
Seit 51 Pflichtspielen ist Bayer Leverkusen unbesiegt, zwei Siege fehlen noch zur perfekten Saison - und zum Triple. Vor dem Europa-League-Finale gibt sich der Bundesliga-Meister erstaunlich locker. Ohne dabei zu vergessen, worauf es gegen Atalanta Bergamo ankommt.
Xabi Alonso wirkte, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen. Im Pressekonferenzraum des Finalstadions von Dublin beantwortete der 42-Jährige geduldig all die Fragen, die ihm anlässlich des größten Spiels in der jüngeren Klubgeschichte Bayer Leverkusens präsentiert wurden. Dabei hatte vor allem die erste Wortmeldung am Abend vor dem Europa-League-Endspiel seiner Mannschaft gegen Atalanta Bergamo (21 Uhr/RTL und im Liveticker bei ntv.de) so überhaupt gar nichts mit eben diesem zu tun. Ein spanischer Journalist wollte zunächst lieber wissen, was Alonso zum wenige Stunden zuvor angekündigten Karriereende von Toni Kroos in diesem Sommer halte.
Statt sich über die themenfremde Frage zu wundern, drückte Bayers Meistermacher seine immense Anerkennung für den deutschen Mittelfeldstrategen aus, der nach der Heim-Europameisterschaft seine aktive Laufbahn beenden wird. Kroos verkörpere schlicht "Weltklasse", sagte Alonso und verdeutlichte gestisch, auf welch hohem Niveau er den Spielgestalter von Real Madrid sehe - der übrigens während einer Leihe zu Bayer Leverkusen in der Saison 2009/10 erst zur Bundesliga-Stammkraft und dann auch zum Nationalspieler aufgestiegen war. Aber das ist Vergangenheit.
Die Gegenwart (und vielleicht auch die Zukunft) der Werkself heißt Florian Wirtz, und die zuletzt angeschlagene Kreativkraft ist wieder voll einsatzfähig. "Er kann von Anfang an spielen", sagte Alonso, ohne allerdings verraten zu wollen, ob der "wichtige Spieler in Schlüsselmomenten" das auch tun wird. Dass der individuell wohl beste Fußballer bei Anpfiff womöglich auf der Bank sitzt? Ein Ausdruck der Stärke, die Leverkusen dieser Tage ausstrahlt. 51 Pflichtspiele in Folge hat Bayer nicht mehr verloren. Mit dem 2:1 gegen den FC Augsburg am vergangenen Samstag trugen sich Wirtz & Co. als erste Mannschaft in die Geschichtsbücher ein, die eine komplette Bundesliga-Saison ohne eine einzige Niederlage beendet hat.
Tah hat noch keine Zeit für Strandurlaub
Ob es das Wort "Niederlage" in seinem Wortschatz überhaupt gebe, wurde Alonso mit Blick auf diese Bilanz gefragt. Er antwortete mit der Grundhaltung, die in den vergangenen Wochen und Monaten zahlreiche Gegner verzweifeln ließ. "Wir glauben immer fest daran, dass wir bis ganz zum Ende eine Chance haben." Ein Glaube, dessen Berechtigung sich mit Zahlen belegen lässt: 25 Tore hat Leverkusen nach der 86. Minute erzielt, 16 davon in der Nachspielzeit. VfB Stuttgart, Bayern München, Borussia Dortmund, AS Rom, Qarabag Agdam - die Liste der "Leidtragenden" ist lang.
"Sie haben das ganze Jahr toll gespielt", sagte Alonso trotz dieser Fakten gewohnt zurückhaltend, und "sie sind bereit" für die Chance auf das Double, das im Falle eines Sieges gegen Bergamo sogar zum Triple werden könnte, wenn die europaweit einmalige Ungeschlagen-Serie auch am Samstag im DFB-Pokalfinale gegen Zweitligist 1. FC Kaiserslautern auch im dann 53. und letzten Spiel der Saison anhalten sollte. "Es macht wirklich Spaß", resümierte Alonso, der die Medienrunde gemeinsam mit Abwehrchef Jonathan Tah und Ballverteiler Granit Xhaka bestritt.
"Für fast alle von uns ist das etwas, das wir noch nicht erleben durften", sagte Tah mit Blick auf das Finale: "Die Vorfreude ist natürlich riesig." Den erstmaligen Gewinn der Meisterschaft abzuhaken und den Fokus auf Dublin zu richten, habe "sehr schnell" funktioniert. Was die Mannschaft in dieser Saison geleistet habe, "realisieren wir wahrscheinlich erst irgendwann, wenn wir im Urlaub am Strand liegen". Der Einwurf eines griechischen Reporters, die Strände seines Heimatlandes wären dafür perfekt geeignet, zauberte Tah und Xhaka ein breites Lächeln ins Gesicht.
Alonso hat "viel geredet, die Spieler haben im Kopf, worum es geht"
Der Schweizer allerdings wurde dann auch noch einmal ernst. Der wichtigste Titel sei zwar bereits gewonnen, "die Bundesliga war Ziel Nummer Eins." Aber "ein Finale spielt man, um zu gewinnen." Xhaka, der im Europa-League-Endspiel 2019 mit dem FC Arsenal eine schmerzhafte 1:4-Pleite gegen den Londoner Stadtrivalen FC Chelsea erlitten hatte, ließ ebenso wie Tah und Alonso keinen Zweifel daran, dass bei aller Lockerheit im Leverkusener Erfolgsrausch die Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit niemals verloren gehen.
Zumal das bittere Halbfinal-Aus im Vorjahr gegen die AS Rom noch immer präsent sei, wie Alonso erklärte. "Wir haben den Schmerz benutzt, um uns den Erfolg zu erarbeiten", sagte der Ex-Profi, der mit Liverpool und Real Madrid dreimal die Champions League gewinnen konnte, "und wir haben das geschafft." Dann äußerte er sich nahezu wortgleich wie Xhaka: "Ein Finale willst du nicht nur erreichen, sondern auch gewinnen." Damit das gegen Liverpool-Bezwinger Bergamo klappt, braucht es vermutlich keine Wunderdinge. Sondern einfach nur das, was Leverkusen seit Saisonbeginn immer wieder tut: Sich auf die eigene Stärke verlassen und darauf vertrauen, dass sich irgendwann ein Weg zum gegnerischen Tor findet.
"Wir haben in diesem Jahr viele richtige Entscheidungen getroffen", sagte Alonso, der vor seinem ersten großen Finale als Trainer kaum nervös zu sein scheint. Wie das sein könne, wollte jemand von ihm wissen. "Wir haben 51 Spiele gemacht, so viel geredet, die Spieler haben im Kopf, worum es geht", erklärte der Baske: "Und wir sind sicher, dass wir das auch diesmal zeigen können." Denn aufs Verlieren haben die Leverkusener ganz offensichtlich überhaupt keine Lust.
Quelle: ntv.de