Bochum staunt: "Kranke Scheiße" Relegation? Rauswurf? Jetzt hat Union Berlin den Salat
06.05.2024, 07:08 Uhr
Die Fußballer von Union Berlin sind fassungslos.
(Foto: IMAGO/Beautiful Sports)
Union Berlin stürzt immer tiefer in den Abstiegssumpf der Fußball-Bundesliga. Die Mannschaft, die zusammengestellt worden war, um in der Champions League zu bestehen, kämpft ums Überleben. Gegen Bochum erlebt Union ein Desaster, schöpft aber auch Mut.
Mehr Kontrast in einer Saison geht nicht: Noch wenige Tage vor Weihnachten ist Real Madrid (!) zu Gast in Berlin und muss sich mächtig strecken, um Union niederzuringen. Was am Ende mit 3:2 gelingt, erst in der 89. Minute erzielt Dani Ceballos den Siegtreffer. Die unbeirrbaren Königlichen setzen ihren großen Weg fort, sind Meister und empfangen am Mittwoch den FC Bayern im Halbfinal-Rückspiel der Champions League (21 Uhr/DAZN und im ntv.de-Liveticker). Die Welt bei den Königlichen ist in bester Ordnung. Gleiches von Union Berlin zu behaupten, wäre glatt gelogen. Nach einem fürchterlichen Sonntag, nach einer 3:4 (0:3)-Pleite gegen den VfL Bochum, droht den Eisernen das böse Ende einer Spielzeit, die nie ruhig, die immer turbulent und aufwühlend war.
Noch stehen die Berliner in der Tabelle der Fußball-Bundesliga über dem Strich, noch sind sie 15. , was den direkten Klassenerhalt nach einer turbulenten Saison bedeuten würde. Aber niemand in Köpenick sollte sich darauf verlassen, dass dieser Platz gehalten werden kann. Nach dem 32. Spieltag wirkt Union so angeschlagen wie nie in seiner Zeit als Erstligist. Die surreale Reise des Klubs, der 2019 aufgestiegen war, und sich in einem absurden Tempo im Oberhaus etabliert hatte, droht als Albtraum zu enden. Lediglich einen Zähler beträgt noch der Vorsprung auf den 1. FSV Mainz 05, der derzeit in der Relegation wäre. Und das Restprogramm hat es durchaus in sich: Nächste Woche geht es zum 1. FC Köln, der noch immer auf Rang 16 springen kann. Am letzten Spieltag kommt der SC Freiburg, der im letzten Spiel der Ära Christian Streich noch um den Europapokal kämpft.
Nach dem Schlusspfiff am späten Sonntagnachmittag herrschte an der Alten Försterei Fassungslosigkeit - und Stille. Während die Gäste aus Bochum zu ihren rund 2400 Fans in der Gästekurve stürmten, gemeinsam wild feierten und wieder einmal darüber staunten, dass es einfach nicht ohne Spektakel geht, schwiegen die Fans der Eisernen. In den 90 Minuten zuvor waren sie ihrer Mannschaft beigestanden. Hatten sie nach vorne gesungen, auch nach einer grotesken ersten Halbzeit, als es 0:3 stand (Maximilian Wittek zweimal und Keven Schlotterbeck hatten getroffen), und die Berliner komplett auseinanderzufallen drohten. Nichts wollte gelingen, nicht mal das Verteidigen. Man kann sich nicht daran erinnern, wann die Unioner einer Mannschaft auf eigenem Platz mal so viel Raum zum Spielen gelassen haben. Die Bochumer müssen sich manchmal gewundert haben.
"Keine Erklärung. Glatte Sechs."
0:3 zur Pause, so hatte es auch im ersten Bundesliga-Spiel des Klubs aus Köpenick im August 2019 gegen RB Leipzig gestanden. Aber das war eben RB Leipzig, der Systemrivale, der halt zu den Großen in der Liga gehört. Das tut Bochum nicht. In der Rückrunde hat das Team "vonne Castroper" ebenfalls einen bemerkenswerten Absturz hinter sich und in den vergangenen Wochen einem Kellerrivalen nach dem anderen den Steigbügel hingehalten. Doch dieses Mal war es anders. Dieses Mal rettete der VfL, der bei der Abreise von 5000 Fans eingeschworen worden war, einen Vorsprung ins Ziel und schob sich selbst auf Platz 14.
Aber zurück zu Union. Die Pleite damals gegen RB war eine Lehrstunde. Die Pleite vom Sonntag war ein Desaster. "Vielleicht haben wir da ein Stück weit überdreht, selbst den Stecker gezogen. Keine Erklärung", sagte Rani Khedira. Und fügte an: "Glatte Sechs." Dass es in der zweiten Halbzeit, als alles egal schien und das Team mit dem Mut der gigantischen Verzweiflung anrannte, deutlich besser wurde, ist der einzige Mutmacher für die Gastgeber. Zur Pause wechselte Trainer Nenad Bjelica dreimal. Die eingewechselten Winter-Neuzugänge Yorbe Vertessen und Chris Bedia trafen (59. und 63.) und versetzten das Stadion in totale Ekstase. Die Ernüchterung der ersten 45 Minuten war dem Glauben gewichen, das kleine Wunder von Köpenick doch noch zu schaffen.
Nervenkostüm "völlig am Arsch"
Es wurde ein hemmungsloses Ringen, Philipp Hofmann erhöhte wieder für Bochum (70.), ehe Benedict Hollerbach (74.) wieder verkürzte. Herzrasen auf beiden Seiten. Beim VfL in dieser Saison ein Dauerzustand. Kein Vorsprung der Welt scheint diese Mannschaft nachhaltig zu beruhigen, bereits vergangene Woche erzitterte man sich einen 3:2-Sieg nach 3:0-Führung. Die vielen vergeigten Führungen in den letzten Minuten haben Spuren in den Köpfen hinterlassen.
"Für die Herzen der Bochum-Fans geht das nicht mehr lange gut", sagte Wittek und lachte. Er konnte, weil die Sachen zum zweiten Mal in Folge gut gegangen war. Aber er mahnte auch an, die Dinge, die da in der zweiten Halbzeit wieder mal aus dem Ruder gelaufen waren, "aufzuarbeiten". Interimstrainer Heiko Butscher, der vor wenigen Wochen Thomas Letsch abgelöst hatte, war nach dem kleinen Coup von Köpenick emotional völlig von der Rolle. "So eine kranke Scheiße, das ist unfassbar", sagte der 43-Jährige. Sein Nervenkostüm sei "völlig am Arsch". Doch genau "deshalb lieben wir diesen Fußball, weil du so ein Spektakel und solche Erlebnisse hast. Das ist der schönste Sport der Welt." In Berlin hätten sie diesen Satz in den vergangenen Jahren garantiert Woche für Woche unterschrieben. Doch derzeit ganz sicher nicht.
Trainer-Diskussion zur absoluten Unzeit
Die Unruhe im Klub greift immer mehr um sich. Da ist nicht nur die Abstiegsangst, da ist auch die Diskussion um Trainer Bjelica, der die Mannschaft Ende November von Urs Fischer übernommen hatte. Der Erfolgstrainer hatte alles versucht, aber konnte die Berliner nicht mehr stabilisieren. Nach 15 sieglosen Spielen war er nicht mehr zu halten gewesen. Mit dem Kroaten packten die Eisernen dann eine überraschende Lösung aus, eine, mit der es nie richtig geworden war. Nach einer Tätlichkeit gegen Leroy Sané Ende Januar schien sogar ein Blitz-Aus möglich. Der Klub hielt aber an dem 52-Jährigen fest. Aber wie lange noch? Der "Kicker" meldete vergangene Woche, dass die Trennung nach der Saison beschlossen sein. Eine Meldung, die zur absoluten Unzeit kam.
Noch vor dem Anpfiff am Sonntag hatte Union-Präsident Dirk Zingler die Berichte bei DAZN für "falsch" erklärt und wirkte dabei durchaus verärgert. Nun werden sich neue Fragen stellen, wobei der Boss den Coach deutlich verteidigt hatte. "Wir dürfen nicht vergessen, dass die Situation, in der wir sind, nichts mit Nenad Bjelica zu tun hat. Es hat mit der Hinrunde zu tun, da haben wir nicht gut gespielt und als ganzer Klub nicht geliefert. Nenad Bjelica hat seine Punkte, die er machen musste, gemacht. Er hat den Auftrag, uns in der Klasse zu halten", so der Union-Boss, der Bjelica zu diesem Zeitpunkt die "volle Unterstützung" aussprach.
"Da bin ich der falsche Ansprechpartner"
"Man hat gesehen, dass wir es nur gemeinsam schaffen können. Mit den Tugenden, die uns stark gemacht haben", sagte Khedira. Die Mannschaft, die mit untypisch großen Transfers wie Abwehrlegende Leonardo Bonucci, wie Nationalspieler Robin Gosens und dem erfahrenen Stürmer Kevin Volland verstärkt worden war (was die Hierarchie im Kader mächtig durcheinanderwirbelte und in Summe nicht aufgegangen ist), die sich nach dieser Saison deutlich verändern wird, hatte sich noch tatsächlich aufgebäumt und immerhin nachgewiesen, den Klassenkampf doch noch anzunehmen. Nicht immer hatte sie zuletzt den Eindruck vermittelt, dass sie den Ernst der Lage verstanden habe. Manche Spieler, wie Gosens, so hieß es in verschiedenen Medien, sprechen schon mit neuen Arbeitgebern.
Gemeinsam gegen den GAU- also weiter mit Bjelica? "Da bin ich der falsche Ansprechpartner", moderierte Khedira schnell ab, der aber in der Sportschau kurz und knapp betonte, dass das Verhältnis zwischen den Spielern und dem Coach intakt sei. Der Berliner Boulevard sieht das anders. Dort heißt es, dass Marie-Louise Eta, die nach der Trennung von Fischer mit Marco Grote schon einmal an der Seitenlinie stand, erneut einspringen könnte. Bjelica macht derweil, was er tun muss: Spielanalyse, Ausblick - und Durchhalteparole teilen: "Unsere Situation war viel aussichtsloser, als ich gekommen bin. Ich glaube, dass wir mit jedem in der Bundesliga mithalten können. Ich bin voller Überzeugung, dass wir den Klassenerhalt gemeinsam schaffen werden."
Quelle: ntv.de