Fußball

Arsenal hat einen neuen Özil "Mozart" Ödegaard komponiert Englands Fußball neu

Endlich an der Spitze: Martin Ödegaard.

Endlich an der Spitze: Martin Ödegaard.

(Foto: AP)

Der FC Arsenal enteilt der Konkurrenz in der Premier League immer weiter. Nach einem perfekten Spieltag für die "Gunners" beträgt der Vorsprung bereits acht Punkte auf Manchester City. Zwei Personen sind elementar für den Aufschwung der lange kriselnden Londoner.

Im englischen Fußball deutet sich eine gewaltige Zeitenwende an: Der FC Chelsea irrt trotz Kai Havertz Tor- und Krisenbremse weiter durch das Niemandsland der Premier League. Trainer Jürgen Klopp kämpft mit seinem FC Liverpool zunehmend verzweifelt gegen den Absturz. Und Josep Guardiola gehen offenbar die Ideen aus, um Manchester City und seinen vorübergehend entzauberten Tor-Magier Erling Haaland im Meisterkampf zu behaupten. Einzig der aufgewachte Riese Manchester United und der saudi-arabische Milliarden-Spielball Newcastle United haben aktuell die Form, den Abstand im Titelduell nicht noch größer werden zu lassen.

Dieses hatte sich am Sonntagabend womöglich ein kleines bisschen vorentschieden. Tabellenführer FC Arsenal setzte sich im London-Derby bei den Tottenham Hotspur mit 2:0 durch und setzt sich auf acht Punkte von Verfolger City ab. Es sind zwar erst 18 bis 20 Spiele (je nach Team) absolviert, aber der Eindruck manifestiert sich, dass die "Gunners" einfach nicht aufhören wollen und werden.

So wie einst Leicester City nicht aufhörte, wie es sich gegen alle Einbruchszenarien stemmte und 2016 schließlich Sensationsmeister wurde. Ganz so gigantisch wie damals würden die Schlagzeilen nun mutmaßlich nicht werden, wenn Arsenal am Ende der Saison oben thront und erstmals seit 19 Jahren, nach den goldenen Zeiten mit einer der spektakulärsten Mannschaften in der englischen Fußballhistorie, die Trophäe in den Himmel streckt. Aber eine bemerkenswerte Auferstehungsgeschichte ließe sich aus diesem Titel auf jeden Fall stricken. Und das mit mehreren Handlungssträngen. Die zwei spektakulärsten: Coach Mikel Arteta und Spielmacher Martin Ödegaard. Sie waren schon auf ganz unterschiedliche Weise abgeschrieben und werden in dieser Saison bestaunt. "Trust the process" hatte der Trainer wieder und wieder betont, vertraue dem Prozess. Einfach war das nicht, auch für Arteta selbst nicht. Aber das Mantra gab und gibt ihm recht.

Arsenals Stars waren nicht mehr gierig

Zu Beginn der vergangenen Saison stand sein Projekt kurz vor dem Abbruch. Der Start misslang völlig und Arteta wurde mit massiver Kritik zugeworfen. Nach drei Spieltagen war Arsenal Letzter, hatte dreimal verloren, null Tore erzielt und neun kassiert. Aber der Spanier, einst Kapitän unter der mittlerweile irrlichternden Trainer-Legende Arsene Wenger, fand mit Beharrlichkeit, Glauben und mutigen Entscheidungen gegen große Namen im Kader den Weg aus der Krise und führte die "Gunners" noch in die Europa League. Zwei Punkte fehlten und es hätte für die Champions League gereicht. Es war die vorläufige Belohnung für einen langen Weg des Umbaus. Der Spanier hatte kurz vor Weihnachten 2019 eine Mannschaft übernommen, die mehr Probleme als Lösung hatte. Und Spieler, die über ihren Zenit hinaus waren oder in kolossalen Formkrisen festhingen. Einer von ihnen war Mesut Özil. Viel Geld, wenig Leistung. Das war das Arsenal im Winter 2019/20.

Drei Jahre später sieht die Welt anders aus. Die großen Namen wie Özil, Pierre-Emerick Aubameyang, Henrik Mkhitaryan oder David Luiz sind verschwunden, quälen sich teilweise auf den Zielgeraden ihrer Karrieren. Die neuen Helden heißen Bukayo Saka, Gabriel Martinelli, Gabriel Jesus, der bei City wegen der Ankunft von Haaland keine Zukunft hatte (aber aktuell verletzt ist), und vor allem Ödegaard, der in den wilden Turbulenzen des Weltfußballs versunkene und zwischenzeitlich vergessene Norweger. Acht Jahre nach dem voreiligen Ritterschlag bei Real Madrid löst das ehemalige Wunderkind nun all jene Versprechen ein, die einst auf ihn gegeben wurden. Ödegaard ist Herz und Hirn der Mannschaft, Kapitän, Torjäger, Vorbereiter, Schlüsselspieler. Ein Dirigent, der die Machtverhältnisse der Liga neu komponiert.

"Wiederauferstehung eines Mesut Özil in Bestform"

Gegen Tottenham erzielte er mit einem platzierten Distanzschuss das 2:0. Es war sein bereits achtes Saison-Tor, er ist damit der erfolgreichste Schütze in einem perfekt funktionierenden Mosaik, in der er als hellster Stein ein wenig hervorsticht. Und so werden jene Hymnen wieder aus der Fußball-Mottenkiste hervorgekramt, die dort nach seiner schwierigen Zeit bei Real Madrid verschwunden waren. Ödegaard spiele so fein wie "Mozart", lobte Englands Abwehrlegende Rio Ferdinand vor wenigen Tagen. Der Norweger hatte gegen Brighton & Hove Albion einen Pass gespielt, der als einer großartigsten der Liga-Geschichte abgefeiert worden war. Aus der Mitte der eignen Hälfte schlug er einen Ball - den er gar nicht erst annahm, sondern direkt weiterleitete - über 40 Meter perfekt in den Lauf von Martinelli, der diesen Traumangriff lässig vollendete zum 4:1 (Endstand 4:2). Ferdinand schwärmte danach von der "Wiederauferstehung eines Mesut Özil in Bestform." Will sagen: Ödegaard spielt so brillant wie der 2014er-Weltmeister, der einst sein Vorbild war, in seinen stärksten Tagen, schlicht Weltklasse. Ödegaard als neuer Mozart. Und das bei einem Verein, der mit dem großen Tomas Rosicky einst den wohl größten Mozart des Fußballs unter Vertrag hatte.

Die Anlagen dazu sahen die großen Macher des europäischen Spitzenfußballs schon lange in ihm schlummern. Vor ziemlich genau acht Jahren machte Real Madrid das Rennen, Manchester United und der FC Bayern waren auch akut interessiert. Trainer Josep Guardiola war ganz vernarrt in den Spielmacher - gut, das bedeutet beim mächtigsten Vertreter des Fußball-Superlativs nicht zwingend etwas - und wollte ihn unbedingt in München haben und zum besten Spieler der Welt ausbilden. Dass Ödegaard ihm nun, acht Jahre später, in der Premier League auf der Nase rumtanzt, ist eine durchaus spektakuläre Pointe. Bis es soweit war, ging der Norweger aber durch tiefe Täler. Doch anders als viele andere Wunderkinder blieb er nicht in diesen stecken und wurde fortan vergessen. Der Norweger arbeitete sich über den Hype bei Real, wo er unter größtmöglicher Bedeutungsschwere am 23. Mai 2015 als jüngster "Königlicher" für Cristiano Ronaldo eingewechselt worden war, und Hindernisse in der niederländischen Eredivisie zurück auf die große Bühne, auf der er längst Protagonist sein sollte.

Und wieder "trust the process"

Mit 24 Jahren hat er das geschafft. Auch dank Arteta. Der war von Ödegaard überzeugt, auch wenn er in seinen ersten anderthalb Jahren nur selten auftrumpfte. Der Spanier aber war so überzeugt, dass Arsenal den Norweger nach einer Leihe für 35 Millionen Euro von Madrid fest verpflichtete. Was ein Schnäppchen! Der Spielmacher hatte die Karrieresohle da schon hinter sich gelassen und war bereits wieder im Aufstieg. Doch wohin ihn der mühsame Klettertrip nach starken Stationen in Heerenveen und bei Real Sociedad San Sebastian führen würde, das war nicht absehbar. "Trust the process", da war es wieder, das Mantra von Coach Arteta. Und wieder ging es auf. Der Norweger hat sich in allen Bereichen verbessert, er zieht mehr Bälle an, bereitet mehr gefährliche Aktionen vor und kreiert sie auch für sich selbst. Er ist das Mastermind der aufregenden Highspeed-Offensive um Saka und Martinelli, die zarte Erinnerungen an vergangene Wenger-Zeiten weckt.

Das Arsenal im Winter 2023 erinnert ein wenig an den BVB unter Klopp in der Meistersaison 2010/11. So viele Spieler machten einen gigantischen Sprung nach vorne. Damals der Keeper Roman Weidenfeller, dieses Mal der Keeper Aaron Ramsdale. Damals der junge Nuri Şahin, nach seiner Leihe in die Niederlande - ausgerechnet - dieses Mal eben Ödegaard. Hinzu kommen zwei wichtige Transfers, die eines Stürmers, damals Robert Lewandowski (auch wenn er noch deutlich im Schatten von Lucas Barrios stand), und eines Außenverteidigers, damals Łukasz Piszczek (auch wenn er vom Angreifer umgeschult wurde).

Bei Arsenal sind Gabriel Jesus und Oleksandr Zinchenko zwei Schlüsseltransfers, beide wurde von Guardiola bei City nicht mehr gebraucht. Der schwarzgelbe Kader war jung, gierig, stabil. Der rotweiße scheint es auch. "Alles, was wir verlangen, haben die Spieler bereitwillig getan. Sie sind eine großartige Truppe", sagte Arteta nach dem Sieg im London-Derby. Dennoch trat er mit Blick auf die Titelchancen kräftig auf die Euphoriebremse. "Lasst uns jeden einzelnen Moment genießen und weiterarbeiten" - für Siege, für Punkte, für eine endgültige Zeitenwende.

Quelle: ntv.de

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