Gewaltiger Druck auf die Bosse Reus brilliert, die BVB-Probleme bleiben
11.02.2018, 09:37 Uhr
Wieder da, sofort wieder der Beste: Marco Reus nach seinem Kreuzbandriss.
(Foto: REUTERS)
Gegen den HSV quält sich Borussia Dortmund zum Bundesliga-Arbeitssieg. Neben Rückkehrer Marco Reus überzeugt erneut die neue Tor-Granate Michy Batshuayi. Doch im Verein brodelt es. Der BVB ist eine Baustelle.
Die Stimmung in der gelben Wand erreichte erstmals orkanartige Lautstärke, als der Ball noch gar nicht rollte: "259 Tage mussten wir warten", brüllte Stadionsprecher Norbert Dickel in sein Mikrofon, "jetzt ist er wieder da: Marco Reus." Auf der weltweit größten Stehplatztribüne flippten sie kollektiv aus. Während der 90 Minuten gegen den Hamburger Sportverein wurde die Atmosphäre nur ähnlich explosiv, als die beiden Tore fielen und als Reus nach 70 Minuten seinen Arbeitstag beendete. Da erhoben sich die Zuschauer von ihren Plätzen, um dem so schmerzlich vermissten Rückkehrer die Ehre zu erweisen. Nach dem Abpfiff teilte der Nationalspieler den wartenden Reportern mit einem breiten Grinsen mit, es sei "ein geiles Gefühl, wieder dabei zu sein".
In Dortmund sind sie hin und weg, dass sie ihren wichtigsten Spieler, der zudem noch ein Sohn ihrer Stadt ist, wieder an Bord haben. Dass sich der 28-Jährige trotz der langen Absenz auf Anhieb zum besten Spieler auf dem Platz aufschwang, überraschte alle Beobachter. Seinen Trainer überraschte es nicht. "Wir haben ihn ja schon länger im Training dabei", sagte Peter Stöger, "und waren uns deshalb relativ sicher, dass es gut werden kann." Der Wiener adelte seine Schlüsselfigur, "er ist nicht nur als Spieler, sondern auch als Mensch enorm wichtig für die Mannschaft".
Dass das BVB-Team dringend Hilfe braucht, zeigte sich gegen den HSV. Die Borussia wurde vor 81.360 Zuschauern im ausverkauften Stadion ihrer Favoritenrolle nach Toren von Michy Batshuayi und Mario Götze beim 2:0 (0:0) nur mühsam gerecht und rückte in der Tabelle auf Rang drei vor. Der Arbeitssieg über den Tabellenvorletzten zeigte über weite Strecken, dass der Revierklub immer noch meilenweit von dem entfernt ist, was seinem Selbstverständnis entspricht. Vor allem in der ersten Halbzeit zeigte der BVB eine ganz schwache Leistung und produzierte eine Vielzahl von Fehlpässen.
Fußball erst nach der Pause
Die Borussia entschloss sich erst nach dem Seitenwechsel dazu, halbwegs ansehnlichen Fußball zu spielen und kam prompt zum ersten Erfolgserlebnis: Reus setzte Pulisic in Szene, dessen Hereingabe Michy Batshuayi aus kurzer Entfernung über die Linie drückte. Es war das dritte Tor des Belgiers im zweiten Spiel für den BVB. Der Stürmer war neben Reus der zweite Protagonist in einem Spiel ohne großen Erinnerungswert.
Der Belgier scheint ein Volltreffer zu sein, von Pierre-Emerick Aubameyang redet in Dortmund keiner mehr. Der neue Goalgetter beherrscht sogar den Salto, den er nach seinem Erfolgserlebnis in Verbindung mit einer elegant eingesprungenen Radwende vorführte. "Ich bin sehr glücklich hier", betont der von Chelsea London ausgeliehene Stürmer, "das Zusammenspiel wird immer besser." Als Stöger danach gefragt wurde, ob Aubameyang oder Batshuayi die besseren kunstturnerischen Darbietungen auf den Rasen zaubern, sorgte der Trainer für Schmunzler: "Da ich es nur bis zum Purzelbaum geschafft habe, kann ich das nicht beurteilen. Ich finde es einfach nur Wahnsinn, dass Fußballer so etwas können."
In Dortmund dürfen sie für einen Moment durchschnaufen, doch trotz des Sieges ist beim BVB längst nicht alles in Ordnung. "Wir haben nicht unser bestes Spiel gezeigt", sagte Reus, "aber in unserer Phase ist es wichtig, die drei Punkte zu holen." Bei der Borussia bleiben derzeit nicht nur spielerisch viele Wünsche offen. Mit Mkhitaryan, Dembélé und Aubamyang haben gleich drei Leistungsträger ihre Wechsel durch Arbeitsverweigerung und andere unschönere Nebengeräusche forciert. Das schadet nicht nur der Reputation des Vereins, sondern auch der von Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc.
Gewaltiger Druck
Der Geschäftsführer und der Sportdirektor stehen gewaltig unter Druck, was Watzke dazu veranlasste, verbal in die Offensive zu gehen. In seinem viel beachteten Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte er Anfang der Woche: "Der nächste Spieler, der so etwas macht, bekommt ein riesengroßes Problem. Börsennotierung hin oder her. Er wird damit nicht durchkommen und auf der Tribüne sitzen." Die Aussage ist unmissverständlich, wobei sich viele fragen: Warum erst jetzt?
Zudem ist die Balance im Kader nicht optimal. Zorc und Watzke haben erkannt, dass es an Führungspersonal mangelt. Gesucht werden Spieler, die sich nicht verstecken, wenn es schwierig wird. "Wir benötigen im Sommer eine Kader-Justierung", sagt Watzke, "je nach Verlauf der Rückrunde auch eine deutlichere." Der Verein benötige "zwingend noch zwei, drei Spieler, die extreme Siegermentalität ausstrahlen, die gierig sind und auch mal böse werden können". Zudem läuft auch der Vertrag mit Stöger aus. Es könnte also durchaus sein, dass das börsenorientierte Fußballunternehmen in wenigen Monaten auch noch einen Trainer suchen muss. Das Gesamtkonstrukt Borussia macht derzeit keinen wirklich gefestigten Eindruck. Viel eher gleicht der BVB trotz des Erfolgserlebnisses gegen Hamburg einer Baustelle.
Quelle: ntv.de