Der Arbeitssieg im Schnellcheck Selbst das gerupfte DFB-Team besteht den Stresstest
11.10.2024, 23:57 Uhr
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft macht dort weiter, wo sie aufgehört hat. Das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann gewinnt das Gastspiel in Bosnien-Herzegowina knapp aber verdient. Einige Trends setzen sich auch mit der Notelf fort.
Was ist da im bosnischen Stadion Bilino Polje passiert?
Eigentlich ist der gedankliche Weg nicht weit. Es fehlt nicht Fantasie, um es sich vorzustellen: Bundestrainer Julian Nagelsmann steht durchnässt im strömenden Regen in Zenica und muss sich der deutschen Fußballnation erklären. Dass man doch viel mehr Mentalität an den Tag hätte legen müssen, dass die vielen Absagen von Stammkräften keine Ausrede sein dürfe, dass die Torwartdebatte viel zu groß gemacht wurde.
Wenn sich die Nagelsmänner einen Ausrutscher leisten, dann doch wohl hier. Oder? In diesem herrlich unprätentiösen Bilino Polje. In das Stadion passen keine 15.000 Menschen und seine Kabinen versprühen den klassischen Kreisliga-Charme. Dazu kommt eine bosnisch-herzegowinische Nationalelf mit der HSV-Ikone Sergej Barbarez als Trainer, der bei seinem Heimdebüt seiner zweiten Heimat eins auswischen möchte, dem Altmeister Edin Dzeko im Sturmzentrum und zahlreichen Bundesliga-Profis in den Reihen, die von den Fans bei jeder Grätsche, bei jedem Angriff angefeuert werden.
Doch es kam anders - der Regen blieb aus, Bundestrainer Nagelsmann musste im Anschluss auch keinen Ausrutscher erklären. Denn etwas Entscheidendes hat sich geändert: Anders als in den Jahren zuvor blamiert sich die DFB-Elf nicht ohne Weiteres - auch wenn sie arg gerupft war (immerhin ohne Jamal Musiala, Kai Havertz, Niclas Füllkrug, David Raum etc.). Sie brauchte zwar ihre Zeit, um wieder auf Betriebstemperatur zu kommen. Doch die Idee wurde schnell deutlich: Man wollte der Heimmannschaft keinen Platz lassen. Die Abwehrreihe schob anfangs so hoch, dass man sich Sorgen machen musste, dass Debütant Tim Kleindienst und Deniz Undav vor dem gegnerischen Strafraum noch Luft zum Atmen bekommen, so eng war es dort. Der Ball lief handballartig um den gegnerischen Sechzehner herum. In den ersten 20 Minuten hatten die Nagelsmänner über 80 Prozent der Zeit den Ball, schossen aber nicht ein einziges Mal aufs Tor.
Doch dann waren es die alten Mechanismen, die ansprangen: Langer Ball von Toni Kroos, ähm, Robert Andrich auf Florian Wirtz, der legt auf Undav ab - 1:0. Das Tor löste alle Unsicherheit. Undavs 2:0 fiel nach starker Vor-Vorarbeit mit viel Übersicht von Pascal Groß, der auf Maximilian Mittelstädt passte, der wiederum auf seinen Stuttgarter Kollegen flankte. Und so kombinierte das deutsche Team freudig weiter: Groß mit Andrich, Undav und Mittelstädt. Abwehrboss Antonio Rüdiger dribbelte bis zum gegnerischen Sechzehner, die Mannschaft versprühte tatsächlich Spielfreude - auch wenn nicht alles gelang. Hier ein Missverständnis zwischen Wirtz und Mittelstädt, da flog eine Flanke ins Nirgendwo. Auch wenn es am Ende knapper wurde, als es das Ergebnis hergibt, die Vorstellung war überraschend reif und erfahren - trotz gleich dreier Debütanten (Alexander Nübel, Kleindienst, Jonathan Burkardt).
Teams und Tore:
Tore: 0:1 Undav (30.), 0:2 Undav (36.), 1:2 Džeko (70.)
Schema: Bosnien-Herzegowina - Deutschland 1:2 (0:2)
Bosnien-Herzegowina: Vasilj/FC St. Pauli (28 Jahre/12 Länderspiele) - Gazibegović/Sturm Graz (24/19), Kolašinac/Atalanta Bergamo (31/59) ab 90.+1 Tabaković/TSG Hoffenheim (30/4), Katić/FC Zürich (27/5), Barišić/FC Basel (23/8) - Gigovic/Holstein Kiel (22/5) ab 65. Šarić/FC Palermo (27/6) - Huseinbasic/1. FC Köln (23/5) ab 65. Hajradinović/Kasımpaşa (30/11), Burnic/Karlsruher SC (26/4) ab 84. Bajraktarević/New England Revolution (19/1), Bašić/FK Orenburg (22/2) ab 46. Tahirović/Ajax Amsterdam (21/12), Demirović/VfB Stuttgart (26/29) - Džeko/Fenerbahçe Istanbul (38/137). - Trainer: Barbarez
Deutschland: Nübel/VfB Stuttgart (28/1) - Kimmich/Bayern München (29/94), Rüdiger/Real Madrid (31/75), Tah/Bayer Leverkusen (28/32), Mittelstädt/VfB Stuttgart (27/9) ab 66. Gosens/AC Florenz (30/21) - Andrich/Bayer Leverkusen (30/13) ab 66. Minute Stiller/VfB Stuttgart (23/2), Groß/Borussia Dortmund (33/11) ab 90.+1 Anton/Borussia Dortmund (28/6) - Wirtz/Bayer Leverkusen (21/26), Undav/VfB Stuttgart (28/5) ab 66. Burkardt/1. FSV Mainz 05 (24/1), Gnabry/Bayern München (29/46) ab 82. Führich/VfB Stuttgart (26/7) - Kleindienst/Borussia Mönchengladbach (29/1). - Trainer: Nagelsmann
Schiedsrichter: Francois Letexier (Frankreich)
Zuschauer: 13.500 (ausverkauft) in Zenica
Was war gut?
Tatsächlich gibt es nicht viel zu kritisieren. Die DFB-Elf präsentierte wieder das, was sie schon während der Europameisterschaft und in den Spielen danach gezeigt hat: dass dieses Team wirklich Freude daran hat, miteinander Fußball zu spielen. Und dass es jedes Spiel gewinnen will. Auch in der dritten Partie in der Post-Kroos-Müller-Neuer-Gündogan-Ära zeigte sich, dass eine neue Achse entstanden ist, die den Debütanten einen Rahmen bietet, in dem jeder seine Chance bekommt.
Und auch sonst waren abseits des Fußballs einige Dinge gut. Nagelsmann hatte sein Team mit einer Mission auf den Platz geschickt. Man wolle den Menschen in Bosnien und Herzegowina nach der schweren Flut mit 16 Toten "ein bisschen ein Lächeln in die Gesichter zaubern", sagte er vor der Partie. Der Ankündigung ließ Abwehrboss Rüdiger direkt Taten folgen, er verschenkte seinen Aufwärmpullover an einen heimischen Fan, der wiederum freute sich mächtig.
Und was bedeutet das Ergebnis jetzt?
Anders als sein Vor-Vorgänger Joachim Löw behandelt Bundestrainer Nagelsmann die Nations League wenig stiefmütterlich. Deutschland führt die Gruppe A3 nun vor den Niederlanden an, die im Parallelspiel nur 1:1 gegen Ungarn spielten. Läuft alles glatt, kann man nach dem Spiel am Montag gegen Oranje (20.45 Uhr/ZDF und im Liveticker bei ntv.de) den Gruppensieg feiern. Nagelsmann hatte die K.-o.-Runde als klares Ziel ausgegeben, die ersten beiden Teams erreichen das Viertelfinale im März. Wer sich dort durchsetzt, darf im Juni das Final Four bestreiten, das die DFB-Elf bei bisher drei Austragungen der Nationenliga verpasst hat. Zusätzlich winkt ein weiteres Sicherheitsnetz, um sich auch wirklich für die Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Kanada und Mexiko zu qualifizieren.
Stimmen zum Spiel:
Stürmer Deniz Undav bei RTL: "Das war uns klar, dass Bosnien-Herzegowina eine starke Mannschaft ist. Nach dem 2:1 ist es noch mal heiß geworden, aber wir haben das souverän über die Bühne gebracht."
Bundestrainer Julian Nagelsmann bei RTL: "Insgesamt bin ich schon zufrieden. Wir haben nicht ganz so gut begonnen, die ersten zehn Minuten gebraucht. Dann waren wir schon dominant, haben nicht extrem viele Torchancen gehabt, aber wenig zugelassen. Insgesamt schießen wir zu wenige Tore für die Chancen."
Quelle: ntv.de