Kehl geht Stars schonungslos an Für den mysteriösen BVB gibt's Kloppe von allen Seiten
06.10.2024, 12:33 Uhr
Frustrierte BVB-Stars in Berlin.
(Foto: IMAGO/Jan Huebner)
Mit hängenden Köpfen trotteten die BVB-Spieler zu ihren Fans - frustriert, niedergeschlagen und auch ein wenig ratlos: Die Dortmunder Achterbahn ist nur kurz nach dem bislang größten Höhepunkt der Saison wieder ganz unten angekommen.
Borussia Dortmund muss nach der Niederlage bei Union Berlin am Samstagnachmittag (1:2) so einiges über sich ergehen lassen. Die "Bild"-Zeitung fordert einen Exorzisten für die so mentalitätsschlappen Fußballer, die "Ruhr Nachrichten" finden "elf Spieler ohne Mumm" und sehen in der Mannschaft nur noch einen Punktelieferanten - mit der Einschränkung, dass dieses fatale Urteil nur auswärts gilt. Und Dietmar Hamann fehlt jedes Verständnis dafür, dass der Torwart des BVB, Gregor Kobel, eigentlich "kein schlechtes Spiel" gesehen hatte.
Auch aus den eigenen Reihen hagelt es Kritik. Sportdirektor Sebastian Kehl arbeitete die Mängelliste des Teams schonungslos ab. "Wir haben innerhalb der letzten vier Spiele elf Gegentore kassiert, das ist einfach viel zu viel", beklagte er und ging dann ins Detail: "Wir müssen unser Tor besser verteidigen, wir müssen Zweikämpfe besser führen, wir müssen Verantwortung übernehmen in Zweikämpfen. Das habe ich vor allem in der ersten Halbzeit nicht gesehen", sagte Kehl. "Wie wir uns teilweise verhalten, geht einfach nicht. Das wird auch jeder Spieler selber wissen." Das ist mal deutlich. Gerade die Defensivleistung warf wieder einmal Fragen auf.
Tore: 1:0 Vogt (26., Foulelfmeter), 2:0 Vertessen (45.), 2:1 Ryerson (62.)
Berlin: Rönnow - Doekhi, Vogt (60. Querfeld), Leite - Trimmel, Kemlein (67. Skarke), Khedira, Rothe - Jeong (67. Schäfer), Hollerbach (77. Haberer), Vertessen (67. Siebatcheu). - Trainer: Svensson
Dortmund: Kobel - Couto, Anton, Schlotterbeck, Ryerson (86. Bensebaini) - Can (76. Sabitzer), Groß (63. Nmecha) - Beier, Brandt, Gittens (63. Malen) - Guirassy. - Trainer: Sahin
Schiedsrichter: Tobias Reichel (Stuttgart)
Gelbe Karten: Vogt, Jeong (2), Rothe (2), Trimmel - Schlotterbeck, Sabitzer (2), Bensebaini (3), Anton (2)
Schon in der Vorwoche, beim so surrealen 4:2 gegen den VfL Bochum, hatte sich der BVB phasenweise blamiert und mehr Glück als Verstand, dass er nicht nach 30 Minuten mit 0:3 zurücklag, dass Myron Boadu die Riesenchance knapp neben den Pfosten setzte. Mit einem gewaltigen Kraftakt wurde das Debakel vor eigenem Publikum abgewendet. Vor allem wegen der individuellen Klasse eines Karim Adeyemi und eines Serhou Guirassy. Das reichte, um den taumelnden Rivalen noch umzuwerfen. Aber von einer großen Idee für das schwarzgelbe Kollektiv ist man in Dortmund (noch) weit entfernt.
Wo ist das Spektakel denn hin?
Und die Unruhe wächst, auch wenn der neue Trainer Nuri Şahin nicht müde wird, um Geduld zu werben. Die würde ihm vermutlich auch zugestanden, wenn denn eine konstante Entwicklung zu erkennen wäre. Die gibt es aber nicht. Vor allem nicht auf fremden Plätzen. Um so gibt diese Mannschaft wieder einmal Rätsel auf. Erst am Dienstag hatte der BVB beim phänomenalen 7:1-Erfolg gegen das überforderte Celtic Glasgow in der Champions League ein Spektakel auf den Rasen gezaubert, im Stadion An der Alten Försterei war davon nun nichts mehr zu sehen. "Viele Fehlpässe, viele Unkonzentriertheiten", klagte Kehl: "Das hätten wir besser machen müssen." Dass mit Adeyemi der formstärkste Spieler im Kader derzeit und noch länger verletzt fehlt, taugt aber nicht als große Erklärung. Ist lediglich ein Teil von ihr. "Es ist total menschlich, dass man nicht immer die Top-Leistung abruft", befand Sahin: "Aber um eine Top-Mannschaft zu sein, und wir wollen eine Top-Mannschaft sein, müssen wir es hinbekommen, alle drei Tage Ergebnisse zu erzielen."
Und dennoch betont auch der Boss: "Das Vertrauen in diese Mannschaft haben wir natürlich weiterhin und auch in das, was wir uns aufbauen wollen." Das sei auch an diesem fürchterlichen Samstagnachmittag in Berlin nicht verloren gegangen: "Aber natürlich waren wir sehr, sehr enttäuscht, vor allem über die erste Halbzeit." Dabei waren sie doch der festen Überzeugung gewesen, in dieser Saison alles besser und vor allem stabiler auf die Beine zu bekommen als noch in der vergangenen Spielzeit, als der BVB unter Trainer Edin Terzić zwar das Finale der Champions League erreicht hatte, sich in der Bundesliga aber mehrfach die Beine brach. Der wegen einer vermeintlich mangelnden Spielidee ständig kritisierte Terzić machte los, Co-Trainer Sahin übernahm - erst mit großer Euphorie und jetzt mit denselben Problemen und Diskussionen wie sein Vorgänger. Die Schwankungen dieser Mannschaft bleiben das (seit Jahren schon) wohl größte Mysterium der Bundesliga. Und eine zumindest schnelle Lösung scheint nicht in Sicht: "Wir sind auf der Suche, das ist doch klar. Weil wir wissen, was uns am Ende blüht, wenn wir womöglich wieder in diese Rolle reinkommen", sagte der Sportdirektor.
Ob sich der Verein von sich selbst derzeit blenden lässt? Ein paar Indizien dafür gibt es. Nach der Abreibung beim VfB Stuttgart (1:5) bekannte Sahin, dass er solch eine desaströse Leistung nicht habe kommen sehen und dass so etwas nie wieder vorkommen werde. Nun hat er bislang recht behalten, aber die Leistungen gegen Bochum (lange Zeit) und bei Union Berlin (in der ersten Halbzeit) waren nicht weit weg von einer sportlichen Frechheit. Und dennoch mangelt es an manchen Stellen an Klartext. Kobel fand die Leistung schon nach dem Bochum-Spiel nicht so schlimm und redete jetzt davon, dass seine Mannschaft "kein schlechtes Spiel" gemacht habe.
"Ich weiß nicht, was schlimmer war"
Sky-Experte Hamann war hiernach fassungslos: "Ich weiß nicht, was schlimmer war. Das Spiel oder was der Kobel gerade gesagt hat. Der sagt, dass man kein schlechtes Spiel gemacht hat. Bei einer Niederlage gegen ein Team, das letzte Saison fast abgestiegen ist." Hamann, gewohnt hart in der Urteilsfindung, erkennt keine Entwicklung: "Wenn du gegen Celtic sieben Tore schießt, die spielen in Schottland, das ist zweites oder drittes Regal. Man darf den Sinn für die Realität nicht verlieren. Wenn ich (Hans-Joachim) Watzke und (Lars) Ricken auf der Tribüne sehe, die haben was zu besprechen. Die Auftritte gegen Stuttgart, Bochum und Union waren unterirdisch."
Sahin selbst wollte ebenfalls nichts schönreden, wirkte aber ein klein wenig ratlos: "Es ist für mich nicht einfach, gerade die richtigen Worte zu finden. Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir nicht wissen, was hier passieren wird", sagte er. "Trotzdem haben wir die erste Hälfte komplett hergeschenkt. Union definiert sich über die Zweikämpfe und Umschaltmomente, wie wir die Tore kassiert haben, geht nicht. Ich weiß, was ich von meiner Mannschaft bekommen kann, aber wir sind neu und die Ursachenforschung, warum wir gerade auswärts so starten, müssen wir gemeinsam besprechen und analysieren."
Hamann sieht die Sache derweil so: "Sie haben das Gesicht auch gegen Bochum gezeigt, es ist ja auch zu Hause passiert. Er ist ein junger Trainer, da muss man ihm etwas zugestehen und Zeit geben. Aber du musst auch eine Entwicklung sehen. Wenn du das nicht siehst, wirst du intern Gespräche führen."
Quelle: ntv.de, tno