Fußball

Horror-Hoffnungsträger Kolasinac Schalke klammert sich an den Wahnsinnigen

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Sead Kolasinac lebt, liebt und leidet für den FC Schalke 04.

(Foto: imago/Team 2)

Wenn beim FC Schalke 04 noch Hoffnung auf das Ende des sportlichen Horrors besteht, dann wegen Sead Kolasinac. Der Heimkehrer soll der Mannschaft die Tugenden des Malocherklubs wieder beibringen. In London wurde er zuletzt aber nur sporadisch eingesetzt.

Kann ein Fußballer eine ganze Mannschaft verändern? Ja, das kann er. Das aktuellste Beispiel einer sehr erlesen besetzten Liste von Spielern, deren Einfluss auf Organisation und Mentalität maßgeblich ist, ist Joshua Kimmich. Sowohl die deutsche Nationalmannschaft als auch der FC Bayern sind besser, deutlich besser, wenn der 25-Jährige im defensiven Mittelfeld (oder gelegentlich mal als Rechtsverteidiger) wirkt und wütet. Ohne Kimmich fehlt etwas. Das Ordnende, das Antreibende, das Verbindende.

Ein Fußballer, der sich in den kommenden Wochen und Monaten ebenfalls einen Platz auf der Liste der maßgebenden Einflussnehmer verdienen will und soll, ist Sead Kolasinac. Und dem FC Schalke 04 würde es schon reichen, wenn Sead Kolasinac einfach immer noch genau der Typ ist, der er einmal war, ehe er den Malocherklub aus Gelsenkirchen verließ, um sich beim FC Arsenal zu beweisen. Dem FC Schalke 04 würde es schon reichen, wenn Kolasinac kämpft, malocht, rennt und schreit (gerne auch mal in Richtung seiner Mitspieler). Wenn der büffelige Außenverteidiger spielt, wie ein Schalker eben spielen soll.

Wie sehr er sich mit dem Verein, mit den Fans identifizieren kann, das erzählt eine Geschichte Ende Mai 2017. Weil er gelbgesperrt fehlte, verfolgte er sein (bisher) letztes Spiel für Königsblau in Ingolstadt auf der Tribüne. Im Fanblock. Er nahm sogar an der Oldschool-Mottotour der Ultras teil, die alte Schalke-Klamotten trugen. Der Bosnier trug eine alte S04-Trainingsjacke und einen königsblauen Fischerhut.

Kolasinac, das ist die Hoffnung aller Schalker. Und Kolasinac weiß diese Hoffnungen zu bedienen, er weiß so etwas wie eine kleine Euphorie zu entfachen. Wenn das in der Gemengelage aus Horror-Serie, wilden Gerüchten um Milliardär Clemens Tönnies, einem heftig angezählten Sportvorstand und einem Trainer, dessen Verpflichtung nur wenige Menschen nachvollziehen konnten, überhaupt möglich ist. Bei Twitter und Instagram bemüht sich Kolasnic jedenfalls bereits, die dringend benötigte Herzenswärme der Fans zurückzugewinnen. Nicht für sich, sondern für den Klub. Die kurzen Zeilen sind eine Liebeserklärung an Schalke, ein Bekenntnis zu den Tugenden, eine Weckruf, ein Mutmacher.

Ein kleine große Twitter-Euphorie

Sein Posting bei Instagram, veröffentlicht an Silvester, gefällt über 117.000 Followern. So viele Herzchen hatte der Bosnier seit dem 26. Februar nicht erreicht, seit er sich für die Genesungswünsche nach seiner Verletzung an der Schulter bedankt hatte. Der Glaube ist nun wieder ein bisschen stärker, dass der große Verein aus Gelsenkirchen das sportliche Drama doch noch verhindert. Dass er nicht in Liga zwei abstürzt, mit ungewissem Ausgang für die Zukunft des finanziell bedrohlich wankenden Klubs.

Mike Büskens, einer der legendären "Eurofighter" ist berauscht von der Heimkehr des 27-Jährigen. Der, Obacht, Koordinator für verliehene Spieler und internationale Aktivitäten bei Schalke 04, schwärmte nach der Nachricht über die Kolasinac-Leihe bei Instagram: "Endlich sehe ich den personifizierten Wahnsinn wieder im richtigen Trikot. In den letzten Wochen waren alle davon beseelt, Seo zurück an die Emscher zu holen. Dieser Typ ist einfach der Wahnsinn. Er wollte, trotz der schwierigen Lage und zahlreicher anderer Möglichkeiten, unbedingt zurück und mit anpacken." Dazu schrieb Büskens noch ein "@s04 on Fire".

Kolasinac, der Anfang 2011 vom VfB Stuttgart zu den Schalker A-Junioren wechselte, ist emotional eine gute Nachricht für die leidende Fan-Seele. Ob sie aber auch eine sportlich gute Nachricht wird? Der 27-Jährige kommt aus London ohne große Spielpraxis. Bei den lange kriselnden Gunners kommt er in dieser Saison gerade einmal auf 727 Minuten. In der Europa League durfte er immerhin viermal ran, und dies jeweils über 90 Minuten. Womöglich wäre er in allen sechs Gruppenduellen eingesetzt worden, hätten ihn nicht erst Corona und dann eine kleine Blessur an der Ausübung seines Jobs gehindert. In der Premier League, dem wichtigsten Wettbewerb, indes spielte er nur einmal, am 2. Spieltag gegen West Ham United.

Größere Probleme auf anderen Positionen

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Auf Schalke wird er den Linksverteidiger spielen. Das ist seine stärkste Position. Dort erfüllt er das, was sich Coach Christian Gross von seinen Neuzugängen wünscht: Dynamik. Kolasinac wird mutmaßlich den langjährigen Stammspieler Bastian Oczipka verdrängen. Er erlebt bislang keine gute Saison. Aber für wen im Team der Schalker gilt das schon? Aber Oczipka ist keinesfalls das größte sportliche Problem im Kader. Vielmehr herrscht auf der rechten Bahn ein amtlicher Mangel, erst recht seit der schweren Verletzung (Mittelfußbruch) des jungen Kilian Ludewig. Ob der vereinslose Julian Korb da helfen kann? Oder ob Mitchell Weiser tatsächlich von Bayer Leverkusen kommt? Nun ja.

Und dann ist da noch das Sturmzentrum. Neben Mark Uth, der sich als Hängende Spitze wohler fühlt, und dem ebenfalls schwerer verletzten Gonçalo Paciência, gibt es keine Alternative. Der junge Ahmed Kutucu schafft den Durchbruch nicht, der auch noch sehr junge Matthew Hoppe wirkt in der Bundesliga derweil noch überfordert. Benito Raman und Steven Skrzybski haben ihre Qualitäten auch nicht im Strafraum. In Zeiten akuter Finanznot wird das Beschaffen einer Top-Option für Sportvorstand Jochen Schneider eine verdammt schwere Nummer. Aber eine höchst relevante. Sportlich mindestens so relevant wie Kolasinac fürs Gefühl, für die Mentalität, für die Führung. Allerdings ist es so: Die meisten Fußballer, die eine ganze Mannschaft verändern, spielen im Zentrum. Wie Kimmich.

Quelle: ntv.de

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