Fußball

"Leine los"? Oder WM-Sorgen?Radikaler Nagelsmann hat keine Zeit für "Jux und Tollerei"

11.11.2025, 06:33 Uhr
imageVon Sebastian Schneider
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Muss eine Mannschaft noch rechtzeitig zum Turnier aufbauen: Julian Nagelsmann. (Foto: picture alliance / DeFodi Images)

Für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft geht es in dieser Woche um viel: Die Spiele gegen Luxemburg und die Slowakei entscheiden, wie der Start ins WM-Jahr verläuft. Bei seinem Aufgebot für die Partien tritt Bundestrainer Julian Nagelsmann in einer Doppelrolle auf.

Claudia Sheinbaum kann etwas machen, wovon andere nur träumen. Mexikos Präsidentin hat ihre Eintrittskarte für das Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft schon sicher - und will sie doch verschenken, als Zeichen gegen unermüdliche Profitgier. Stattdessen darf eine fußballverliebte junge Frau ins Stadion von Mexiko-Stadt, die sich die horrend teuren Tickets nicht leisten kann. Nur ist noch nicht klar, wie sie die Person auftreiben wird.

Auf eine Art ist Claudia Sheinbaum mit ihrem Problem nicht alleine. Sollte dem DFB-Team die Qualifikation glücken, hat auch Bundestrainer Julian Nagelsmann qua Posten eine ähnliche Befugnis. Im kommenden Jahr muss er aber statt einer gleich vermutlich 26 WM-Tickets (die genaue Zahl steht noch nicht fest) vergeben. Nur wird da weder was verschenkt, noch reicht es, ein fußballbegeisterter junger Mann zu sein. Das steht schon jetzt, 213 Tage vor dem Eröffnungsspiel, fest.

Und dem DFB-Team fehlt noch ein entscheidender Schritt: eben die Qualifikation. Als Nagelsmann am Montag in der Fußball- und Auto-Krisenstadt Wolfsburg sein Aufgebot für die entscheidenden Partien in Luxemburg (Freitag, 20.45 Uhr/RTL und im ntv.de-Liveticker) und dann am Montag in Leipzig gegen den DFB-Schreck Slowakei (20.45 Uhr/ZDF und im ntv.de-Liveticker) erklärt, wirkt er jedoch nicht so, als wüsste er schon genau, wem er seine WM-Tickets zustecken wird.

Kein Raum für Ausrutscher

Dabei hilft es nicht, dass die DFB-Elf ihre Gesamtlage selbst verschlechtert hat. Auf den gruseligen September-Start in die WM-Quali, mit dem 0:2-Patzer in der Slowakei, folgte ein mühevoller Oktober, der zwar Ergebnisse, aber wenig Berauschendes lieferte. Und auch die beiden kommenden finalen Spiele werden wohl keine Fußballfeste werden. "Wir haben keine weitere Möglichkeit für einen Ausrutscher", sagte Nagelsmann. Schluss mit "Jux und Tollerei" und irgendwelchen Experimenten, falls es das jemals beim DFB-Team wieder gegeben hatte.

Das heißt: Der Bundestrainer rief im Oktober (schon wieder) ein neues Kapitel in der Nationalelf aus. Seit der Heim-Europameisterschaft sind ihm zahlreiche Stammkräfte abhandengekommen; Kai Havertz, Tim Kleindienst, Jamal Musiala, Antonio Rüdiger, Marc-Andre ter Stegen, Niclas Füllkrug schaffen es allesamt aus verschiedensten Gründen auch nicht zum November-Lehrgang. Nagelsmann sprach schon vor vier Wochen einen Gedanken aus, der nun radikal seinen Weg in den Kader gefunden hat: Was bringen dem Bundestrainer feste Achsenspieler, wenn sie immer wieder wegbrechen?

Die Mannschaft ist der Star, das ist das neue Motto. Keine Leuchtturmspieler, die das Team schultern, stattdessen ein Konstrukt, das sich selbst trägt. Nagelsmann beschwört nun das "Gleichgewicht" aus irgendwie allem - aus Form, Offensive, Defensive, Gefüge, Überzeugung. Und: Er stellt schon wieder seine Nominierungspraxis um. Eine seiner Lehren aus den Oktoberspielen war, dass fünf Mittelfeldspieler für zwei Sechser-Positionen vielleicht doch zwei zu viele sind. Die Folge ist, dass er künftig "idealerweise jede Position zweimal besetzen" will. Das ist zwar wahrlich kein revolutionärer Ansatz, hat aber zur Folge, dass die mittlerweile etablierten Namen Angelo Stiller, Robert Andrich, Pascal Groß und Maximilian Mittelstädt aus dem Aufgebot verschwinden.

Im Falle des Ü30er-Duos Groß und Andrich sorgte das für wenig Empörungspotenzial, offenbar neigen sich ihre DFB-Karrieren dem Ende entgegen. Bei Stiller gab es dagegen einen großen und verwunderten Aufschrei aus dem Südwesten der Republik. In Stuttgart war man schon arg irritiert. "Kein Riesendrama", kehrte Nagelsmann nun die Scherben auf. Die vielzitierte DFB-Tür sei auch noch nicht verschlossen. Stiller sei schlicht der neuen Nominierungsregel zum Opfer gefallen - und Nagelsmann sehe eben den sehr formstarken Felix Nmecha vom BVB und den nun fitten Aleksandar Pavlović aus dem erfolgreichen Bayern-Mittelfeld im Vorteil. Dabei hätte sich der Stuttgarter, anders als im Oktober, diesmal laut Nagelsmann den Kaderplatz verdient gehabt. Damit kann Stiller wohl nun nicht allzu viel anfangen.

Sané? El Mala? Ouédraogo?

Das ist bei einem anderen DFB-Kandidaten jedoch ganz anders. Man schaute etwas verdutzt auf die Pressemitteilung vergangene Woche: Plötzlich ist Leroy Sané wieder da. Unbestritten ist, wie viel der Bundestrainer von dem Flügelspieler hält, allgemein anerkannt ist aber auch, wie wenig von seiner gewaltigen Qualität der 29-Jährige bislang im DFB-Trikot gezeigt hat. "Leroy weiß, was gefragt ist, und er weiß auch, dass es nicht mehr unzählig viele Chancen gibt, sich auf Nationalmannschaftsebene zumindest unter meiner Führung zu beweisen", sagte Nagelsmann unmissverständlich.

Die Causa Sané zieht sich wie bei anderen Bundestrainern auch durch die Amtszeit Nagelsmanns. Selten liefert der Ex-Bayern-Star das, was seine Anlagen versprechen. Häufig ist er ein Mitläufer, ein unerfülltes Versprechen. Der Wechsel in die Türkei wurde von nicht wenigen als Abschied in den frühen Karriereherbst gedeutet. Nagelsmann schickte ihm deshalb eine Dienstanweisung nach Istanbul: Mit vielen Toren und Vorlagen darf er auch ins DFB-Team zurückkehren.

Nun sind aber die drei Tore in zwölf Süper-League-Spielen nicht wirklich die Antwort, die Nagelsmann sich erhofft hatte. Die Quote sei nicht zu einhundert Prozent erfüllt, räumte der Bundestrainer ein. Warum Sané nun trotzdem dabei ist? "Das ist ein bisschen dem Profil geschuldet. Wenn wir auf der Position sechs, sieben Spieler zur Auswahl hätten, dann hätte er es deutlich schwerer gehabt", erklärte Nagelsmann. Das öffentliche Anzählen kann man so als letzte Warnung an den hochbegabten Sané verstehen.

Denn das ist das Problem, weshalb der Bundestrainer nicht nur knallhart auftreten kann. Während für einige verdiente Kräfte diesmal kein Platz ist, muss er in der Offensive weiterhin Mangelverwaltung betreiben - und greift deshalb ganz tief in die Trickkiste. Ein bisschen mehr "Leine los" soll es in den letzten beiden Qualispielen sein, sagte Nagelsmann. Die Antwort auf das zuletzt wirklich biedere DFB-Offensivspiel sind zwei Teenager, die erstmals zur Nationalelf dürfen.

Saïd El Mala wuselt schon eifrig beim 1. FC Köln in der Bundesliga, darf nun erstmals im Nationaldress besondere Momente kreieren. Und für den verletzten Nadiem Amiri rückte kurzfristig der Leipziger und ebenfalls 19-jährige Assan Ouédraogo nach. Doch Nagelsmann fing mögliche Träumereien direkt ein. Er halte nichts vom Hypen, sagte er. Deshalb habe er ihnen klar erklärt, was ihre Rolle sein wird. Er wolle die beiden einmal in der Gruppe sehen, sagte Nagelsmann. Auch ihnen wird das WM-Ticket wohl nicht geschenkt werden, das kann eben nur Claudia Sheinbaum.

Quelle: ntv.de

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