Fußball

Mehr Merkel, weniger Löw Nur für Sané macht Flick eine Ausnahme

Gutes Team, oder nicht, Herrmann?

Gutes Team, oder nicht, Herrmann?

(Foto: picture alliance / GES/Werner Eifried)

Mit einem prominenten Rückkehrer und drei relativ unbekannten Neulingen geht Hansi Flick seine Premiere als Bundestrainer an. Bei seiner ersten Nominierung öffnet er erstaunlich vielen Talenten die Tür. Und formuliert sehr klare Erwartungen an seine Nationalspieler.

Kein Fußballer in Deutschland war in vergangenen Tagen mehr Thema als Leroy Sané. Blendet man mal souverän den kolossalen Irrsinn um das Transfergebahren der Superreichen aus. Der hochtalentierte Mann des FC Bayern quält sich seit Wochen. Er quält sich mit seinem immer wieder formulierten Anspruch, ein Unterschiedsspieler sein zu wollen. Er quält sich mit seiner Form. Er quält sich nun sogar mit Pfiffen selbst von eigenen Fans. Und dann waberte da ja noch das Gerücht, dass er womöglich nicht zum Premieren-Kader von Bundestrainer Hansi Flick gehören könnte. Denn der Mann, der Joachim Löw nach 15 Jahren als Chef der Nationalmannschaft abgelöst hatte (was noch immer komisch klingt), bekannte bei seinem Amtsantritt, dass unter seiner Regie die besten Spieler des Landes eingeladen werden, wenn sie Topleistungen abrufen. Sané konnte das zweite Kriterium zuletzt nicht erfüllen.

Nun, nach Tagen mit vielen ernüchternden Momenten, ist zumindest dieser Freitag ein guter für den 25 Jahre alten Flügelspieler aus München. Denn er hat seinen Platz für die WM-Qualifikationsspiele am kommenden Donnerstag gegen Liechtenstein in St. Gallen sowie je drei Tage darauf gegen den Überraschungstabellenführer der Gruppe J, Armenien, in Stuttgart sowie dann gegen Island in Reykjavik sicher. Und an dieser Entscheidung gab es für Hansi Flick nie einen Zweifel, wie er gegenüber RTL/ntv bekannte. Er habe "nicht darüber nachgedacht", auf Sané zu verzichten. Es sei in einer solch schwierigen Phase "eben auch mal wichtig, dass man einem Spieler zur Seite steht." Flick, der sensible Spielerflüsterer. Sané habe eben enorme Qualitäten. Allerdings müsse er sie auch auf den Platz bringen. Das Prinzip der neuen deutschen Leistungsgesellschaft muss ja nicht direkt ab absurdum geführt werden. Keine Nibelungentreue 2.0. Keine Loyalitätsnominierungen. Wohl auch deswegen ist der vereinslose Jérôme Boateng (noch) nicht wieder zurück in der Nationalmannschaft

Was das nun für den anstehenden Länderspiel-Dreier bedeutet? Unklar. Sané wird Einsatzzeiten bekommen. Ob sie indes üppig ausfallen? Fraglich. Denn mit Jamal Musiala und Serge Gnabry sind zwei formstarke Münchner Klubkollegen im Kader und mit Marco Reus kehrt ein Mann zurück, von dem Flick schwer begeistert ist. Zuletzt hatte er den Kapitän von Borussia Dortmund bereits als einen der besten Spieler "im letzten Drittel" bezeichnet. Wie sich die deutsche Offensive aufstellt, eine spannende Frage. Thomas Müller, mit dem Flick sportlich eine arg enge Beziehung pflegt, wird als Fixpunkt gesetzt sein. Ähnlich wie zu gemeinsamen Zeiten beim FC Bayern. Was nun fehlt, ein Stürmer wie Robert Lewandowski. Champions-League-König Kai Havertz hat die Rolle als zentrale Mann für sich ausgerufen, auch Klubkollege Timo Werner könnte das machen. Oder aber Karim Adeyemi.

Platz für Raum und Schlotterbeck

Der 19-Jährige ist eine von drei Überraschungen im Premierenkader. Die beiden anderen sind David Raum, Linksverteidiger von der TSG Hoffenheim, und Nico Schlotterbeck, Innenverteidiger vom SC Freiburg. Das Trio hatte zuletzt beim beeindruckenden EM-Erfolg der U21-Nationalmannschaft sehr starke Leistungen angeboten und war entsprechend von Coach Stefan Kuntz und seinem Team empfohlen worden. Bei Adeyemi kommt noch hinzu, dass er mit RB Salzburg einen aufsehenerregenden Start in die Saison hingelegt hat. In den ersten acht Partien hat er sieben Tore erzielt. Für eine Mannschaft wie die DFB-Elf, die sich seit den Rücktritten von Miroslav Klose und Mario Gomez (jaja, der spielte bei der EM 2016 noch gut mit) nach einem echten Stürmer sehnt, ist so ein Mann natürlich äußerst interessant.

"Karim ist ein sehr schneller Spieler, hat einen sehr guten ersten Kontakt und ist stark im Eins-gegen-eins", lobt Flick seinen Debütanten. Den ließ er übrigens von Hermann Gerland beobachten, seinem neuen Chefscout. Auch für die Bochumer Legende des FC Bayern hat der DFB-Chefcoach nur schmeichelnde Worte. "Er hat ein extrem gutes Auge für Talente, von ihm können unsere jungen Trainer und der deutsche Fußball insgesamt noch sehr viel lernen." Lernen bei der A-Nationalmannschaft, so lautet auch der Auftrag an Adeyemi, an Schlotterbeck, der für die noch nicht wieder fitten Mats Hummels, Robin Koch und den derzeit mit Corona infizierten Matthias Ginter nominiert worden war, und an Raum. "Die Jungs haben ein enormes Potenzial, wir sind froh, dass wir sie jetzt mal testen können", so Flick.

Ist das nun endlich der Umbruch, den Löw immer wollte und der ihm so gar nicht gelingen wollte? Der Kader ist tatsächlich überraschend jung. Wieder dabei sind auch Ridle Baku, die Rechtsverteidiger-Überraschung des VfL Wolfsburg, Florian Wirtz, das Supertalent von Bayer Leverkusen und auch Mo Dahoud, der allerdings schon 25 Jahre alt ist, aber irgendwie immer noch eher am Anfang einer womöglich doch noch großen Karriere steht. Nun, Flick möchte sich und seinem Team nicht das Label "Umbruch" ankleben. Dieser sei weder abgeblasen, noch sei das jetzt ein neuer Versuch. "Es geht einfach weiter. Jeder Spieler, egal wie alt er ist, hat die Chance zu spielen, wenn er zeigt, was für eine Qualität er hat. Wir denken, es ist ein guter, ein interessanter Kader mit einer guten Mischung aus erfahrenen und jungen Spielern." So einfach ist das. Keine Ausgrenzung mehr, sondern das Maximum der Möglichkeiten nutzen.

Knallhartes Pressing als neues DFB-Stilmittel

An seinen Premierenkader, in dem der formstarke aber noch nicht wieder konstante Mario Götze für viele etwas überraschend fehlt (Option zur Rückkehr besteht aber laut Coach), hat Flick durchaus große Erwartungen. Zeit für ein erstes lockeres Kennenlernen bleibt nicht. Denn die Stimmung um das DFB-Team war zuletzt so schlecht wie nie. Profitgieriger Gigantismus und mehrere PR-Debakel haben "dunkle Wolken" aufziehen lassen, die einfach nicht verschwinden wollen. Auch weil die Fußballer eben keine mitreißenden Leistungen mehr boten, die womöglich wie ein Luftzug wieder für blauen Himmel gesorgt hätten. Den kleinen Hype nach dem krachenden Ende der nicht mehr genussfreudigen Ära Löw, will Flick sofort nutzen. Er will ihn in gute Ergebnisse münzen und er will sehr schnell seine aggressive Spielidee implementieren. "Ich wünsche mir eine Mannschaft, die aktiv ist, die mit einer hohen Intensität spielt und den Gegner unter Kontrolle hat", beschreibt er gegenüber RTL/ntv.

Dabei vertraut er auf ein knallhartes und effektives Pressing, wie er es ein einst in München erfolgreich spielen ließ. Dabei dürfte dem Duo Joshua Kimmich und Leon Goretzka im zentralen Mittelfeld die neue tragende Rolle als dauerdampfende Antreiber zukommen. Die Fußball-EM, so hatte Flick für sich analysiert, habe gezeigt, dass die besten Mannschaften des Kontinents mit "hohen Ballgewinnen" zum Erfolg gekommen seien. "Wir wollen Ballbesitz haben, wir werden den Gegner immer wieder unter Druck setzen, um an den Ball zu kommen", erklärt Flick und formuliert klare Anforderungen: "Alle müssen in diesem System mitmachen, immer wieder bereit sein, auch die Extra-Meter zu gehen." Nach Löws erfolglosem Dreierketten-Versuch bis zum EM-Achtelfinal-Aus gegen England kehrt Flick zudem zur Abwehr-Viererkette zurück. "So ist im Moment der Plan." Das bewährte 4-2-3-1-System lebt neu auf.

In einem Video, das der DFB zur Kaderbekanntgabe veröffentlichte, legte Flick nach getaner Arbeit die Hände zur legendären Merkel-Raute zusammen und beendete seine erste wichtige Amtshandlung als Bundestrainer getreu dem "Wir schaffen das"-Motto der Kanzlerin. Deren Ära ist indes vorbei. Hoffentlich kein Omen.

Quelle: ntv.de

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