Vom Postboten zum Bayern-Schreck Njinmah kann Aufstieg aus dem Nichts kaum glauben
27.01.2024, 08:29 Uhr
Justin Njinmah mischt derzeit die Bundesliga auf.
(Foto: picture alliance / ATP photo agency)
Er wollte seine Karriere schon beenden, nun mischt er die Bundesliga auf: Justin Njinmah glaubt lange nicht an seine Fähigkeiten, jobbt als Postbote und Youtuber, um nun bei Werder Bremen lang verstaubte Hoffnungen wiederzuerwecken. Wie geht der kometenhafte Aufstieg weiter?
Manuel Neuer hat keine Chance. Matthijs de Ligt kommt überhaupt nicht hinterher. Der FC Bayern findet kein Mittel gegen Justin Njinmah, als Werder Bremens Shootingstar in der 25. Minute allen davoneilt und eiskalt vor dem Münchner Kapitän zum 1:0 einschiebt. Zwar wird das Tor wegen eines Foulspiels in der Entstehung zurückgenommen, aber Njinmah stellte am vergangenen Sonntag den deutschen Fußball-Rekordmeister vor etliche Probleme und lässt die Bundesliga aufhorchen. Dabei war der Flügelflitzer schon kurz davor, seine Karriere zu beenden.
Gegen Bayern stand der 23-Jährige zum dritten Mal in Folge in der Startelf, drei Tore und zwei Vorlagen gelangen ihm in dieser Saison bisher. Besonders Njinmahs technisch anspruchsvoller und traumhafter Treffer aus gut 20 Metern gegen RB Leipzig Ende Dezember stach in dieser Spielzeit heraus. "Das ist das, was ich auch immer wieder im Training versuche. Eine Finte und dann Abschluss", analysierte der Rechtsaußen. Gegen die Münchner machte er mit seinem Tempo selbst Bayern-Roadrunner Alphonso Davies ein ums andere Mal frisch und hatte großen Anteil am ersten Werder-Sieg gegen den Meister seit 2008.
Am Nachmittag (15.30 Uhr/Sky und im Liveticker auf ntv.de) soll der nächste Erfolg her, diesmal gegen Freiburg. An der Weser jubeln sie, hoffen auf weitere Explosionen ihres Shootingstars. Doch dass das Juwel in der Bundesliga so durchstartet, war nicht zwingend zu erwarten. Njinmah selbst glaubte lange Zeit am wenigsten daran. Im Interview mit dem Youtuber Bilal Kamarieh, der selbst vormals Jugend-Profi war, erzählte er jüngst von seinen Anfängen und seinem beschwerlichen Aufstieg.
Njinmah erst Youtuber, dann Postbote
Geboren und aufgewachsen in Hamburg, spielte er sich in den Jugendmannschaften des Eimsbüttler TV hoch. "Dorfverein" nannte er den Klub im Interview mit einem Augenzwinkern und sagte: An einen Aufstieg zu Profis dachte er damals überhaupt nicht. Alles zu weit weg, zu groß, zu viel Traum. Zu unerreichbar. Er spielte einfach, weil er Spaß am Fußball hatte.
Die großen Vereine der Region, der Hamburger SV und St. Pauli, zeigten kaum Interesse am Teenager Njinmah. Doch 2018 klopfte Holstein Kiel an. Erst wechselte der Angreifer dorthin in die U19, dann in die zweite Mannschaft und kommt mit dem geringen Gehalt geradeso über die Runden. Erstmals keimten in dieser Zeit Hoffnungen auf den Durchbruch auf, denn wie schon bei seinen vorherigen Stationen entwickelte er sich in Kiel zum besten Torschützen. Teilweise trainierte er bei den Profis mit - unter einem gewissen Ole Werner, heute Chefcoach bei Werder Bremen. Doch die höhere Stufe war damals noch zu viel für ihn. Zu schnell und körperlich ging es im Training bei den Profis zu, wie Njinmah offen zugab. Ohnehin gibt sich der Youngster in seinen Interviews erstaunlich reflektiert, ehrlich und bodenständig.
Wie Njinmah im Youtube-Gespräch weiter erläuterte, machte ihm dann bei seinem weiteren Aufstieg die Corona-Pandemie ein Strich durch die Rechnung. Viele Spiele der zweiten Kieler Mannschaft wurden damals gestrichen, die Gehälter gekürzt. Der Flügelflitzer zog zurück nach Hamburg - und arbeitete zweimal die Woche als Postbote, um sich etwas hinzuzuverdienen. Vorher hatte er es bereits mit einer Nebenlaufbahn als Youtuber versucht, was er laut eigener Aussage heute etwas peinlich findet.
Plötzlich auf dem Platz mit Haaland
Der frisch gebackene Postbote wusste damals nicht wohin mit sich und seiner noch nicht einmal richtig begonnenen Karriere. Njinmah dachte ans Aufhören. Er schaute zusammen mit seiner Mutter nach Ausbildungen und schickte viele Bewerbungen raus. Dann traf er auf seinen heutigen Manager, der Videos vom damals 20-Jährigen anforderte. Diese schickte er an Bundesliga-Vereine.
Was nach einem schlechten Witz klingt, funktionierte. Werder Bremen zeigte sich begeistert von den Clips und lud Njinmah zum Gespräch ein, nicht einmal ein Probetraining benötigte er. Er unterschrieb ein Arbeitspapier für das zweite Team und trumpfte auch dort auf. Anfang 2022 unterschrieb er seinen ersten Profivertrag und wurde direkt an Borussia Dortmund ausgeliehen. Auch dort entwickelte er sich zum besten Torschützen in der zweiten Mannschaft, trainierte in der ersten mit Jude Bellingham und Erling Haaland (der 18-jährige Engländer war seiner Meinung nach besser damals) - und gab schließlich sein Debüt in der Bundesliga im September 2022. Im vergangenen Sommer zog der BVB jedoch die Kaufoption (war mit kolportierten drei Millionen Euro wohl zu hoch) nicht, trotz 18 Torbeteiligungen (mit 13 Treffern brach er den fast zehn Jahre alten Torrekord der BVB-U23).
Werder freute sich, verlängerte den Vertrag des Youngsters bei seiner Rückkehr zu besseren Bezügen. Und prompt wird Njinmah nach seiner Geschichte voller Widrigkeiten zur Bremer Entdeckung der Saison. Die Grün-Weißen wollen längerfristig etwas von dem Stürmer haben. Seit gefühlten Ewigkeiten war an der Weser nicht mehr solch eine Euphorie zu spüren, wenn es um einen jungen Spieler geht. Dank ihm weht mal wieder ein Hauch von guten alten, fast vergessenen Zeiten dort, wo der Fluss einen Bogen macht.
Njinmah mit Debüt wie Diego
Trainer Ole Werner und Leiter Profifußball Clemens Fritz bezeichnen Justin Njinmah als "Waffe", schon jetzt ist er der elftschnellste Spieler der Bundesliga. Genau dieses Tempo hat Bremen lange gefehlt. Njinmah könnte den Abgang von Niclas Füllkrug vergessen machen, soll in diesem Jahr den Abstieg verhindern und - mithilfe der 38 Investor-Millionen - mit Werder in den nächsten Spielzeiten stetig in der Tabelle nach oben rücken.
In seiner ersten Partie für Werder, Anfang September beim 4:0 gegen Mainz, lieferte der Shootingstar direkt eine Vorlage und schoss dann noch ein Tor. Solch ein Debüt schaffte in der Hansestadt zuletzt Diego. Dass Njinmah einen ähnlich erfolgreichen Tanz auf dem Rasen hinlegt wie die hochbegabte Dribbel-Legende, darf nicht gleich erwartet werden.
Quelle: ntv.de