
"Es ist einfacher Tore zu schießen, als den deutschen Führerschein zu machen", sagte Ailton einmal.
Der "kugelrunde" Brasilianer begeisterte die Fans mit seinen irren Toren und verrückten Aktionen. Werder Bremen schoss Ailton zur Bundesliga-Meisterschaft. Anschließend ließ es sich der Brasilianer gutgehen. Heute feiert der Mann, der einst ganz Gelsenkirchen beleidigte, seinen 50. Geburtstag.
Aílton Gonçalves da Silva, kurz Ailton, ist als "Kugelblitz" bekannt, wiewohl er selbst nie ein Problem mit seinem Gewicht hatte: "Ich habe kein Gramm zu viel. Es liegt an meinem Körperbau, dass ich so füllig aussehe." Paul Breitner fand den lustigen Brasilianer übrigens nie so besonders: "Solche Leute wie den Ailton, die kannst du an der Copacabana im Rudel mit 'nem Lasso einfangen." Komisch, denn eigentlich ist Ailton ein feiner Kerl oder wie er selbst meint: "Ailton isse Tore, Ailton isse Spaß."
Als er 1998 nach Bremen kam, fiel ihm sofort eine Sache auf: "Vielleicht haben sich die Deutschen gegenüber Gott schlecht verhalten. Deshalb hat er sie mit der Kälte bestraft." Dass ihm zuerst nicht richtig warm wurde, mag aber auch an seiner einseitigen Ernährung gelegen haben. Die ersten drei Wochen in Bremen aß Ailton ausschließlich Spaghetti Bolognese. "Deutsch ist schwer, ich konnte nur diese zwei Worte", erzählte er später einmal mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Aber damals verlor er trotz eines Trainers namens Felix Magath die Hoffnung nicht: "Ich habe das doch alles in Brasilien schon mitgemacht, als ich bei Guarani war. Da brauchte ich nur den Ball zu berühren, und los ging's mit den Pfiffen und Beleidigungen. Weil ich angeblich der bestbezahlte Spieler war und nicht genug für die Mannschaft tat. Und wenn ich heute zurückkehre, fragen die Leute: Ailton, wann kommst du wieder? Ich wünsche mir, dass das in Bremen auch so wird."
"Jetzt lernt Ailton den Teuro kennen"
Am Anfang war dennoch zuerst einmal nur Spott. "Ailton rennt nur immer nach vorn und geradeaus. Als die technisch versierten Brasilianer das Kombinieren geübt haben, hat er wohl gefehlt", meinte sein Teamkollege Andreas Herzog. Und Frank Baumann zog einen Vergleich mit dem Hertha-BSC-Maskottchen: "Der ist ja fast so dick wie unser Brasilianer." Auch TV-Kommentator Werner Hansch war in diesen Tagen nicht so richtig nett zu ihm: "Ailton, bisher hat er gespielt wie ein Haufen wehleidiger Quark." Und irgendein namenloser Fernsehmann nutzte den Winter für weiteren Spott: "Ailton ist der einzige Bundesligaspieler mit einer Figur wie ein Schneemann."
Doch dann, irgendwann, lief es plötzlich. Und der Brasilianer war von sich selbst begeistert: "Ich mache schöne Augen, die Stuttgarter Abwehr hat keine Chance, der Torwart auch nicht. 1:0, das ist Ailton." So richtig begeistert: "Ailton ist wie Medizin für Kranke." Und auf einmal liebte der Brasilianer das kalte neue Land auf einmal so sehr, dass er gerne für Deutschland spielen wollte. Denn die hatten ihn bitter nötig, wie er selbst erkannte: "Wenn du die Deutschen spielen siehst, denkst du nicht, dass das die früher gefürchteten Germanen sind." Doch Nationaltrainer Rudi Völler winkte lässig ab: "Ein bisschen was Deutsches muss man schon haben."
Das verletzte den sensiblen Brasilianer in seiner Seele und er lästerte schelmisch grinsend über das eigenartige Land, das er eigentlich so sehr in sein Herz geschlossen hat: "In Deutschland läuft der Karneval anders, als ich ihn kenne. Hier ziehen sich alle komisch an - in Brasilien ziehen sich immer alle aus." Und weil es in seiner Heimat so schön ist, verlängerte Ailton seine Aufenthalte immer etwas länger nach der Sommerpause. Trainer Thomas Schaaf sah es recht entspannt, als der Brasilianer mal wieder beim Trainingsauftakt unentschuldigt fehlte: "Das, was Toni macht, könnte man als bezahlten Urlaub bezeichnen. Er macht Urlaub und bezahlt dafür."
In Bremen wartete man und wartete und redete. Manager Klaus Allofs: "Jetzt lernt Ailton den Teuro kennen." Dann wartete man wieder und redete anschließend. Thomas Schaaf: "Wenn man sieht, welche Öffentlichkeitswirkung er damit erzielt, wäre es ja fast fahrlässig von ihm, pünktlich zu sein." Doch dann gab es plötzlich Hoffnung, wie Mediendirektor Tino Polster aus dem Trainingslager auf Norderney verkündete: "Man hat Ailton schon in Bremen gesehen, aber er hat offenbar noch keinen Weg gefunden, das Meer zu überwinden." Schließlich kam er mit dem Taxi. Die Rechnung hat er der Sage nach bis heute nicht bezahlt.
Dann musste Ailton nach Gelsenkirchen
Am Ende lief aber alles wieder richtig rund beim SV Werder. Bremen sicherte sich die Meisterschaft 2003/2004 bereits am 32. Spieltag durch ein souveränes 3:1 beim direkten Konkurrenten und Verfolger Bayern München. Im Entmüdungsbecken zog Ailton vor laufenden Kameras blank und präsentierte sich der Fernsehnation in seiner vollen Pracht. Draußen auf der Tartanbahn des Olympiastadions hatte er schon zuvor überschwänglich von seinen Plänen für den Rest des Tages erzählt: "Champagne, Wasser, Bier brasilian. Musse heute alles. Alle."
Im Hochgefühl sagte er auch noch den wunderschönen Satz: "Es ist einfacher Tore zu schießen, als den deutschen Führerschein zu machen." Natürlich wird er ihn nicht genau so gesagt haben, denn wie meinte Journalist Christoph Biermann einmal: "Ailton ist die deutsche Sprache nicht viel geläufiger als dem Pinguin das Fliegen."
Und dann nahte der Abschied aus dem geliebten Bremen und Ailton sagte einen folgenschweren Satz: "Ich muss jetzt nach Gelsenkirchen!" Verständlicherweise wurde er dort nun nicht unbedingt mit offenen Armen von den königsblauen Anhängern empfangen. Bereits im Frühjahr hatte er über seine neue Heimatstadt gesagt: "Alles, was ich bisher über Gelsenkirchen gehört habe, ist ein Desaster." Als er dann auch noch mit einem Leihwagen mit Dortmunder Kennzeichen vorfuhr, musste er ganz schnell versprechen, sich ein Auto mit Gelsenkirchener Nummer anzuschaffen.
In diesem Zuge sicherte er den Fans auch zu, die Grünfläche vor seinem Haus ebenfalls an seinen neuen Arbeitgeber anpassen zu wollen: "Den Rasen in meinem Garten färbe ich noch blau. Grün ist die Werder-Farbe, aber jetzt bin ich ein echter Schalker." Die Schalker Fan-Initiative e.V. schrieb ihm dennoch einen offenen Brief: "Sehr geehrter Herr Goncalves da Silva. Wir haben uns Gelsenkirchen nicht ausgesucht und Schalke auch nicht. Wir sind es! Komm ma lecker bei uns bei - und nach der ersten Meisterfeier mit uns wirst du am nächsten Morgen gar nicht mehr wissen, wo Bremen überhaupt liegt."
"Toni, Toni Doppelpack"
Als das Abenteuer Gelsenkirchen irgendwann beendet war, ging es quer durch Europa, bis Ailton zurück nach Deutschland kam. Knapp ein Jahr hatte die Bundesliga auf ihn verzichten müssen, nun wollte er es im Zebra-Trikot des MSV Duisburg noch einmal wissen. Und wie immer war Ailton hervorragender Dinge - auch wenn er, für alle gut zu sehen, einige Kilo zu viel auf den Rippen trug. Egal, Ailton Goncalves da Silva glaubte an sich und gab mit vollem Körpereinsatz alles: "Totale Konzentration auf Fußball. Ohne Sex, ohne Bumbum. Orgasmus gibt es nur, wenn ich ein Tor schieße. Tor. Bumbum. Ailton ist wieder da."
Und es galt immer noch seine alte Maxime: "Wenn ich Trainer wäre und einen Ailton hätte, würde der immer 90 Minuten spielen." Aber auch diese Station war - wie so viele noch danach - nicht von Erfolg gekrönt. Volltreffer landete er von nun an, wie er selbst freimütig einmal erzählte, nur noch im Bett: "Ich sage nur: Toni, Toni Doppelpack. Meine Frau bekommt Zwillinge!"
Früher haben sie in Bremen von den Strafgeldern des Brasilianers "die ein oder andere Party geschmissen" (Thomas Schaaf). Heute feiert der "Kugelblitz" seinen 50. Geburtstag. Herzlichen Dank, lieber Ailton, für all die wunderbaren Tore und die Unterhaltung und alles Gute und Glück auf zum Geburtstag!
Quelle: ntv.de