Fußball

Niemand dirigierte wie Micoud Mon Dieu: Als Le Chef den FC Bayern demütigte

Micoud überwindet Kahn - und feiert kurz darauf mit Bremen die Deutsche Meisterschaft in München.

Micoud überwindet Kahn - und feiert kurz darauf mit Bremen die Deutsche Meisterschaft in München.

Der eleganteste Dirigent, den die Bundesliga je hatte: In seinen vier Jahren in Bremen zelebriert Johan Micoud das schöne Fußballspiel und lobt Werder zur bislang letzten Meisterschaft. Der FC Bayern staunt, stoppen konnte Le Chef nur Zinédine Zidane. Nun feiert Micoud seinen 50. Geburtstag.

Oh là là! Samstag, 8. Mai 2004. 15.30 Uhr. Olympiastadion, München. In der 26. Minute stürmt Oliver Kahn bei einem langen Ball aus dem Tor. Doch Johan Micoud ist zuerst da. Und mal wieder gedankenschneller als alle anderen Spieler. Begnadeter erst recht. Eleganter sowieso. Mit seiner ersten Ballberührung hebt der Franzose die Kugel über Kahn - und perfekt ins Dreiangel. Mon Dieu, welch eine Demütigung. Heute, gut 19 Jahre später, feiert er seinen 50. Geburtstag.

Schöner geht's kaum. Bayern-Ikone Kahn erstarrt auf der Stelle und kann dem Ball nur verdutzt hinterherschauen. Michael Ballack, Bastian Schweinsteiger, Roy Makaay - sie alle staunen und wissen, dass die Meisterschaft in diesem Moment des 32. Spieltags gegessen ist. Micoud stellt mit seinem Heber auf 2:0 und dirigiert zärtlich und elegant die Hanseaten, wie die gesamte Saison 2003/04 über, zum vierten und bisher letzten Meistertitel. Ausgerechnet in München.

Nie durfte die Bundesliga einen eleganteren Dirigenten erleben. Einen Magier mit dem Blick für das Schöne im Fußball. Einen Künstler, der die Grün-Weißen nach Jahren der Dürre endlich wieder aufregenden Fußball spielen ließ. Micoud feierte mit Werder die beste Saison in der Vereinsgeschichte, vor allem dank der Geniestreiche des Spielmachers und der Tore Ailtons, und holte mit dem Pokalsieg das Double. Das war zuvor nur den Bayern und dem 1. FC Köln gelungen, Jahre später dann auch Borussia Dortmund. Micoud hievte das Bremer Team aus den UI-Cup-Gefilden und machte aus ihm eine internationale Klassemannschaft. Der Frei- und Feingeist aus Cannes passte perfekt in das offensive Spielsystem von Trainer Thomas Schaaf und bahnte den Weg für seine Nachfolger Diego und Mesut Özil.

Das Relais, das Herz, Le Chef

Doch Werder und Micoud, das war nicht Liebe auf den ersten Blick. Au contraire. "Johan war am Anfang gar nicht begeistert von der Idee Bremen und Deutschland", erzählte Bremens damaliger Manager Klaus Allofs einmal. "Johans Frau fragte: 'Wie lange liegt denn Schnee in Bremen?' Nach dem Motto: Das muss ja schon ganz weit im Norden sein." Doch als der Franzose im Sommer 2002 an die Weser kam, wurde er schnell zu einer der besten Verpflichtungen der Vereinsgeschichte. Und zu einem der größten Highlights, die die Bundesliga je zu bieten hatte.

Denn Micoud konnte am Ball alles, auch wenn er kein Dribbelkönig à la Diego war. Kein Showman. Dafür lenkte er als klassischer Zehner, wie es ihn heute kaum mehr gibt, das Bremer Spiel vier Jahre lang mit besonderem Spielverständnis, höchst eleganter Technik und cleverer Finesse. Als einer der wenigen in der Bundesliga erhielt er seinen eigenen Song, als die Werderaner "Hey Jude" von den Beatles auf ihn umdichteten. Micoud war in dieser Zeit das Gehirn Bremens. Das Relais. Das Herz. Oder eben: der Chef. "Le Chef", um es genau zu sagen, denn diesen Spitznamen erarbeitete der Franzose sich schnell.

Was der Spielmacher am Ball tat, war meist enorm komplex - und sah doch unglaublich leicht und zeitweise gar gemütlich aus. Übersteiger brauchte man von ihm nicht zu erwarten. Dafür tödliche Pässe aus dem Nichts genau in die Schnittstellen der Bundesliga-Defensiven. Le Chef verstand es wie kein Zweiter, sich, seine Spielweise und die Art seiner Pässe den Bedürfnissen der Mannschaftskollegen anzupassen. Sie besser zu machen, als sie es je zuvor in ihren Karrieren waren.

Wäre da nicht Zidane gewesen ...

Egal, welchen Stürmer Thomas Schaaf ihm vorsetzte, das Zusammenspiel funktionierte mit dem Hochintelligenten hervorragend. Von Ailton über Ivan Klasnic bis hin zu Miroslav Klose. Der ehemalige deutsche Nationalstürmer hat mit vielen Weltklassespielern gekickt. Sein bester Mitspieler, wie Klose mehrmals betonte, war: Johan Micoud. Jeden Ball habe dieser nach einem oder maximal zwei Kontakten perfekt weitergespielt. Ein Traum für jeden Angreifer. In 169 Partien für Werder legte der Zehner 57 Tore direkt auf, 47 Treffer erzielte er selbst. À la bonne heure.

Auch wenn er abseits des Platzes nicht so selbstlos wie auf dem Grün agierte und nicht immer den einfachsten Charakter bewies - mal ohrfeigte er einen Journalisten, mal verpasste er Teamkollegen Fabian Ernst eine Kopfnuss - Johan Micoud wuchs in Bremen zu einem europäischen Topspieler heran, nachdem er über Cannes, Bordeaux und Parma nach Deutschland gekommen war.

Seine Stationen in Frankreich waren eng verbunden mit dem einzigen Mann (vielleicht weltweit), der ihn in Sachen Eleganz und Spielgestalterei überbieten konnte: Zinédine Zidane. Dem wohl feinsten aller Begnadeten jemals, den er sowohl in Cannes als auch in Bordeaux als Zehner beerbte.

Europameister (ein Einsatz beim Turnier), Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger, italienischer Pokalsieger und französischer Meister. Micoud gewann fast alles. Doch an Zidane kam er nie heran. Le Chef stand stets im Schatten des großen Zizous. In der Nationalelf (nur 17 Partien) musste er sich deshalb hinten anstellen und schaffte es zu keiner tragenden Rolle. Quelle horreur, bei diesen Fähigkeiten.

Micouds Gruß an Uli Hoeneß

Samstag, 8. Mai 2004. 15.30 Uhr. Olympiastadion, München. Mit seinem Heber zur Meisterschaft schickt Micoud auch ein grinsendes "Bon appétit" zu Uli Hoeneß auf die Tribüne, der einen Spieltag zuvor wegen Werders 6:0-Sieg im Nordderby gegen den Hamburger SV Wettbewerbsverzerrung gewittert hatte. "Wegfegen" und "niedermachen" wollte der Bayern-Manager die Bremer in München. Doch Fußballgenies haben selten auf Hoeneß gehört.

Freigeist Micoud hatte bei den wilden Meisterfeiern, unter anderem mit dem nackten Ailton im Pool, den Bayern-Manager längst vergessen. Am Ende ging er nach vier Jahren in Bremen, in denen er Werder dreimal in die Champions League führte und Deutschland verzückte, nach Bordeaux zurück. Der Franzose dachte damals schon an das Karriereende, sagte später allerdings, er habe Werder zu früh verlassen. Der in den vergangenen Jahren taumelnde Nordklub könnte wohl selbst die feinen Pässe des 50-jährigen Micouds noch gut gebrauchen.

Nach seiner Profi-Laufbahn kaufte Bremens ehemaliger Held sich ein kleines Weingut in Pomerol. Einem der besten Weinbaugebiete der Welt. "Ich wollte keinen guten Wein herstellen, sondern einen großen", sagte Johan Micoud einmal. Das tut er jetzt. Der Mann, der die Bundesliga so elegant dirigierte wie kein Zweiter. Alors, à la vôtre, Le Chef.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen