Pokal, China und Abramowitsch Ost-Kracher und Zensur am Kriegswochenende
07.03.2022, 16:11 Uhr
Auch in der Allianz Arena gab es einen Appell gegen den Krieg.
(Foto: IMAGO/Eibner)
Am zweiten Kriegswochenende in der Ukraine ist dieser auch im Fußball überall sichtbar. Dabei ist doch immer noch Pandemie, oder nicht? Während die Welt auf etwas wartet, was sie sich vielleicht gar nicht vorstellen will, wird weiter Fußball gespielt. Nur einige Länder übertragen nicht mehr.
In der seltsamen Zwischenzeit am Geduldsende mit einer erschöpfenden Pandemie und mitten im angespannten Warten auf etwas vollkommen Neues, bescherte Laura Nolte, die Bob-Olympiasiegerin von Peking, den Zuschauern der DFB-Pokal-Auslosung das vorweggenommene Endspiel: Der Topfavorit gegen den "Kultklub" aus Köpenick: Der Ost-Kracher passte nie mehr in die Zeit wie in diesen Tagen, an denen die Welt still steht.
Das Spiel zwischen RB Leipzig und Union Berlin führt nicht nur die beiden in gepflegtem Hass aufeinander verbundenen Klubs zusammen, sondern auch die beiden Enden dieser Zwischenzeit. Union Berlin ist in den letzten Monaten der Pandemie die Luft ausgegangen. Nicht nur aus sportlicher Sicht, wo es nach dem Weggang des Starspielers Max Kruse nicht mehr so recht laufen will, sondern auch in der Öffentlichkeit, die sich zunehmend gegen den Verein aus Köpenick gewendet hatte. Ihr zumeist sehr progressiver Ansatz mit den Auswirkungen der Pandemie war nicht bei allen Fans und Berichterstattern auf Gefallen gestoßen und hatte sogar kurzzeitig die Köpenicker Wagenburg aufgebrochen.
Union war früher Kult
Vor Corona hatten sie einen ganz anderen Ruf. Die Eisernen waren der Verein, bei dem die Mitglieder das Stadion an der Alten Försterei mit eigenen Händen errichtet und den Klub mit eigenem Blut gerettet haben. Sie bewiesen Haltung und wurden dafür bewundert: Auch weil die Fans immer wieder gegen RB Leipzig anschwiegen. Wie 2015 und auch beim ersten Erstliga-Heimspiel in der Vereinsgeschichte im Jahr 2019. Kurz vor der Pandemie beerdigten sie auf einem langen Fanmarsch vom Leipziger Bahnhof zum Stadion direkt den ganzen Fußball.
"In Leipzig stirbt der Fußball", stand auf Doppelhaltern, die die Fans der Köpenicker entlang des Elstermühlgrabens in Richtung Red-Bull-Arena trugen. Schwarze Fahnen wehten im Wind, ein Sarg war zu sehen, andere hielten Kreuze in die Luft. Ehrenamt, Mitbestimmung, Fankultur, 50+1, Tradition stand dort geschrieben. Alle Sachen, für die RB nicht steht. Aber der Fußball stirbt nicht nur in Leipzig, sondern natürlich auch anderen Orten. Aber in Deutschland gilt RB Leipzig als einer der Treiber.
Finanziert vom mächtigen Marketingkonzern Red Bull rund um den politisch sehr zweifelhaften Milliardär Dietrich Mateschitz, der mit seinen Medien wie Servus TV oder dem "Pragmaticus" nur allzu gerne am rechten Rand fischt, gaben die Leipziger in der vergangenen Woche eine fragwürdige Figur inmitten der eskalierenden Sanktionen gegen den russischen Sport ab.
Leipzigs fehlende Haltung
Durch einen unglücklichen Zufall wurden die Sachsen kurz vor dem Ausschluss aller russischen Mannschaft von der UEFA in der Europa League noch schnell gegen einen russischen Vertreter gelost wurde. Anstatt wie der polnische Fußball-Verband Haltung zu zeigen, lavierten sie herum, vermieden es, eine Position einzunehmen und fielen danach mit tränenreichen Auftritten des Geschäftsführers Oliver Mintzlaff unangenehm auf. Der fühlte sich falsch verstanden. Man habe doch im Stillen alles mit der UEFA geklärt, sagte er und vergaß, dass es nicht nur um eine Spiel-Absage ging, sondern darum, auch öffentliche eine Position zu beziehen.
Das machte die Liga sonst reichlich. Vereine und Fangruppen hatten sich bereits unter der Woche um humanitäre Hilfe für die Ukraine bemüht, die DFL ihr Logo tief in die ukrainischen Farben getaucht und am zweiten Wochenende in Folge waren auch die Stadien voll mit Solidaritätsbekundungen. Am Mittellandkanal, beim Spiel Wolfsburg gegen Union, war der Mittelkreis mit weiteren Linien zu einem "Peace"-Zeichen umgestaltet worden und überall sonst war der Krieg, war die Solidarität präsent. Natürlich auch "Auf Schalke", wo sie am Ende zweier langer Wochenenden nicht nur den Hauptsponsor Gazprom los waren, sondern auch ihren Trainer. Als Nachfolger ist nun unter anderem Daniel Farke im Gespräch. Der hatte seinen russischen Klub FK Krasnodar noch vor seinem ersten Spiel an der Seitenlinie fluchtartig verlassen.
Beinahe so wie Roman Abramowitsch den FC Chelsea in der englischen Premier League. Nicht der Beginn von Jürgen Klopps Abschiedstour und nicht das 1:4 von Rolf Rangnicks Manchester United gegen den Lokalrivalen waren das Thema in der besten Fußball-Liga der Welt, sondern der russische Oligarch. Als sich in Burnley die Fans von ihren Plätzen erhoben und für die Ukraine applaudierten, schallte es von der Gegenseite "Roman Abramowitsch".
Die Fans des FC Chelsea feierten ihren scheidenden Retter, der den Verein 2003 übernommen hatte und zu allen erdenklichen Triumphen geführt hatte. Und nebenbei die Tür für so viele andere milliardenschwere Investitionen in den Fußball öffnete. Heute kaufen ganze Staaten Klubs. Der Fußball ist ein Spekulations- und Sportswashing-Objekt für die Autokraten und Scheichs dieser Welt geworden.
Wer ist Abramowitsch wirklich?
Die Rolle Abramowitschs bleibt weiter unklar. Aber immerhin so zentral, dass er der ersten Runde der Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland beiwohnte. Aus welchem Grund und auf wessen Einladung? Das ist bis heute nicht bekannt. Sicher ist nur, dass der dort auf Denis Kireev traf, der für die Ukraine am Tisch saß und nur wenige Tage später offenbar vom eigenen Geheimdienst getötet worden sein soll. Er wurde des Hochverrats verdächtig, aber wie so vieles dieser Tage bleiben die genauen Umstände seines Todes ungeklärt.
Wie eben auch, auf einer ganz anderen Ebene, die Zukunft des FC Chelsea. Sie ist weiter ungewiss. Treffen die Sanktionen Abramowitsch bereits vor einem möglichen Verkauf, kann er den geforderten Preis von rund vier Milliarden Euro auf einem Käufermarkt überhaupt erzielen und wird der zukünftige Eigentümer genauso viel Geld in den überteuerten Kader des deutschen Trainers Thomas Tuchel schießen? Der wütete nach dem 4:0 in Burnley gegen die eigenen Fans, die sich der sonst England-weiten Solidarität für die Ukraine entzogen hatten.
Davon bekamen die Premier-League-Fans in China wenig mit. Denn der in Sachen Putins Krieg bislang streng neutrale Olympia- und Paralympics-Gastgeber hatte auf die Ausstrahlung der Spiele der englischen Top-Liga verzichtet. Die Solidarität mit der Ukraine waren einfach Bilder, die in China niemand sehen sollte.
Eigentlich die Zeit, um die große Vision von Uli Hoeneß endlich in die Realität zu überführen. "Irgendwann wird ein Chinese beim FC Bayern spielen. Und wenn dieser Chinese bei uns spielt, wird der eine irre Nachfrage erzielen", hatte der Fußball-Prophet 2017 gesagt: "Wenn wir am Samstag dann wahrscheinlich um zwei Uhr spielen, damit in Shanghai oder Peking in Primetime live übertragen werden kann, dann drücken 300 Millionen Chinesen auf ihr iPhone und zahlen je einen Euro, dann können sie sich vorstellen, wo es hingeht."
Aber fünf Jahre später ist China zum einen eine absolute Wintersportnation geworden, das Interesse am Boom-Markt Fußball ist abgekühlt. Zudem gab es auch in der Fußball-Bundesliga Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine. Was dann auch dazu führte, dass das Top-Spiel Bayern München gegen Bayer Leverkusen womöglich ebenfalls nicht in China zu sehen war.
Zensur in Russland und was war mit China?
Ob es wirklich so war, konnte trotz einer Intensivrecherche, wie man so sagt, nicht in Erfahrung gebracht werden. Alle Zeichen deuteten am frühen Samstag jedoch darauf hin. Die Ansetzungen waren von der Seite des chinesischen Staatsfernsehens verschwunden. Wie beinahe alle europäischen Spiele. Ein paar Spiele der spanischen La Liga fanden sich dort noch wieder. Darunter auch das 2:0 von Espanyol Barcelona gegen Getafe, bei dem der chinesische Linksaußen Lei Wu Sekunden vor Schluss eingewechselt wurde. Eher unwahrscheinlich, dass 300 Millionen Chinesen auf ihrem iPhone je einen Euro gezahlt haben.
Ob die Bundesliga in China wirklich vom Markt genommen wurde, wird unter anderem eine Auswertung der internationalen Übertragungen zeigen, die nach ntv.de-Informationen dieser Tage in der DFL-Zentrale vorgenommen wird. Klarer war es in Russland. Dort tauschte der Rechteinhaber Match TV das in ukrainische Farben getauchte Logo der DFL gegen das Standardlogo aus. Auch das wird Teil der DFL-Analyse sein. Bereits im Vorfeld hatte die Liga der Sendeanstalt für den Fall, dass das "TV-Basissignal wiederholt zensiert" wird, mit einer außerordentlichen Kündigung gedroht.
Inmitten des Kriegsnebels wirkte es nachgerade erleichternd, dass sich die Ordner beim Spiel des VfB Stuttgart gegen Borussia Mönchengladbach beinahe klassisch gaben. Nach dem furiosen Comeback der Stuttgarter war es im Gästeblock zwischen zwei Gladbach-Fans zu einem intensiveren Austausch von Argumenten über den Umgang mit der Katastrophen-Saison der Fohlen gekommen. Wenig später wurden mehrere Gästefans von Ordnern aus dem Block entfernt. "Da wird geprügelt, getreten, das ist rohe Gewalt und kein deeskalierendes Einschreiten", kommentierte Borussia Mönchengladbach auf Twitter. "Gut, dass wir die Aufnahmen haben. Sonst hätte es doch wieder niemand geglaubt", hieß es dazu aus der Gladbacher Fanszene. Die Polizei Stuttgart hat bereits Ermittlungen aufgenommen.
Vieles ist rätselhaft dieser Tage. So auch weiterhin die Coronaschutzverordnungen in den jeweiligen Ländern des Landes. Haarsträubend technisch allein das Wort: "Coronaschutzverordnung", das dereinst in die Liste der skurrilen Wortschöpfungen der Jahre 2020 bis hoffentlich 2022 eingehen wird. Weil also niemand mehr darauf schaut und die Lage so ist, wie sie ist, gewinnt die Liga zumindest national einiges an Eventcharakter zurück. Die Fans entscheiden von Fall zu Fall, von Spiel zu Spiel. Dabei könnten schon bald überall wieder volle Stadien zu sehen sein. Endlich. Zwei Jahre Pandemie sind durchgestanden. Sogar Drosten steigt beim NDR-Podcast aus, wie der Sender unter der Woche an der Grenze zur Wahrnehmung mitteilte. Die Infektionszahlen steigen trotzdem wieder. Wie auch die Absage des Spiels FSV Mainz gegen Borussia Dortmund zeigte. Auf insgesamt 20 Infektionen kamen die Mainzer. Auch Lauterbach warnt weiter: in dieser Zwischenzeit, in der die Welt still steht.
Quelle: ntv.de