagte er und lachte gemeinsam mit Basile. "Wenn ich so draufschaue, fehlt es dem Klub nicht an Harmonie. Borussia Dortmund ist harmoniesüchtig. Das ist das, was den Klub in der Verbindung, in der Liebe mit den Menschen ausmacht", sagt er. Doch das allein reiche eben nicht, um besser zu werden. "Agieren und nicht reagieren. Schlotterbeck hat agiert."
Ob die Aussagen von Sammer Borussia Dortmund in den kommenden Wochen mit den Spielen gegen Borussia Mönchengladbach (vor Weihnachten) und bei Eintracht Frankfurt (Anfang Januar) mehr Punkte verschaffen, wird sicher auch Leipzigs Oberaufseher Jürgen Klopp mit großem Interesse verfolgen.