Endlich wieder echter FCB-Coach Nagelsmann stößt knallhart an Grenzen
29.10.2021, 16:00 Uhr
Julian Nagelsmann möchte schnell wieder direkten Kontakt zu seinen Spielern.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Julian Nagelsmann hat aus der Distanz mächtig gelitten. Der Trainer des FC Bayern musste wegen seiner Corona-Infektion vor dem Fernseher mit ansehen, wie seine Mannschaft im DFB-Pokal bei Borussia Mönchengladbach unterging. Nun spricht er erstmals über den Umgang mit dem Debakel.
Was macht ein Trainer, wenn er seiner Mannschaft beim Untergang zusehen muss? Wenn er daheim vor dem Fernseher sitzt, wenn er nur über digitale Wege Einfluss nehmen kann? Nun, pauschal lässt sich diese Frage natürlich nicht beantworten. Vermutlich hat jeder Coach seine eigenen Routinen, um mit Niederlagen, mit Klatschen umzugehen.
Nun ist Julian Nagelsmann ein besonderer Typ. Denn mit Routinen im Umgang mit Tiefschlägen kennt er sich (noch) nicht sehr gut aus. Das liegt natürlich auch daran, dass er noch sehr jung ist. 34 Jahre ist er gerade einmal alt. Aber das liegt auch daran, dass er bislang andere Dinge zu bewältigen hatte. Den sicheren Umgang mit seinem steilen Karriereaufstieg.
Nagelsmann bleibt auf Distanz
Am Mittwochabend hat Julian Nagelsmann nun etwas erlebt, das er so noch nicht kannte. Und das in seiner Heftigkeit auch niemand erwartet hatte. Tatsächlich kroch das krachende 0:5-Debakel bei Borussia Mönchengladbach in der zweiten Runde des DFB-Pokals aus der hohlen Hand. Viel zu gut und dominant waren die Münchner zuletzt unterwegs gewesen. Auch ohne ihren Coach, der wegen seiner Corona-Infektion in Quarantäne war und weiter ist. Er verpasst auch das Bundesligaspiel bei Union Berlin am Samstag.
Man könnte es sich leicht machen und sagen: Klar, der Trainer fehlt und damit der Mannschaft die Orientierung, die Anleitung. Diese Behauptung würde allerdings in einem krachenden Konflikt mit der Einschätzung von Lothar Matthäus stehen, der Rekordnationalspieler fand nämlich zuletzt, dass die Münchner auch ohne Chef-Übungsleiter gut klarkämen.
Julian Nagelsmann hatte das nicht gefallen. Allerdings gestand er nun ein, dass seine Mannschaft auch in seiner Anwesenheit verloren hätte. Ein äußerst höflicher Schutzmantel für Co-Trainer Dino Toppmöller, dessen stille Verzweiflung an der Seitenlinie zu den Bildern des Debakels gehörte. Der Abend im Borussia-Park war einfach von A bis Z verbockt. So wie die Münchner von A bis Z von den Gladbachern zerfetzt worden waren. Vor allem von Breel Embolo, dessen "Rasur" der Boulevard vor dem Spiel gefordert hatte. Trainer Adi Hütter erhörte das flehentliche Bitten nicht, er vertraute dem Schweizer. Eine kluge Entscheidung. Embolo entschied das Spiel. Weil er wichtige Duelle mit Dayot Upamecano für sich entschied.
"Komisches Gefühl"
Der Franzose war der schwächste Mann auf dem Platz. Er war verloren. So wie sie alle verloren waren. Lucas Hernández in der Erleichterung, dass er nicht in Haft muss. Joshua Kimmich in der Verwunderung, dass er wegen seiner Impfskepsis in wenigen Tagen zur neuen deutschen Konfliktlinie geworden war. Und Thomas Müller, der so einen Abend als Spieler des FC Bayern noch nie erlebt hatte. Und niemand war da, der sie alle auffangen konnte. Das war für alle Beteiligten eine schmerzhafte Erkenntnis. Ganz besonders für Nagelsmann. Denn der musste nun feststellen, dass der Digitalisierungstrieb, den er sich in spürt und den er als Vision gerne wieder und wieder als Revolution des Fußballs ins Gespräch bringt, (noch) schnell an Grenzen stößt.
Es gehe eben doch um eine direkte Ansprache, so gestand er nun. "Wir haben keine Mannschaft, die erfahren ist, mit solchen Verläufen umzugehen. Das bin ich auch nicht. Wenn du nah am Spiel bist, dann kannst du eingreifen. Ich habe das per Video gemacht, aber es ist anders." Jeder Lehrer, der nur noch digital unterrichten konnte, könne das sicher bestätigen. "In Momenten, wo es nicht läuft, ist die große Distanz ein komisches Gefühl." Seit seiner Corona-Infektion verwaltet der 34-Jährige ein gewaltiges "Analysezentrum".
Bedeutet: keine direkte Eingriffsmöglichkeit, kein direkter Kontakt zu seinen Spielern. Alles läuft mit Verzögerung, über indirekte Kanäle. Nun werden die Anweisungen von Nagelsmann im Stille-Post-Prinzip nicht verwässert worden sein. Oder gar falsch angekommen sein. Aber die direkte Ansprache hat doch mehr Gewicht als Ansagen über Mittelsmänner, sprich Co-Trainer. Auch das machte er nun zum Thema. In Rollen müsse man reinwachsen. Chef ist Chef. Assistent ist Assistent. Das spiegelt sich dann auch bei der Akzeptanz wieder. Diese Gemengelage lässt sich nicht per simpler Schalterbewegung in einen sofort funktionierenden Neo-Kosmos switchen. Visionen sind eben nicht umsonst Visionen und keine plötzlich verfügbaren Realitäten.
"Champions, die wieder aufstehen"
Mindestens noch einmal müssen die Bayern einen Weg finden, mit dem Distance-Coaching zu funktionieren. Dass das jetzt unbedingt bei Union Berlin sein muss, das ist ziemlich undankbar. Ein formstarker Gegner, mit Taiwo Awoniyi ein Stürmer, der es der anfälligen Abwehr schwer machen kann und ein Stadion mit einer intensiven Atmosphäre, das ist schon eine Herausforderung, um die Schmach von Mönchengladbach zu tilgen. Aber eben auch eine, die man dem Selbstverständnis des Klubs folgend annehmen muss, findet Nagelsmann. "Wir haben den Anspruch, Champions zu sein, die wieder aufstehen." Dafür dürfe seine Mannschaft auch Dinge tun, die nicht bayernlike sind. Sprich, offensive Dynamik über robuste Methoden erzwingen.
Und so hat die Aufarbeitung des Debakels längst begonnen. In einer Runde mit Führungsspielern gab es einen intensiven Austausch. Einen konstruktiven. In beide Richtungen. "Wir haben uns am Telefon aber nicht vollgeweint, wie schlimm alles ist. Mir war wichtig, dass die Spieler die Fehler nicht nur bei sich, sondern auch bei mir suchen. Am Ende des Gesprächs hatte ich bei allen das Gefühl, dass wir das aus den Köpfen rauskriegen - aber auch, dass das noch ein bisschen dauert", sagte Nagelsmann, während im Hintergrund die Spülmaschine ratterte. Das ist wichtig zu wissen. Wegen seiner Routinen. Denn in der Niederlage sei er zwar laut geworden, habe geschrien (sorry an die Nachbarn), aber nichts durch die Gegend geworfen. Der Küche geht es prima.
Quelle: ntv.de, tno